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# taz.de -- Wahlen in Polen: Warten auf den Scheck vom Tätervolk
> Die Propaganda der polnischen Regierungspartei und ihrer Staatsmedien
> hatte in diesem Wahlkampf ein bevorzugtes Feindbild: Deutschland.
Bild: Reiche Ernte für Nationalismus? Kaczyński beim Erntedankfest in August …
Eigentlich regieren in Polen gar keine Polen, sondern Deutsche, und das
schon seit Jahrzehnten, verbreitet der polnische Staatssender TVP seit
Monaten. Der größte „Volksverräter“, der sich seine Instruktionen
regelmäßig in Berlin abhole, sei Donald Tusk, der dringend „zurück zu
seinen Deutschen vertrieben“ werden müsse, hämmert Polens Premier Mateusz
Morawiecki [1][von der nationalpopulistischen Recht und Gerechtigkeit
(PiS)] den polnischen Bürgern immer wieder ein. Zusammen mit Tusk sollte
man auch gleich alle seine Anhänger mitvertreiben. Die Wähler müssten am
Sonntag ihr Kreuzchen bei der PiS machen, da nur diese Partei ein Garant
für die Sicherheit und Souveränität Polens sei.
Die permanente Feindpropaganda durch PiS und TVP scheint allerdings [2][auf
keinen fruchtbaren Boden] gefallen zu sein. In einer letzten IBRiS-Umfrage
vor den Wahlen am Sonntag verweisen knapp 58 Prozent der Befragten auf
Russland als größte Bedrohung Polens, danach folgt mit knapp 11 Prozent die
Feststellung „Aktuell bedroht uns niemand“ und erst an dritter Stelle mit
knapp 8 Prozent die Deutschen als „größte äußere Gefahr für Polens
Souveränität“.
Dabei hatten sich die PiS und die ihr nahestehenden Medien große Mühe
gegeben, alte Wunden aus dem Zweiten Weltkrieg aufzureißen, die aktuelle
Bundesrepublik mit dem Deutschen Reich aus der Nazizeit gleichzusetzen und
die Deutschen als ewiges Tätervolk zu brandmarken. Es war Jarosław
Kaczyński, der sich ausdachte, dass Deutschland „nie“ Reparationen an
Polen gezahlt hätte. Zwar wiesen polnische Historiker sofort nach, dass
Polen nach der Sowjetunion die höchsten Reparationsleistungen für den
Wiederaufbau des Landes bekommen hatte und dass auch polnische Kriegsopfer
die höchste Summe an „humanitären Hilfen“ (Entschädigungen) nach Israel
erhalten hatten.
Kaczyński und die PiS leugneten dies. Doch dann behaupteten sie plötzlich,
dass Polen zwar 1953 „auf weitere Reparationen aus Deutschland“ verzichtet
habe, so wie alle anderen Vertragspartner des Potsdamer Abkommens von 1945
auch, doch dieser Verzicht sei angeblich ungültig, da Polen damals kein
„souveräner Staat“ gewesen sei und den Verzicht auf Druck Moskaus geleistet
habe. Inzwischen ist die PiS wieder bei der Version angekommen, Polen hätte
„nie“ Reparationsleistungen aus Deutschland bekommen. Für die
Aufrechterhaltung dieses germanophoben Lügen-Gespinstes gibt die PiS
Millionen an polnischen Steuergeldern aus.
## Erneute Berechnung der Kriegsverluste
Im Sejm, dem polnischen Abgeordnetenhaus, beauftragte ein Fach-Ausschuss
aus PiS-Abgeordneten Historiker, Politologen und Statistiker mit der
erneuten Berechnung der Kriegsverluste. Zahlreiche Geschichtsinstitute
wurden neu gegründet und mit der Aufgabe betraut, die
PiS-Geschichtsideologie als „wahre Geschichte“ zu verbreiten. Es gibt sogar
einen PiS-Minister, der allein für „Kriegsreparationen aus Deutschland“
zuständig ist, ebenfalls auf Kosten der Steuerzahler durch die Welt jettet
und verblüfften Gesprächspartnern kiloschweres „Beweismaterial“ überreic…
Das Gerücht, dass jeder polnische Bürger direkt aus Berlin einen
„Reparationsscheck“ in Höhe von 20.000 oder sogar 40.000 Euro bekommen
würde, weckt Begierden. Wer das Gerücht lanciert hat, ist unbekannt. Doch
es hat dazu geführt, dass heute die meisten Polen auf ebendiesen Scheck aus
Deutschland warten, ohne zu wissen, dass Reparationen immer nur von einem
Staat an einen anderen geleistet werden, sie aber niemals in Form von
Millionen Schecks an Bürger ausgezahlt werden.
Wie wenig Kaczyński seine antideutsche Phobie unter Kontrolle hat, zeigen
nicht nur Sätze wie „Die Deutschen haben eine großartige demokratische
Tradition. Mit Adolf Hitler an der Spitze“ oder sein bösartiger Kommentar
zur deutschen Luftabwehrhilfe mit Patriot-Systemen, die Deutschland Polen
samt 300 Soldaten zur Verfügung stellte: „Es gibt keine Grundlage
anzunehmen, dass sie auf russische Raketen schießen werden.“ Gegen Ende des
Wahlkampfs übertrieb Kaczyński allerdings so sehr, dass Gegner wie
Anhänger sich den Bauch vor Lachen halten mussten.
[3][Der PiS-Wahlspot] war witzig gemeint. Jarosław Kaczyński sitzt zu
Hause an seinem Schreibtisch, als das Telefon klingelt. Auf dem
Fensterbrett spitzt sein schwarzer Kater die Ohren. Am Apparat ist der
deutsche Botschafter in Warschau. Seltsamerweise spricht er aber wie ein
Pole, der versucht, einen starken deutschen Akzent nachzumachen. Diese
Stimme also erklärt Kaczyński, dass Kanzler Olaf Scholz gerne mit ihm über
das Renteneintrittsalter in Polen sprechen würde: „Wir denken, dass es so
sein sollte wie zu Zeiten von Premier Tusk“, sagt die Stimme. Mit
unbewegtem Gesicht starrt Kaczyński in die Kamera vor seinem Schreibtisch:
„Bitte sagen Sie dem Kanzler, dass die Polen darüber in einem Referendum
entscheiden werden. Tusk gibt es nicht mehr. Und diese Angewohnheiten sind
vorbei.“
Dann legt Kaczyński auf und macht eine Miene, als hätte er tatsächlich
gerade Kanzler Scholz eine ordentliche Abfuhr verpasst und [4][die
Souveränität Polens] verteidigt.
15 Oct 2023
## LINKS
[1] /Vor-den-Wahlen-in-Polen/!5962096
[2] /Ein-Jahr-zwischen-Danzig-und-Berlin/!5599257
[3] https://www.youtube.com/channel/UC4GvtI6k6GP7A0u06ECbvlg
[4] /Deutsch-polnische-Beziehungen/!5963398
## AUTOREN
Gabriele Lesser
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