# taz.de -- Verschärfte Abschieberegeln: Neue deutsche Härte | |
> Die Bundesregierung heizt die Diskussion mit verschärften | |
> Abschieberegeln weiter auf – und erntet Kritik. Doch was genau wurde | |
> beschlossen? | |
Bild: Hier bis 28 Tage Haft, andernorts bis zu sechs Monaten: Abschiebezelle am… | |
BERLIN taz | Die Worte von Nancy Faeser waren deutlich: „Wir sorgen dafür, | |
dass Menschen ohne Bleiberecht schneller unser Land verlassen müssen“ – so | |
bewarb die Bundesinnenministerin am Mittwoch die verschärften | |
Abschieberegelungen, auf [1][die das Bundeskabinett sich gerade geeinigt | |
hatte]. Nur so, betonte die SPD-Politikerin, könne Deutschland seiner | |
humanitären Verantwortung für die Menschen weiterhin gerecht werden, „die | |
wir vor Krieg und Terror schützen müssen – wie die 1,1 Millionen | |
Geflüchteten aus der Ukraine“. Der Fahrplan ist klar: Hier die | |
Ukrainer*innen, die wirklich Hilfe brauchen – und da der Rest, der hier | |
nichts zu suchen hat. | |
In den vergangenen beiden Jahren habe Deutschland im Mittel jeweils 12.000 | |
Menschen abgeschoben, heißt es im Gesetzentwurf. Nun sollen es mehr werden | |
– wenn auch nur ein bisschen. Mit rund 600 zusätzlichen Abschiebungen | |
rechnet die Regierung pro Jahr. Dafür nimmt sie weitreichende Eingriffe in | |
die Grundrechte Geflüchteter in Kauf. Im Entwurf aufgezählt sind | |
Einschränkungen der Freiheit der Person, des Fernmeldegeheimnisses und der | |
Unantastbarkeit der Wohnung. | |
Ganz konkret: Die Sicherungshaft, die etwa bei Fluchtgefahr Abzuschiebender | |
verhängt werden kann, soll von drei auf sechs Monate ausgeweitet werden. | |
Der Ausreisegewahrsam unmittelbar vor der Abschiebung soll von 10 auf bis | |
zu 28 Tage verlängert werden. Für diesen Freiheitsentzug braucht es | |
überhaupt keine Haftgründe mehr. | |
Behörden sollen Datenträger wie etwa die Mobiltelefone Geflüchteter bereits | |
dann auslesen dürfen, wenn diese keinen Pass oder Passersatz vorweisen | |
können. Auch Wohnräume sollen durchsucht werden können, um an Datenträger | |
und Unterlagen zu gelangen. In Gemeinschaftsunterkünften sollen im Zweifel | |
auch die Räume Dritter betreten werden können, die gar nicht abgeschoben | |
werden sollen. Abschiebungen mitten in der Nacht sollen deutlich | |
vereinfacht werden. | |
## Kritik von Verbänden, Anwälten und Kirchen | |
Bei Menschen, die seit mindestens einem Jahr in Deutschland geduldet sind, | |
musste eine Abschiebung bisher angekündigt werden. Das soll entfallen, | |
außer bei Familien mit Kindern unter 12 Jahren. Mitglieder krimineller | |
Vereinigungen sollen künftig auch ohne strafrechtliche Verurteilung | |
abgeschoben werden können. Auch Schleuser*innen sollen leichter | |
ausgewiesen werden können. | |
Der Paritätische Wohlfahrtsverband erklärt, Haft dürfe als „gravierendster | |
Eingriff in das Grundrecht auf Freiheit immer nur Ultima Ratio sein“. Im | |
Entwurf würden aber mildere Mittel gar nicht diskutiert, sondern allein | |
praktische Gründe angeführt. Der auf Abschiebehaft spezialisierte Anwalt | |
Peter Fahlbusch kritisiert seit Langem, dass schon jetzt mehr als jede | |
zweite Abschiebehaft rechtswidrig sei. Zählt er alle seit 2001 von ihm | |
vertretenen Fälle zusammen, kommt der Anwalt auf „90 Jahre rechtswidrige | |
Haft“. Mit Blick auf das Gesetzesvorhaben ist er sicher: „Mehr Haft wird zu | |
mehr rechtswidriger Haft führen.“ | |
[2][Der Deutsche Anwaltverein kritisiert] unter anderem das Auslesen von | |
Handys. Behörden hätten damit auch Zugriff auch höchst private Nachrichten | |
und Fotos Betroffener – obwohl diese noch nicht einmal die Möglichkeit | |
bekommen hätten, ihre Identität aufzuklären. Auch die Haftandrohung von bis | |
zu drei Jahren bei unrichtigen oder unvollständigen Aussagen im | |
Asylverfahren sei unverhältnismäßig. Falschaussagen führten schon jetzt | |
dazu, dass Asylanträge als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt werden. | |
Die Strafe verletze den Grundsatz, dass sich niemand selbst belasten müsse. | |
Die beiden großen Kirchen bezweifeln, dass die Maßnahmen „zu mehr und zu | |
schnelleren Abschiebungen führen“ werden. Die geplanten „schweren Eingriffe | |
in Grundrechte“ seien „aus kirchlicher Perspektive nicht mehr | |
verhältnismäßig“. | |
## Irreführende Zahlen | |
Die Vorschläge stießen „zu Recht auf einhellige Ablehnung von Kirchen, | |
Wohlfahrtsverbänden und zivilgesellschaftlichen Organisationen“, findet die | |
Grünen-Bundestagsabgeordnete Filiz Polat. Auch sie sieht | |
„unverhältnismäßige Eingriffe in die Grundrechte“. Eine Kritik, die die | |
Innenministerin zu kontern weiß: Auch die grünen Minister*innen hätten | |
mit am Kabinettstisch gesessen und zugestimmt. Wohl auch, weil es im | |
Gegenzug bald Liberalisierungen bei Arbeitsverboten für Geduldete geben | |
soll. | |
An [3][der aktuellen Belastung in den Kommunen] werden schärfere Regeln | |
kaum etwas ändern. Zum einen bekommt der allergrößte Teil der Asylsuchenden | |
in Deutschland Schutz. Das zeigt ein Blick auf die bereinigte Schutzquote – | |
also auf jene Fälle, die inhaltlich entschieden wurden. Diese liegt auf | |
einem Rekordniveau von über 70 Prozent. Das überrascht nicht, die | |
Hauptherkunftsländer sind derzeit Syrien und Afghanistan. Dazu kommen | |
diejenigen, die erfolgreich gegen ihre ablehnenden Bescheide klagen. Rund | |
40 Prozent von ihnen bekommen Recht. Von Abschiebung kann hier keine Rede | |
sein. | |
Auch sonst wird immer wieder mit irreführenden Zahlen hantiert. So hatte | |
CDU-Chef Friedrich Merz Ende September nicht nur behauptet, abgelehnte | |
Asylsuchende nähmen Deutschen die Plätze beim Zahnarzt weg. Er erklärte | |
auch, es seien „300.000 Asylbewerber abgelehnt“, die nicht ausreisen | |
würden. | |
Tatsächlich hielten sich in Deutschland zum Stichtag 31. August 2023 rund | |
260.000 Ausreisepflichtige auf. Nur bei rund 155.000 Fällen handelt es sich | |
überhaupt um abgelehnte Asylbewerber*innen. Von denen sind nur 19.400 | |
„vollziehbar ausreisepflichtig“. Rund 87 Prozent hingegen sind geduldet, | |
können also aktuell gar nicht abgeschoben werden. Das kann daran liegen, | |
dass ihre Identität nicht geklärt ist, oder daran, dass ihre | |
Herkunftsstaaten sie nicht zurücknehmen. In vielen Fällen sind | |
Abschiebungen nicht möglich, weil die minderjährigen Kinder der Betroffenen | |
hier einen Schutzstatus haben. Oder wegen gesundheitlicher Gründe. | |
## Neuer Höhepunkt der Asyldebatte | |
Das Gesetzesvorhaben ist das Ergebnis von Verhandlungen zwischen Bund und | |
Ländern seit Mai diesen Jahres. Es war also lange vorbereitet. Trotzdem ist | |
es der nächste Höhepunkt in einer sich immer weiter hochschaukelnden | |
Asyldebatte, in der es vor allem darum geht, Härte zu zeigen. Erst vor | |
einer Woche prangte ein Foto von Olaf Scholz auf dem Cover des Spiegel, | |
darunter die Aussage, [4][man müsse „endlich in großem Stil abschieben“]. | |
In sozialen Medien verglichen Nutzer*innen das mit Wahlplakaten der AfD | |
oder der NPD, auf denen steht „Konsequent abschieben“. | |
Auch in der eigenen Partei waren einige nicht erfreut über Scholz’ | |
Schwerpunktsetzung. Solche Worte seien der „Weg in die rechte Sackgasse“, | |
kritisierte Aziz Bozkurt, Vorsitzender der AG Migration und Vielfalt in | |
der SPD, in der taz. [5][Die Jusos erklärten], die Kanzler-Forderung käme | |
„direkt aus dem Vokabular des rechten Mobs“. Die SPD dürfe nicht mitmachen | |
beim „rhetorischen Überbietungswettbewerb in der Asylpolitik“, sagte die | |
stellvertretende SPD-Vorsitzende Serpil Midyatli. | |
Tatsächlich hat der Kanzler harte Konkurrenz aus der Union. CDU-Chef | |
Friedrich Merz betonte nach dem Hamas-Massaker in Israel, Migration sei der | |
Hauptgrund für Antisemitismus hierzulande. Man könne nicht noch mehr | |
Geflüchtete aufnehmen, es gebe schon „genug antisemitische junge Männer im | |
Land“. Jens Spahn befürwortete jüngst, „irreguläre | |
Migrationsbewegungen“ gegebenenfalls „mit physischer Gewalt“ | |
aufzuhalten. Sachsens Innenminister Armin Schuster forderte, Deutschland | |
solle Straftäter und Gefährder auch nach Syrien oder Afghanistan | |
abschieben. | |
Die Landtagswahlen in Hessen und Bayern sind vorbei. Die Migrationsdebatte | |
ist es noch lange nicht. | |
28 Oct 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Verschaerfung-fuer-Gefluechtete/!5965501 | |
[2] /Juristin-ueber-Migrationspolitik/!5965380 | |
[3] /Gruene-Oberbuergermeisterin-zu-Asylpolitik/!5965974 | |
[4] /Migrationspolitik-von-Olaf-Scholz/!5968802 | |
[5] https://twitter.com/jusos/status/1715406774029746392 | |
## AUTOREN | |
Dinah Riese | |
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