| # taz.de -- Russischer Einfluss auf dem Balkan: Noch eine Zeitenwende? | |
| > Unter dem Einfluss des Ukrainekrieges ändert der Westen seine | |
| > Balkanpolitik. Doch Zugeständnisse an Serbien können gefährliche | |
| > Konflikte auslösen. | |
| Bild: Putin-Freunde am „Tag des Sieges“ in Belgrad | |
| Die bisherige westliche Strategie auf dem Balkan wird gerade auf den Kopf | |
| gestellt. Einerseits unterstützen USA und EU den Kampf der Ukrainer für | |
| demokratische und westliche Werte. Auf dem Balkan aber wollen die USA und | |
| in deren Schlepptau auch die EU ethno-nationalistische Positionen | |
| akzeptieren und hoffen so, den Einfluss Moskaus dort zu begrenzen. Sie | |
| streben deshalb sogar „Deals“ mit Politikern an, [1][die Kriegsverbrechen | |
| verteidigen] und sich offen als Sympathisanten Putins zu erkennen geben. | |
| Lange war es westliche Strategie, die Staaten des Westbalkans zu | |
| demokratisieren und in die „Wertegemeinschaft“ der EU zu führen. Dies ist | |
| nach Ansicht einiger amerikanischer Kritiker aufgegeben worden. Die | |
| Demokratisierung der Gesellschaften, die Aufarbeitung der Geschichte und | |
| die Durchsetzung von Menschenrechten spielen letztendlich keine Rolle mehr. | |
| So jedenfalls sieht es der Politologe Janusz Bugajski, der davon ausgeht, | |
| dass die USA den Westbalkan de facto in drei Einflusssphären – die | |
| serbische, kroatische und albanische – aufteilen wollen. USA und EU streben | |
| seiner Ansicht nach jetzt einen Deal mit den ethno-nationalistischen | |
| Kräften auf dem Balkan an und lassen die bisherigen prowestlichen und | |
| demokratischen Positionen fallen. Angesichts des Kriegs in der Ukraine hege | |
| man in Washington die Hoffnung, den serbischen, autokratisch regierenden | |
| Präsidenten Aleksandar Vučić auf die [2][westliche Seite ziehen zu können] | |
| und gleichzeitig der mit Putin sympathisierenden kroatischen Rechten | |
| entgegenzukommen. So jedenfalls kommentiert einer der besten Kenner der | |
| Region, Kurt Bassuener, vom transatlantischen Thinktank Democratization | |
| Policy Council e. V. (DPC) die neue Politik. | |
| Die Äußerungen des seit 2021 amtierenden US-Botschafters in Belgrad, | |
| Christopher Hill, und die Positionen von Gabriel Escobar, der | |
| US-Sonderbeauftragten für den Balkan, zeigen die Richtung auf. Vor allem | |
| die „Lösung“ der Kosovo- und Bosnienfrage liegt ihnen am Herzen. Escobar | |
| will „friedliche, verlässliche und freundliche Beziehungen“ zwischen | |
| Serbien und Kosovo schaffen, um Serbien den Weg in die EU und Nato zu | |
| ebnen. Dies soll vor allem mit Druck auf die Kosovoregierung in Prishtina | |
| erreicht werden. | |
| Verbündete im UN-Sicherheitsrat | |
| Die ehemalige autonome Region Kosovo erklärte sich mithilfe der USA 2008 | |
| für [3][unabhängig von Serbien]. Serbien hat diesen Akt nie akzeptiert und | |
| mit Russland und China Verbündete im UN-Sicherheitsrat gefunden. Weil aber | |
| die serbische Gesellschaft sich gleichzeitig eine Zukunft in der EU | |
| wünscht, wollen USA und EU das Land mit weitreichenden Zugeständnissen ins | |
| westliche Lager locken. | |
| Der von Belgrad vehement geforderte „Verbund serbischer Gemeinden“ im | |
| Kosovo würde den Einfluss Belgrads im Kosovo stärken und böte die | |
| Möglichkeit, direkt in das Land hineinzuregieren. Die Kosovoführung unter | |
| Albin Kurti fürchtet, der serbische Gemeindeverbund würde die Existenz | |
| Kosovos gefährden. Deswegen wehrt sie sich mit Händen und Füßen gegen diese | |
| Forderung. | |
| Hinzu kommt: Dass in Montenegro nach den letzten Wahlen die proserbischen | |
| und damit die Pro-Putin-Kräfte stärker wurden, ist von den USA und der EU | |
| einfach hingenommen worden. In Bosnien und Herzegowina ist der Widerstand | |
| gegen den offen als Freund Putins auftretenden Milorad Dodik, Präsident des | |
| serbisch kontrollierten Landesteils Republika Srpska, schwächer geworden. | |
| Dodik will ohne Rücksicht auf die Zentralregierung, den Obersten | |
| Gerichtshof, die internationalen Institutionen und die bosniakische | |
| Mehrheitsbevölkerung in Sarajevo und ganz Bosnien im serbisch | |
| kontrollierten Landesteil schalten und walten, wie er will. | |
| Dodik wollte am liebsten sogar den Hohen Repräsentanten der internationalen | |
| Gemeinschaft – zurzeit der [4][deutsche CSU-Politiker Christian Schmidt] – | |
| abschaffen. Denn der hat mit seinen Sondervollmachten immer noch ein | |
| Wörtchen in Bosnien mitzureden. Doch das muss Dodik nun nicht mehr, drohen | |
| doch die USA, die EU und der Hohe Repräsentant nicht einmal mehr mit | |
| Konsequenzen wegen seiner Politik. | |
| Rückendeckung aus Zagreb | |
| Die demokratiefeindlichen, nationalistischen Extremisten der kroatischen | |
| Volksgruppe in Bosnien und Herzegowina scheinen sogar gegen den Willen der | |
| bosniakischen Mehrheitsbevölkerung unterstützt zu werden. Mit Rückendeckung | |
| aus Zagreb und einer breitangelegten Lobbytätigkeit in Brüssel gelang es | |
| der herzegowinischen Extremistenpartei HDZ-BiH, die Macht im zweiten | |
| Teilstaat, der bosniakisch-kroatischen Föderation, zu übernehmen. | |
| Monatelang übten Escobar und die EU-Diplomaten Borrell und Lajčak Druck auf | |
| die nichtnationalistischen Parteien aus, in eine Koalition mit den | |
| kroatischen Nationalisten einzuwilligen. Ziel war es, die | |
| bosniakisch-muslimische Nationalpartei SDA zu entmachten. | |
| Über fünf Jahre hatten diese Kroaten die Institutionen des | |
| bosniakisch-kroatischen Teilstaates boykottiert und mithilfe Schmidts eine | |
| Wahlreform durchgesetzt, die zwar ihren Interessen, aber keineswegs | |
| europäischen Wahlrechtsnormen entspricht. Jetzt wollen sie, wieder | |
| gemeinsam mit den serbischen Extremisten, einen Kampf gegen „die Muslime“ | |
| des Balkans generell führen und streben unter dem Beifall der | |
| rechtsgerichteten Strömungen der EU eine „christliche“ Dominanz auf dem | |
| Balkan, vor allem in Bosnien an. | |
| Die Politik der USA und der EU [5][stützt die demokratiefeindlichen Kräfte | |
| auf dem Balkan] und schafft damit gefährliche Konfliktpotenziale. Viele | |
| Menschen in Sarajevo fragen sich, wo eigentlich die vor Kurzem noch als | |
| positiv wahrgenommene Stimme der deutschen Politik bleibt. Die ist derzeit | |
| nicht zu hören. Will Berlin, die Außenministerin, wollen die Grünen und die | |
| deutschen Menschenrechtler den Paradigmenwechsel auf dem Balkan wirklich | |
| unwidersprochen hinnehmen? | |
| 12 May 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Erich Rathfelder | |
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