# taz.de -- Über den Umgang mit Russ*innen: Putins giftige Saat | |
> Ein Treffen ukrainischer und deutscher Journalist*innen in Berlin | |
> wird zum Desaster. Eine Frage dabei: Wie weit muss die Isolation | |
> Russlands gehen? | |
Bild: Russische Journalist:innen werden offensichtlich in Kollektivhaftung geno… | |
Es ist als Austausch gedacht, das nicht öffentliche Treffen zwischen 17 | |
ukrainischen Journalist*innen und fünf ihrer deutschen Kolleg*innen | |
von taz, FAZ, Deutschlandfunk, Tagesspiegel und Zeit Online am vergangenen | |
Freitagnachmittag in Berlin. Eingeladen hat das Netzwerk n-OST. Doch was | |
gut gemeint ist, endet in einem Desaster. Als es um die Berichterstattung | |
deutscher Medien über den Ukrainekrieg geht, die auch Vertreter*innen | |
der russischen Zivilgesellschaft Raum gibt, und in diesem Zusammenhang das | |
Wort „Dialog“ fällt, kippt die Stimmung bei den Gästen. Hände zittern, | |
Stimmen versagen, Tränen fließen. | |
Der Tenor: Ein Dialog mit Russ*innen, ja allein der Umstand, ihnen ein | |
Forum zu bieten, sei inakzeptabel und komme einer Zumutung gleich. | |
Schließlich sei ein/e jede/r von ihnen schuld an diesem Krieg. Schon eine | |
Getränkekarte, die in dem Raum auf den Tischen liegt, wird als Provokation | |
gewertet. Denn auch der russische Wodka „Moskowskaja“ ist im Angebot. Immer | |
wieder fällt das Wort Zynismus. | |
Die Nachbereitung der Veranstaltung findet kurz darauf in den sozialen | |
Medien statt. Der Post einer Ukrainerin, die deutschen Kolleg*innen | |
verstünden wohl nicht, dass ein Frieden in Europa erst nach dem | |
Verschwinden Russlands als Staat möglich sei, gehört noch zu den | |
harmloseren Formulierungen. | |
Diese Reaktionen sind verständlich und müssen ernst genommen werden. Sie | |
machen in so drastischer wie ungeschminkter Weise jedoch auch einmal mehr | |
deutlich, welche Verheerungen, neben vielen anderen, dieser Krieg | |
angerichtet hat und noch anrichten wird. | |
Es ist ein Krieg, bei dem das Vorgehen der russischen Armee einer klaren | |
Agenda folgt. In letzter Konsequenz geht es um die Vernichtung des | |
ukrainischen Staates [1][unter Einschluss von Sprache, Kultur und | |
historischem Erbe] – laut Narrativ des Kremls die Korrektur eines | |
„bedauerlichen Unfalls der Geschichte“. | |
Um dieses Ziel zu erreichen, ist Moskau jedes Mittel recht: Wahllose | |
Angriffe ohne Rücksicht auf Verluste unter der Zivilbevölkerung, | |
Kriegsverbrechen, wie Massenmord, Vergewaltigung sowie die | |
Zwangsdeportation Tausender Ukrainer*innen nach Russland. Blinde | |
Zerstörungswut, wenn die Einnahme eines Ortes oder Gebietes fehlgeschlagen | |
ist. Das alles ist flankiert von dreisten Lügen einer gut geölten | |
russischen Propagandamaschine, die Hass befeuert und die Bevölkerung über | |
die tatsächlichen Vorgänge im Unklaren lässt. | |
## Zynismus findet sich zuhauf | |
Vor diesem Hintergrund muss in der Ukraine wahrlich vieles unverständlich | |
und zynisch anmuten, was in westlichen Staaten, nicht zuletzt auch in | |
Deutschland, zu beobachten ist. | |
So wiederholt die Bundesregierung zwar mantrahaft ihre Beschwörungsformel, | |
sie stehe fest an der Seite der Ukraine. Dort kommen Waffenlieferungen aus | |
Berlin bislang jedoch nur in überschaubarem Umfang an. Zur Rechtfertigung | |
müssen ständig wechselnde Erklärungen herhalten, die eine interessierte | |
Öffentlichkeit nicht anders denn als faule Ausreden und Verschleierung der | |
tatsächlichen Beweggründe für die vornehme Zurückhaltung interpretieren | |
kann. | |
Apropos Waffenlieferungen: Das Interesse an dieser Diskussion scheint | |
abzunehmen, wie überhaupt an den Ereignissen in der Ukraine, was allerdings | |
kein Alleinstellungsmerkmal dieses Krieges ist. Längst dominieren andere | |
Themen die innenpolitische Debatte: Wie umgehen mit der zu erwartenden | |
Energieknappheit, die im Herbst und Winter auf Deutschland zukommen wird? | |
Wohlgemerkt: Dieses Problem ist Folge einer totalen Abhängigkeit von | |
Russland und ergo hausgemacht. | |
Und seien wir ehrlich: Hätte Moskau diesen groß angelegten Feldzug gegen | |
die Ukraine im vergangenen Februar (Krieg herrscht dort bekanntlich bereits | |
seit acht Jahren) nicht vom Zaun gebrochen, hätte Deutschland einfach erst | |
einmal so weitergemacht: Kauf von billigem Öl und Gas nebst Inbetriebnahme | |
der Pipeline Nord Stream 2 – business as usual eben. Derweil fährt die | |
BASF-Tochter Wintershall Dea durch die Förderung von Öl in Westsibirien im | |
Verbund mit dem russischen Staatskonzern Gazprom Millionengewinne ein, wie | |
einem Betrag des TV-Magazins „Monitor“ von vergangener Woche zu entnehmen | |
war. | |
Alleine diese wenigen Beispiele zeigen: Zynismus in diesem Krieg findet | |
sich zuhauf. Und doch: Auch in diesen Zeiten gibt es nicht nur Schwarz oder | |
Weiß. Dieser Erkenntnis sollten sich vor allem Medienmacher*innen | |
nicht verschließen – vor allem dann nicht, wenn sie ihren Beruf und damit | |
verbundene Standards ernst nehmen. | |
## Teile und herrsche | |
Vor wenigen Tagen veröffentlichte ein ukrainischer Journalist einen Beitrag | |
in der taz („[2][Der Traum vom Pass mit dem Dreizack“, 29. Juli]) über | |
einen Russen, der die ukrainische Armee unterstützt und alle Hebel in | |
Bewegung setzt, um die ukrainische Staatsbürgerschaft zu bekommen. So wie | |
die Dinge liegen, könnte ihn ein solcher Text bei einigen seiner eigenen | |
Kolleg*innen bereits zu einem potenziellen „Verräter“ machen. | |
Doch damit nicht genug: Es gibt auch russische und belarussische | |
Journalist*innen, die unter hohem persönlichem Risiko ihren Machthabern die | |
Stirn bieten und mit der Ukraine solidarisch sind. In der taz kommen sie | |
regelmäßig in Tagebüchern zu Wort. Auf sie bezieht sich auch der ebenfalls | |
kritisierte Spruch „Dialog statt Krieg!“ in einem Notizheft der taz Panter | |
Stiftung. | |
Doch offensichtlich werden auch sie jetzt in Kollektivhaftung genommen. Da | |
geht sie also auf, die giftige Saat des Wladimir Putin, der Nationen und | |
Menschen in Gut und Böse trennt. Teile und herrsche. | |
Welche Schlüsse lassen sich daraus ziehen? Vielleicht ist es wirklich zu | |
früh zu versuchen, [3][Gesprächskanäle] offen zu halten sowie für einen | |
Dialog und differenzierte Sichtweisen zu werben. Doch einen Versuch, in | |
welcher Form auch immer, ist es trotzdem wert – für die Zeit danach. | |
2 Aug 2022 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
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