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# taz.de -- Grüne über Migrationsdebatte: „Wir können damit umgehen“
> Das Problem sei nicht Migration, sondern eine dysfunktionale
> Infrastruktur, sagt die Grüne Misbah Khan. Sachliche Vorschläge hätten es
> gerade schwer.
Bild: Eine Tschetschenin und ihr Sohn in einer Unterkunft: „Migration wird es…
taz: Frau Khan, in der Migrationsdebatte geht es gerade vor allem um
Verschärfungen. Sei es die Reform des europäischen Asylrechts,
Sachleistungen für Geflüchtete oder schärfere Abschiebegesetze: Wie passt
das zum grünen Selbstverständnis?
Misbah Khan: Die Herausforderung ist, Humanität hochzuhalten und
gleichzeitig für Ordnung zu sorgen. Davon sprechen wir Grünen aber schon
seit Langem. Es muss beides geben, nicht nur das eine ohne das andere. Die
Debatte gibt sich einem enormen Rechtsruck hin. Wir müssen sachlich
bleiben, wo andere vor allem Symbolpolitik machen.
Die Stimmen, die gegenhalten, [1][sind aber sehr leise]. Auch die grünen
Minister*innen haben den Verschärfungen im Abschiebungsrecht
zugestimmt. Diese beinhalten viele Härten, die kaum zu mehr Abschiebungen
führen werden. Ist das sachlich?
In dem Entwurf sind noch Fragen offen, gerade beim Schutz von Kindern und
Familien. [2][Das werden wir im parlamentarischen Prozess noch besprechen
müssen]. Klar ist: Es ist völlig o. k., über Rückführungen zu sprechen. Das
darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die meisten, die kommen, vor
Krieg und Terror fliehen – und ein Recht auf Schutz haben. Deswegen müssen
wir endlich die eigentlichen Fragen in den Blick nehmen: Welche
Perspektiven können wir diesen Menschen anbieten, und wie kann Integration
gelingen?
„Behörden kommen kaum noch hinterher“ schreiben Ihre Parteichefin Ricarda
Lang und Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann
[3][gerade im Tagesspiegel]. Die „Zahlen“ müssten „sinken“. Sehen Sie …
auch so?
Wenn wir uns gut vorbereiten, dann können wir mit einer großen Zahl an
Menschen umgehen. Es gibt Grundrechte, und die können wir Menschen nicht
deshalb absprechen, weil unsere Infrastruktur überlastet ist. Stattdessen
müssen wir schauen, wie wir die Herausforderung bewältigen, und zwar
nachhaltig. Fluchtbewegungen wird es immer geben. Wir müssen unsere
Verwaltung fit machen für das 21. Jahrhundert.
Wie meinen Sie das?
Wir diskutieren, als wäre Migration das Hauptproblem für unsere Verwaltung.
Das stimmt aber nicht. Wir haben eine wahnsinnig dysfunktionale Verwaltung,
die im analogen Zeitalter hängen geblieben ist. Selbst, wenn die Zahlen
sinken, wären die Behörden noch überlastet. Das müssen wir ändern, auch mit
Blick auf die dringend nötige Migration von Fachkräften.
An was denken Sie da?
Wir haben das weltweit komplexeste Aufenthaltsrecht, und immer wieder wurde
nachjustiert. Nicht mal die Leute in den Ausländerbehörden blicken da noch
durch. Wie wäre es mit einer Expert*innenkommission, die Vorschläge macht
für ein widerspruchsfreies Einwanderungsrecht aus einem Guss? Wir müssen
auch endlich bei der Digitalisierung der Verwaltung vorankommen und
Verfahren vereinfachen: Braucht es Ausländerbehörde und Bundesagentur für
Arbeit, wenn Ausbildungsvisa vergeben werden, oder reicht eine Behörde?
Kann man Dokumente verschicken, statt ständig Termine mit persönlicher
Vorsprache zu vereinbaren? Wenn wir die Zeiträume für Aufenthaltstitel und
Duldungen verlängern, hätten die Sachbearbeiter nicht ständig die gleichen
Fälle auf dem Tisch. Wir müssen schauen, wo unsere Regelungen zu
bürokratischen und arbeitsintensiven Endlosverfahren führen – und wie wir
das verschlanken können.
Das hilft aber nicht, wenn es [4][in den Kommunen keine Wohnungen,
Kitaplätze und Lehrer*innen] gibt.
Das stimmt, wir müssen die Kommunen dringend nachhaltig unterstützen. Immer
ad hoc Infrastruktur auf- und dann wieder abzubauen, funktioniert nicht.
Eine Lösung könnten Vorhaltepauschalen sein; dass also der Bund Strukturen
so mitfinanziert, dass sie auch zur Verfügung stehen, wenn sie gerade nicht
gebraucht werden. Und statt Geflüchtete zu gängeln, sollten wir uns
grundsätzlich um die sozialen Fragen kümmern: Wie schaffen wir mehr
Wohnraum? Wie lösen wir den Arbeitskräftemangel? Wie stabilisieren wir das
Sozialsystem? Wie gelingt Integration, sodass die Menschen schnell auf
eigenen Beinen stehen?
Deutschland braucht jährlich eine Zuwanderung von mindestens 260.000
Menschen für den Arbeitsmarkt. Viele, auch in der Koalition, sind aber
skeptisch, wenn es um die Vermischung von Flucht- und Arbeitsmigration
geht.
Die aktuelle Debatte führt zu einem Klima, [5][das generell
migrationsfeindlich ist]. Das ist ein großes Problem. Fakt ist doch, dass
wir bei Abschiebungen gerade oft die Falschen treffen: Die, die gut
integriert sind, einen Job haben, eine Ausbildung oder zur Schule gehen.
Dass das Kabinett jetzt den [6][Arbeitsmarktzugang für Asylsuchende und
Geduldete erleichtert], ist genau richtig. Der Spurwechsel, den wir vor der
Sommerpause beschlossen haben, geht genau in die richtige Richtung. Es wäre
sinnvoll, den Spurwechsel deutlich zu erweitern und für mehr Menschen zu
öffnen. Aber es wird immer schwieriger angesichts des massiven Rechtsrucks
in der Debatte, solche sachorientierten Vorschläge zu machen.
1 Nov 2023
## LINKS
[1] /Asylverschaerfung-in-Bruessel/!5963271
[2] /Verschaerfte-Abschieberegeln/!5966568
[3] https://www.tagesspiegel.de/meinung/funf-vorschlage-fur-mehr-ordnung-in-der…
[4] /Zelte-fuer-Gefluechtete-in-Hamburg/!5968819
[5] /Migrationsdebatte/!5965241
[6] /Fluchtmigration-und-Beschaeftigung/!5970462
## AUTOREN
Dinah Riese
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