# taz.de -- Wahlen in Polen: Hürdenlauf zur Wahlurne | |
> Die Wahlen am Sonntag mobilisieren so viele Polen in Deutschland wie noch | |
> nie. Dabei hat Polens Regierung Bürgern im Ausland das Wählen | |
> erschwert. | |
Bild: An der Wahlurne in Warschau: Für die polnische Diaspora nicht machbar | |
Berlin taz | Am Wochenende fährt Marcin Kłobus nach Polen, um wählen zu | |
gehen. „Ich bin dort gemeldet, in einem Dorf unweit von Breslau, meine | |
Eltern leben da. Bei der Gelegenheit kann ich sie mal wieder besuchen“, | |
sagt der 46-jährige Ingenieur. Er hätte auch in Berlin wählen können, aber | |
das ist ihm zu umständlich und zu riskant. „Bei der letzten | |
Präsidentschaftswahl habe ich in der Botschaft in Berlin abgestimmt“ sagt | |
er. „Es gab lange Schlangen, ich habe zwei Stunden angestanden. Außerdem | |
fürchte ich diesmal, dass meine Stimme verfällt, wenn sie nicht | |
fristgerecht ausgezählt wird.“ | |
Wenn [1][an diesem Sonntag in Polen gewählt] wird, dann sind auch viele | |
Menschen in Deutschland stimmberechtigt. Rund 2,2 Millionen Menschen | |
hierzulande haben einen polnischen Migrationshintergrund – die zweitgrößte | |
Gruppe nach den Einwanderern aus der Türkei und deren Nachkommen. Über | |
eine Million Menschen in Deutschland besitzen einen polnischen Pass, die | |
meisten davon keinen anderen. Aber nur jeder Zehnte von ihnen wird am | |
Sonntag seine Stimme abgeben. | |
Der Grund dafür sind die komplizierten Regeln, die es im Ausland lebenden | |
Staatsbürgern erschweren, sich an den Wahlen in Polen zu beteiligen. | |
Zunächst muss man sich dafür ins Wahlregister eintragen lassen. Die | |
rechtsnationale Regierung in Warschau hat aber noch weitere Hürden | |
errichtet. | |
## Wählen für Bürger im Ausland erschwert | |
So ist eine Briefwahl inzwischen nur noch in Ausnahmefällen erlaubt. | |
Außerdem müssen alle Stimmzettel im Ausland innerhalb von 24 Stunden | |
ausgezählt werden, sonst verfallen sie. Die polnische Regierung hat im | |
Wahlgesetz nun verfügt, dass alle Stimmzettel vor der Übermittlung von | |
allen Mitgliedern der Wahlkommission geprüft werden müssen, um zu zählen. | |
Zugleich hat sie parallel zur Wahl ein Referendum angesetzt, was die Arbeit | |
erhöht. Kritiker bezweifeln, dass in Großstädten wie Berlin oder Köln, | |
wo viele Polinnen und Polen leben, alle Stimmen fristgerecht ausgezählt | |
werden können. Sie vermuten dahinter [2][eine bewusste Schikane.] | |
Der Grund für diesen Verdacht: Im Ausland lebende Polinnen und Polen | |
stimmten bei den vergangenen Wahlen mehrheitlich für die Opposition. Nicht | |
nur in Deutschland, sondern auch in Großbritannien oder in den USA, | |
weiteren Hochburgen der Diaspora. In diesem Jahr haben sich weltweit | |
600.000 Polinnen und Polen im Ausland für die Wahlen registriert, über | |
100.000 allein in Deutschland – ein Rekordwert. Seit Jahren steigt die | |
Wahlbeteiligung der polnischen Staatsbürger in Deutschland. An der | |
Präsidentschaftswahl vor zwei Jahren hatten sich hierzulande noch rund | |
84.000 Menschen beteiligt. | |
„Sie können das Zünglein an der Waage sein“, sagt Joanna Stolarek, die in | |
Warschau das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung leitet, angesichts der rund 30 | |
Millionen polnischen Wahlberechtigten insgesamt. „Es war noch nie so | |
wichtig“, wie die Polinnen und Polen abstimmen – das Gefühl einer | |
„Schicksalswahl“ sei weit verbreitet. Vereinzelt waren polnische Politiker | |
vor den Wahlen auch in deutschen Städten zu Gast. An Orten wie Berlin habe | |
es eine „große Mobilmachung“ gegeben, um für eine Stimmabgabe zu werben, | |
und viele hätten sich auch als Wahlbeobachter eintragen lassen. | |
## Regierung versucht Diaspora an sich zu binden | |
„Die Wahl in Polen mobilisiert!“, sagt auch die Berliner | |
Integrationsbeauftragte, Katarina Niewiedzal. Sie ist auch die | |
Landesbeauftragte für die Berliner „Polonia“, wie die polnische Diaspora | |
bezeichnet wird, und sei deshalb „in engem Austausch mit der polnischen | |
Community in Berlin“. Allein in Berlin hätten sich über 14.000 | |
Wahlberechtigte registriert – fast doppelt so viele wie bei der vergangenen | |
polnischen Parlamentswahl im Jahr 2019, hat Niewiedzal gezählt. | |
Über Volksfeste, Veranstaltungen in Botschaften oder konservative Vereine | |
versucht die polnische Regierung, die Diaspora an sich zu binden. „Sie | |
finanziert nur die Vereine, die ihre Politik vertreten“, sagt Joanna | |
Stolarek. Die Auslandspolen seien oft kritischer – auch, weil sie nicht | |
ständig von den Narrativen der national-konservativen PiS in den | |
Staatsmedien erreicht würden und nicht von den sozialen Wohltaten | |
profitierten, welche diese verteilt hat. „Aber die Polonia ist genau so | |
gespalten, wie die Gesellschaft in Polen gespalten ist. Es gibt auch hier | |
eine starke, national-religiöse Minderheit.“ | |
Wer in Deutschland wählen möchte, kann seine Stimme in einem der bundesweit | |
über 40 Wahllokale abgeben. Die sind meist in deutschen Großstädten zu | |
finden, in Kulturzentren, Schulen oder Konsulaten. Doch noch eine | |
Besonderheit verzerrt das polnische Wahlergebnis: Die Stimmen der | |
Auslandspolen werden alle zum Warschauer Wahlbezirk 19 hinzugezählt. | |
Obwohl immer mehr Polinnen und Polen im Ausland leben, ist die Zahl der | |
Mandate, die dort errungen werden können, seit Jahren unverändert | |
geblieben. An anderen Orten in Polen können Kandidaten schon mit viel | |
weniger Stimmen ins Parlament in Warschau, den Sejm, einziehen als in der | |
Hauptstadt. | |
Noch ein Grund mehr für Marcin Kłobus, seine Stimme im Heimatdorf seiner | |
Eltern abzugeben. Er weiß: „Es gibt auch in Polen Menschen, die in kleinere | |
Orte fahren, um dort zu wählen, weil sie hoffen, dass ihre Stimme dort | |
einen größeren Unterschied machen kann.“ | |
13 Oct 2023 | |
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## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
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