# taz.de -- Nach Vorwürfen gegen ukrainische Armee: Wirbel um Amnesty-Bericht | |
> Vorwürfe an die ukrainische Armee lösen in Kiew heftige Reaktionen aus. | |
> Der dortige Ableger der Menschenrechtsgruppe geht auf Distanz. | |
Bild: Hat sich in per Videobotschaft auch zum Amnesty-Bericht geäußert: der u… | |
BERLIN taz | Es war der Aufreger schlechthin in der Ukraine am | |
Donnerstagabend, Webseiten und soziale Medien wurden mit erbosten | |
Reaktionen regelrecht geflutet. „Internationale Amnestie für Putin …? Wie | |
in der Ukraine auf den skandalösen Bericht von Amnesty International mit | |
Beschuldigungen der ukrainischen Streitkräfte regiert wird“, titelte die | |
ukrainische Website Novoje vremja und referierte kilometerlang Kommentare | |
von Politiker*innen, Blogger*innen und Nutzer*innen. | |
„Das Material von Amnesty passt perfekt zu den im Westen verbreiteten | |
Abwegen“, schreibt Aleksei Kopytko, Berater des ukrainischen | |
Verteidigungsministers, [1][auf Facebook]. „Nahezu jede einst angesehene | |
Organisation, einzelne hoch entwickelte Länder und eine Vielzahl von | |
Politiker*innen sagen uns im Klartext: Euer Selbstmord ist eine | |
großartige Option.“ | |
Am Donnerstagabend hatte sich auch Präsident Wolodimir Selenski in seiner | |
täglichen Videobotschaft zur Causa Amnesty geäußert. Da war auch von | |
„unmoralischer Selektion“ die Rede. Und: „Jeder, der Russland amnestiert | |
und einen derartigen Kontext schafft, muss verstehen, dass das den | |
Terroristen hilft“, sagte Selenski. | |
Das Corpus Delicti ist [2][ein Bericht von Amnesty International (AI), der | |
am Donnerstagmorgen veröffentlicht worden war]. Unter dem Titel „Die | |
ukrainische Kampftaktik gefährdet Zivilist*innen“ erhebt die | |
Menschenrechtsorganisation schwere Vorwürfe gegen die ukrainischen Truppen. | |
Diese operierten bei ihrem Versuch, russische Angriffe zurückzuschlagen, | |
von dicht besiedelten Wohngebieten aus. Dabei nutzten sie auch | |
Krankenhäuser und Schulen als Stützpunkte. Mit diesem Vorgehen, [3][das | |
Kriegsgesetze verletze, werde die eigene Bevölkerung Risiken ausgesetzt]. | |
„Der Umstand, in der Position des Verteidigers zu sein, entbindet das | |
ukrainische Militär nicht davon, das internationale Völkerrecht zu | |
respektieren“, heißt es in dem Bericht. | |
Gleichzeitig betont die Organisation, dass bei den von ihr dokumentierten | |
russischen Angriffen international geächtete Waffen, wie Streubomben, | |
eingesetzt worden seien. Das sei auch durch die ukrainische Kampfpraxis in | |
keinster Weise gerechtfertigt. | |
Der Verweis auf Streubomben wie überhaupt auf russische Kriegsverbrechen, | |
die Gegenstand mehrerer Amnesty-Berichte sind, findet sich auch in einer | |
ersten Reaktion der AI-Generalsekretärin Agnès Callamard. „Ukraine und | |
russische Medienmobs und Trolle: Alle sind sie heute dabei, um die | |
Recherchen von Amnesty anzugreifen. So etwas nennt man Kriegspropaganda, | |
Des- und Falschinformation. Das wird unsere Unparteilichkeit nicht | |
beeinträchtigen und die Fakten nicht ändern. Amnesty hat unermüdlich die | |
russische Aggression dokumentiert. Allen, die uns angreifen, sage ich: | |
Überprüfen Sie unsere Arbeit. Wir stehen an der Seite aller Opfer“, | |
[4][schreibt Callamard auf Twitter]. | |
Dieses Statement dürfte die Wut in der Ukraine eher noch angeheizt haben – | |
genauso wie ein Tweet der Leiterin der Kiewer AI-Filiale Oksana | |
Pokaltschuk. Das Büro sei weder in die Vorbereitung noch die Erstellung des | |
Textes mit einbezogen worden. Bereits im Anfangsstadium der Erarbeitung des | |
Berichts seien die ukrainischen Vertreter*innen von Amnesty in eine | |
Sackgasse geraten. Die Argumente des Teams in Bezug auf die Unzulässigkeit | |
und Unvollständigkeit dieses Materials seien nicht berücksichtigt worden, | |
heißt es da. | |
Der jüngste Aufruhr erinnert in fataler Weise an den [5][Umgang Amnestys | |
mit Alexei Nawalny im vorigen Jahr]. Im Januar hatte Amnesty den | |
inhaftierten Kremlkritiker als gewaltlosen politischen Gefangenen | |
(„Prisoner of Conscience“) anerkannt. Im Februar war ihm der Status | |
aberkannt worden – angeblich eine Reaktion auf Hinweise „besorgter | |
Bürger*innen“, die an seinen xenophoben Kommentaren Anstoß genommen hatten. | |
Nur wenige Monate später, im Mai gab Amnesty Nawalny den Status zurück und | |
kündigte eine Analyse an, wie es zu dieser Entscheidung habe kommen können. | |
Damals hatte das Image von Amnesty massiv gelitten. Das dürfte heute nicht | |
anders sein – vor allem in der Ukraine: „Dieser Bericht, das war wie ein | |
Messerstich in den Rücken“, sagt ein ukrainischer Journalist, der seinen | |
Namen nicht nennen möchte. Und in einem Kommentar der ukrainischen Webseite | |
focus.ua heißt es: „Ich halte Amnesty International für eine erbärmliche | |
Organisation, die schon lange den Bezug zur Realität verloren hat. Sie hat | |
sich gleichermaßen in die Hände nützlicher Idioten und Dreckskerle | |
begeben.“ | |
5 Aug 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.facebook.com/aleksey.kopytko | |
[2] /Bericht-von-Amnesty-International/!5872502 | |
[3] /Vorwuerfe-von-Amnesty-gegen-die-Ukraine/!5868245 | |
[4] https://twitter.com/AgnesCallamard | |
[5] /Umgang-mit-Kremlgegner-Alexei-Nawalny/!5749462 | |
## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
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