# taz.de -- Parlamentswahl in Polen: Jubel bei der Dreier-Koalition | |
> Oppositionsführer Tusk könnte die künftige Regierung stellen. Die PiS | |
> wurde zum dritten Mal in Folge Wahlsieger, verfehlt aber die absolute | |
> Mehrheit. | |
Bild: Donald Tusk, ehemaliger polnischer Ministerpräsident, spricht zu Anhäng… | |
WARSCHAU taz | Jubelnd reißt Donald Tusk, Polens Oppositionsführer, | |
Ex-Premier und ehemaliger EU-Ratspräsident, die Arme hoch, als die | |
Ergebnisse der Nachwahlbefragungen über die Bildschirme flimmern: „Ich bin | |
der glücklichste Mensch auf Erden“, ruft er seinen Anhängern zu. „Noch nie | |
habe ich mich so über einen zweiten Platz gefreut!“, strahlt er und | |
schüttelt die Hände so vieler Menschen, wie er zu fassen bekommt. Auf der | |
Wahlparty der [1][liberal-konservativen Bürgerkoalition (KO)] in Polens | |
Hauptstadt Warschau lachen am Sonntagabend alle wie befreit von einer | |
schweren Last, fallen sich um den Hals und wiederholen die Worte von Tusk: | |
„Die Demokratie hat gewonnen. Polen hat gewonnen.“ | |
In der Parteizentrale der nationalpopulistischen [2][Recht und | |
Gerechtigkeit (PiS), die acht Jahre lang die Regierung Polens stellte], | |
herrscht dagegen eine niedergedrückte Stimmung. Jarosław Kaczyński muss | |
sich am Rednerpult festhalten. Er kann seine Enttäuschung nur schwer | |
verbergen. Denn die PiS hat zwar zum dritten Mal in Folge die | |
Parlamentswahlen gewonnen, [3][doch laut den Nachwahlbefragungen des | |
Umfrageinstituts Ipsos nur mit 36,8 Prozent]. | |
Das reicht nicht für eine Mehrheit im Sejm, dem polnischen | |
Abgeordnetenhaus. Zudem büßte der einzig mögliche Koalitionspartner der | |
PiS, die antisemitische, antiukrainische und rechtsextreme Konfederacja gut | |
die Hälfte ihrer potenziellen Wählerstimmen ein und kam gerade mal auf 6,2 | |
Prozent der Wählerstimmen. | |
„Das ist ein großer Erfolg“, versucht Kaczyński die Stimmung zu heben. Do… | |
in die versteinerten Mienen seiner Mitstreiter schleicht sich nur ein | |
verkrampftes Lächeln. Allen ist klar, dass viele von ihnen vor dem Kadi | |
landen werden, sollte Tusk als künftiger Premier sein Wahlversprechen der | |
„Abrechnung mit den Gesetzesbrechern der PiS“ wahrmachen. Statt also der | |
siegreichen Koalition zu gratulieren, wie dies in Demokratien üblich wäre, | |
droht Kaczyński den Wahlsiegern: „Unabhängig davon, ob wir an der Macht | |
sind oder in der Opposition, wir werden dieses Projekt umsetzen und nicht | |
zulassen, dass Polen verraten wird.“ | |
## Die Regierungsbildung könnte sich hinauszuzögern | |
Angeblich drohe schon in den nächsten Tagen dieser „Verrat an Polen“, wie | |
ein PiS-Politiker in einer Nachwahldiskussion warnte. Das | |
Einstimmigkeitsprinzip im Europäischen Rat solle aufgehoben werden, um die | |
EU fitter für die nächste Erweiterungsrunde zu machen. Doch laut PiS | |
bedeute dies den Verlust der Unabhängigkeit Polens. Und die polnischen | |
EU-Abgeordneten der siegreichen Oppositionsparteien wollten für diesen | |
„Verrat“ stimmen. | |
Welche Knüppel die PiS der künftigen polnischen Regierung zwischen die | |
Beine werfen wird, ist noch nicht klar. Aber bis zu den | |
Präsidentschaftswahlen, spätestens im Jahr 2025, wird es sehr schwer. | |
[4][Andrzej Duda], der aus der PiS stammt, wird alles tun, um die | |
Regierungsbildung hinauszuzögern, und wohl als Erstes Jarosław Kaczyński | |
oder aber Mateusz Morawiecki, dem bisherigen Premier, den Regierungsauftrag | |
erteilen, da die PiS rein formal Wahlsiegerin geworden ist. | |
Zwar wird das endgültige Wahlergebnis erst am Dienstag feststehen, doch es | |
ist unwahrscheinlich, dass die Zahlen sich noch grundsätzlich drehen. | |
Vorläufig sehen die Wahlergebnisse so aus: Mit 31,6 Prozent der Wahlstimmen | |
gewinnt Tusks KO 163 Abgeordnetenmandate. Dazu kommen 55 Mandate des | |
christlich-konservativen Dritten Wegs (13 Prozent) und 30 Mandate der | |
sozialdemokratischen Linken (8,6 Prozent). Mit diesen Juniorpartnern will | |
die KO eine Dreier-Koalition bilden. Zusammen wären dies 248 von insgesamt | |
460 Sitzen im Sejm, also eine komfortable Mehrheit für die künftige | |
Regierung. | |
Die PiS hingegen kommt mit ihren 36,8 Prozent auf 200 Mandate im Sejm, zu | |
denen eventuell noch 12 Mandate der Konföderation hinzukämen. Um regieren | |
zu können, bräuchte die PiS aber über die Hälfte (231) der 460 Mandate im | |
Sejm. | |
Dass die PiS die Wahl verloren hat, obwohl sie Wahlsieger ist, hat mit der | |
Wahlbeteiligung zu tun. Rund 73 Prozent der Wahlberechtigten haben am | |
Sonntag ihre Stimme abgegeben. So viel wie noch nie zuvor. Der stark | |
polarisierende Wahlkampf aller Parteien hat viele Polen davon überzeugt, | |
dass es diese Mal um mehr geht als bloß eine weitere Wahl. Auf dem Spiel | |
stand die Zukunft Polens in der Europäischen Union. Elf Millionen Wähler | |
stimmten für ein proeuropäisches Polen, acht Millionen dagegen. Die einen | |
wie die anderen waren überzeugt: „Es ist eine Schicksalswahl.“ | |
16 Oct 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Parlamentswahl-in-Polen-am-Sonntag/!5962565 | |
[2] /Vor-den-Wahlen-in-Polen/!5962096 | |
[3] /Parlamentswahl-in-Polen/!5966466 | |
[4] /Treffen-des-Weimarer-Dreiecks-in-Paris/!5940537 | |
## AUTOREN | |
Gabriele Lesser | |
## TAGS | |
Polen | |
Donald Tusk | |
Parlamentswahl | |
PiS | |
Jarosław Kaczyński | |
GNS | |
IG | |
Polen | |
Polen | |
Polen | |
Polen | |
Polen | |
Polen | |
Polen | |
Polen | |
Polen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Regierungsbildung in Polen: Abgang in Raten | |
Nach der Wahl hat die PiS keine Mehrheit im Parlament. Trotzdem erteilt | |
Präsident Duda dem bisherigen Premier Morawiecki einen Regierungsauftrag. | |
Regierungsbildung in Polen: Startklar für den Machtwechsel | |
Drei Oppositionsparteien unterzeichnen einen Koalitionsvertrag. Wer Premier | |
wird oder welchen Posten im Kabinett bekommt, ist noch unklar. | |
Parlamentswahl in Polen: PiS in die Schranken gewiesen | |
Die Rechtskonservativen verlieren, das Oppositionsbündnis gewinnt. Bis in | |
Warschau eine neue Regierung steht, dürfte es aber noch dauern. | |
Wahlausgang in Polen: Lebendige Zivilgesellschaft | |
Die Euphorie über das polnische Wahlergebnis entlarvt zu Teilen westliche | |
Arroganz. Höchste Zeit, Polens Zivilgesellschaft wahrzunehmen. | |
Wahlsieg der Opposition in Polen: Polen und die EU sollen diese Chance ergreifen | |
Nach der Wahl in Polen rückt das Ende des PiS-Regimes näher. Die EU sollte | |
jetzt schnell die politische und wirtschaftliche Nähe zu Warschau suchen. | |
Parlamentswahl in Polen: Opposition feiert schon | |
Laut Nachwahlbefragung könnte eine Koalition unter Oppositionsführer Tusk | |
mit einer Mehrheit rechnen. Die national-konservative PiS bleibt stärkste | |
Partei. | |
Wahlen in Polen: Warten auf den Scheck vom Tätervolk | |
Die Propaganda der polnischen Regierungspartei und ihrer Staatsmedien hatte | |
in diesem Wahlkampf ein bevorzugtes Feindbild: Deutschland. | |
Parlamentswahl in Polen: Es wird sehr knapp | |
Die Chancen der demokratischen Opposition steigen, die | |
nationalpopulistische PiS abzulösen. Auf Koalitionspartner sind alle | |
Parteien angewiesen. | |
Parlamentswahl in Polen am Sonntag: Mit vereinten Kräften | |
Eine Bürgerkoalition, angeführt von Ex-Premier Donald Tusk, fordert die | |
Rechtspopulisten der PiS heraus. Ihre Chancen stehen erstaunlich gut. |