# taz.de -- Polen vor den Wahlen: Ungarische Verhältnisse? | |
> Die Regierungspartei PiS hat mehr Ressourcen und Möglichkeiten als die | |
> Opposition. Auch die Staatsmedien helfen mit. | |
Bild: Wahlplakate in einer Straße in Białobrzegi | |
Die polnischen Straßen sind voll mit Wahlplakaten. Die Politiker tun ihr | |
Bestes, um die Wählerinnen und Wähler mit schlichten Botschaften zu | |
erreichen. Theoretisch sollte das ein Fest der Demokratie sein. Doch neben | |
den farbenfrohen Plakaten mit den Gesichtern der Kandidatinnen und | |
Kandidaten gibt es Dinge, die uns an das eigentliche Problem erinnern. | |
Im Jahr 2015 wurden die Wahlen von Jarosław Kaczyńskis PiS gewonnen. Sofort | |
brach eine Krise des Rechtsstaats aus, die bis auf die Ebene der | |
Europäischen Union vordrang. In Polen begannen nach einer ersten Welle der | |
politischen Ächtung immer mehr Menschen, die neue Regierung zu | |
unterstützen. Freundschaften wurden aufgelöst, durch Familien ging ein | |
Riss. | |
[1][Diesen Sonntag finden in Polen erneut Parlamentswahlen statt]. Die PiS | |
ist zwar immer noch stark – mit rund 30 bis 35 Prozent –, aber das reicht | |
nicht, um allein zu regieren. In dieser Situation ist der staatliche | |
Geldbeutel so weit geöffnet wie nie zuvor nach 1989. [2][Die Ungleichheit | |
der Chancen bei dieser Wahl lässt aufhorchen]. Im 21. Jahrhundert gibt es | |
Wahlkampfmanipulationen, keine Wahlmanipulationen selbst. Das ist eine viel | |
klügere Lösung. | |
Seit Samstagmorgen herrscht in Polen Wahlkampfstille, aber bis zum | |
Freitagabend sendeten die staatlichen Institutionen positive Botschaften | |
über die aktuelle Regierung. Seit Langem vermittelten das staatliche | |
Fernsehen und der Rundfunk den Zuschauern [3][eine einseitige Botschaft]: | |
Die Regierung ist gut, und die Opposition ist böse. | |
Der Anti-Skandal-Schutzschild der nationalen Medien arbeitete auch gut. | |
Unter normalen Umständen hätte es eine Debatte über die vielen aufgedeckten | |
Skandale geben müssen – etwa die Visa-Affäre. Wahrscheinlich Tausende von | |
Menschen aus Afrika und Asien sollen Visa für die Einreise in den | |
Schengenraum erhalten haben. Viele Polen kennen jedoch, wenn sie überhaupt | |
von der Affäre gehört haben, nur die von den nationalen Medien gefilterte | |
Version. | |
Vor zwei Wochen gab es in Polen einen „Marsch der Millionen Herzen“, eine | |
Demonstration der Opposition mit vielen Tausend Teilnehmern. Vorbei sind | |
die Zeiten, als sich Oppositionspolitikerinnen und -politiker damit | |
begnügten, in ein paar Warschauer Fernseh- und Radiostudios zu sitzen. Sie | |
planen Kampagnen, Wahlkampfauftritte, Drehungen und Wendungen. | |
## So wie Ungarn? | |
Wir wissen jedoch, dass die Telefone der Opposition gehackt werden können. | |
Im Jahr 2019 wusste die Regierungsseite dank des Einsatzes von | |
Pegasus-Spionagesoftware wahrscheinlich über alle Pläne der Opposition | |
Bescheid. Im Jahr 2023 wissen wir, das ähnliche Werkzeuge auf dem Markt | |
sind. Wir haben keine Beweise. Es wäre jedoch naiv zu glauben, dass die | |
Regierungspartei nicht auch dieses Mal ihren Sieg mit neuen Technologien | |
erleichtern wollte. | |
Der amerikanische Politikwissenschaftler polnischer Herkunft Adam | |
Przeworski ist für seine minimalistischen Definitionen von Demokratie | |
bekannt geworden. Eine davon kommt der Aussage nahe, dass Demokratie ein | |
System ist, worin die Opposition eine Wahl gewinnen und danach die Macht | |
übernehmen kann. Das funktioniert in Ungarn und der Türkei nicht so | |
richtig. | |
Und Polen? Die Tragödie dieser Tage rührt daher, dass wir nicht wissen, ob | |
die Opposition bei einer solchen Ungleichheit der Ressourcen überhaupt | |
Wahlen gewinnen kann. Und gleichzeitig wissen wir auch nicht, ob wir uns | |
bereits in der politischen Situation Ungarns und der Türkei befinden. Die | |
meisten Bürgerinnen und Bürger werden an den Wahlen teilnehmen. Viele von | |
ihnen hoffen, dass es doch noch mit dem Sieg der Opposition klappt. | |
14 Oct 2023 | |
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## AUTOREN | |
Karolina Wigura | |
Jaroslaw Kuisz | |
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