# taz.de -- Parlamentswahl in Polen: Es wird sehr knapp | |
> Die Chancen der demokratischen Opposition steigen, die | |
> nationalpopulistische PiS abzulösen. Auf Koalitionspartner sind alle | |
> Parteien angewiesen. | |
Bild: Unterstützerin der Opposition bei einer Wahlveranstaltung in Łódź am … | |
WARSCHAU taz | Die Spannung in Polen steigt. Wer wird am Sonntag die | |
Parlamentswahl gewinnen? Wieder [1][die regierenden Nationalpopulisten von | |
der Recht und Gerechtigkeit (PiS)]? Das wäre dann ihre dritte Amtszeit und | |
womöglich das Ende von Polens Mitgliedschaft in der EU. Oder die | |
demokratische Opposition mit der liberal-konservativen Bürgerkoalition (KO) | |
an der Spitze? Ohne zwei weitere Parteien – die Neue Linke und den Dritten | |
Weg – wird die KO allerdings keine Regierung bilden können. | |
Zur Zeit liefern sich die PiS und die KO ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit 28 bis | |
35 Prozent Zustimmung der Wahlberechtigten. Doch obwohl die PiS die Nase | |
vorn hat, wird auch sie einen Koalitionspartner brauchen. Infrage kommt | |
eigentlich nur die rechtsextreme Konföderation. Sie ist vom dritten auf den | |
fünften Platz abgerutscht und damit als Königsmacherin weniger attraktiv | |
geworden. | |
In den Wahllokalen können am Sonntag rund 29 Millionen Wahlberechtigte ihre | |
Kreuzchen machen. Neu zu besetzen sind 460 Plätze im Sejm, dem polnischen | |
Abgeordnetenhaus, und 100 Plätze im Senat, der zweiten Kammer des | |
Parlaments, die vor allem eine Kontrollfunktion hat. Doch die | |
Wahlberechtigten bekommen dieses Mal nicht nur zwei Wahlzettel | |
ausgehändigt, sondern noch einen dritten Bogen über eine Volksbefragung. | |
Zu entscheiden gibt es jedoch nicht viel. In speziellen Radio- und | |
Fernsehspots mit „Informationen“ zum Referendum empfiehlt die PiS-Regierung | |
vier Mal mit Nein zu antworten. Dies würden bei den suggestiv gestellten | |
Fragen die meisten wohl ohnehin tun. So lautet die erste Frage: „Bist du | |
für den Ausverkauf des polnischen Staatsvermögens? Die zweite lautet: „Bist | |
du dafür, das Renteneintrittsalter hochzusetzen?“, wobei der Zusatz „wenn | |
dadurch deine monatliche Rente um 500 bis 1.000 Zloty steigen würde“ fehlt. | |
## Perfide Frage | |
Die dritte Frage soll die Wähler gegen die EU aufstacheln: „Bist du für die | |
Aufnahme Tausender illegaler Immigranten aus dem Nahen Osten und aus | |
Afrika, so wie es der Zwangsmechanismus der Umverteilung vorsieht, den uns | |
die EU-Bürokratie aufzwingen will?“ Die Frage ist besonders perfide, da | |
Polen als Erstaufnahmeland für Millionen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine | |
vom EU-Asylkompromiss gar nicht betroffen ist. | |
Mit einem einfachen Brief an die EU-Kommission könnte Polen eine Klausel in | |
Kraft setzen, die das Land von der Solidaritätspflicht ausnehmen würde, | |
Asylbewerber aus Italien oder Griechenland bei sich aufzunehmen oder für | |
jeden nicht aufgenommenen Geflüchteten eine Ausgleichszahlung von 22.000 | |
Euro zu leisten. Das aber sagt die [2][PiS] nicht. | |
Auch die vierte Frage würden die meisten Polen mit Nein beantworten. „Bist | |
du dafür, die Grenzanlage zwischen Polen und Belarus zu liquidieren?“ Denn | |
der fünfeinhalb Meter hohe Stahlzaun hält zwar kaum Migranten davon ab, den | |
Weg nach Westen zu suchen, doch will ihn zur Zeit – allein wegen der | |
Kriegsgefahr aus Russland und Belarus – keiner abreißen. | |
Ein Machtwechsel scheint möglich. Zwar würde die PiS letzten Umfragen | |
zufolge mit 33,5 Prozent der Stimmen stärkste Partei werden, doch selbst in | |
einer Koalition mit der Konföderation (9,2 Prozent) würde sie keine | |
Mehrheit erreichen. Anders [3][die Bürgerkoalition mit 28 Prozent], die mit | |
dem Dritten Weg (10,9 Prozent) und der Neuen Linken (10,1 Prozent) gute | |
Chancen hat, die Regierung zu stellen. Allerdings ist nicht gesagt, dass | |
der Dritte Weg die für Parteienbündnisse vorgesehene Achtprozenthürde | |
nimmt. | |
Zudem hat die PiS in den letzten Jahren zahlreiche Gesetze erlassen, um | |
ihren Machterhalt selbst bei verlorenen Wahlen zu garantieren. So spielen | |
Politologen Szenarien vom Verfassungsbruch bis hin zum Ausnahmezustand mit | |
Einsatz der Armee zur „Aufrechterhaltung der Ordnung“ durch. Doch das sind | |
zur Zeit nur Spekulationen. | |
13 Oct 2023 | |
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## AUTOREN | |
Gabriele Lesser | |
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