# taz.de -- Parlamentswahl in Polen: Opposition feiert schon | |
> Laut Nachwahlbefragung könnte eine Koalition unter Oppositionsführer Tusk | |
> mit einer Mehrheit rechnen. Die national-konservative PiS bleibt stärkste | |
> Partei. | |
Bild: Oppositionsführer Donald Tusk unter Anhängern in Warschau | |
WARSCHAU/BERLIN rtr/afp/ap/dpa/taz | In Polen deutet sich ein | |
Regierungswechsel an. Zwar liegt die national-konservative Partei PiS | |
(Recht und Gerechtigkeit) von Ministerpräsident Mateusz Morawiecki bei der | |
mit Spannung erwarteten Parlamentswahl vorne. In einer | |
Ipsos-Nachwahlbefragung im Auftrag der großen TV-Sender kam sie auf 36,8 | |
Prozent der Stimmen. Sie kann damit mit 200 der 460 Sitze im Parlament | |
rechnen. | |
Eine absolute Mehrheit verfehlt sie damit aber deutlich. Als | |
Koalitionspartner kommt nur die ultrarechte Konfederacja infrage. Doch | |
diese Formation brachte es laut Prognosen auf lediglich 6,2 Prozent – das | |
wären 12 Sitze und damit zu wenig für eine Regierungsmehrheit. Zudem hatte | |
die Konfederacja im Wahlkampf immer wieder betont, sie wolle kein Bündnis | |
mit der PiS. | |
Das rechte Lager läge damit klar hinter der Bürgerkoalition von | |
Ex-Regierungschef Donald Tusk und zwei kleinere Oppositionsparteien. Das | |
liberal-konservative Wahlbündnis Bürgerkoalition (KO) von Tusk kommt laut | |
Prognose auf 31,6 Prozent der Stimmen und kann auf 163 Sitze hoffen. Der | |
Dritte Weg – ein Bündnis der Mitte – kommt auf 13 Prozent der Stimmen. Die | |
Neue Linke kann mit 8,6 Prozent der Stimmen rechnen. Beide könnten eine | |
Koalition mit KO eingehen. Zusammen könnten sie auf 248 Sitze hoffen und | |
hätten damit eine Mehrheit. | |
Die Auszählung der Stimmen dauerte am Abend an, und die staatliche | |
Wahlkommission geht davon aus, dass die endgültigen Ergebnisse am | |
Dienstagmorgen vorliegen würden. | |
## Oppositionsführer Tusk feiert schon | |
Tusk sagte am Sonntag, die Opposition verfüge über genügend Stimmen, um die | |
PiS an der Spitze der Regierung abzulösen. Das Wahlergebnis bedeute das | |
„Ende der Herrschaft der PiS“, die seit acht Jahren die Regierung in | |
Warschau anführt. „Polen hat gewonnen, die Demokratie hat gewonnen, wir | |
haben sie von der Macht vertrieben“, sagte Tusk. „Ich habe mich noch nie so | |
sehr über den zweiten Platz gefreut.“ Tusks liberalkonservative | |
Bürgerkoalition (KO) würde laut Nachwahlbefragung mit 31,6 Prozent | |
zweitstärkste Kraft. | |
PiS-Chef Jarosław Kaczyński sagte, man warte auf den weiteren Verlauf der | |
Ereignisse. Es sei unklar, ob es für eine weitere Amtszeit der PiS reiche. | |
„Wir müssen hoffen.“ Ministerpräsident Morawiecki erklärte seine Partei | |
dagegen zum Sieger der Wahl. Seine Partei werde versuchen, eine stabile | |
Regierung zu bilden, sollte sie den Auftrag dazu vom Präsidenten bekommen, | |
sagte er dem Sender TVP Info. | |
## Richtungswahl über den EU-Kurs | |
Die Abstimmung galt als Richtungswahl über den künftigen Kurs gegenüber der | |
EU, der Ukraine und dem Nachbarland Deutschland. Die PiS-Regierung mit | |
ihrem Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki führt seit Jahren einen | |
Machtkampf mit Brüssel, vor allem wegen ihrer Justizreform, die von | |
Kritikern als Angriff auf Rechtsstaatlichkeit und Demokratie verurteilt | |
wird. Der frühere EU-Ratspräsident Tusk hat versprochen, das Verhältnis zur | |
EU wieder zu verbessern. | |
Der Wahlkampf der PiS war auch stark von antideutschen Tönen geprägt. Dem | |
ehemaligen EU-Ratspräsidenten Tusk warf die Regierungspartei vor, er | |
handelte im Interesse Deutschlands, der EU und Russlands. | |
Viele Polinnen und Polen betrachteten die Wahl als die wichtigste für das | |
Land seit 1989, als nach Jahrzehnten des Kommunismus eine neue Demokratie | |
entstand. Gestritten wurde im Wahlkampf auch über den Stand der | |
verfassungsmäßigen Ordnung des Landes, seine rechtliche Haltung zu | |
LGBTQ-Rechten und Abtreibung sowie die ausländischen Allianzen. Auch das | |
Verhältnis zur Ukraine war Thema: Die Partei Konföderation übte Kritik an | |
der Regierung in Kyjiw und warf ihr mangelnde Dankbarkeit gegenüber Polen | |
für seine Hilfe im Krieg gegen Russland vor. | |
Die PiS sicherte sich in den vergangenen Jahren mehr Kontrolle über die | |
staatlichen Institutionen, einschließlich der Gerichte und der | |
öffentlich-rechtlichen Medien. Die Unterstützung für die Partei ging seit | |
der letzten Wahl 2019 aufgrund der hohen Inflation, des Vorwurfs der | |
Vetternwirtschaft und des Streits mit europäischen Verbündeten zurück. | |
Recht und Gerechtigkeit erhielt 2019 fast 44 Prozent der Stimmen. | |
Rund 30 Millionen Wahlberechtigte waren am Sonntag aufgerufen, bis 21 Uhr | |
ihre Stimme für ein neues Parlament abzugeben. Es handelt sich um eine | |
Richtungswahl, der Wahlkampf war geprägt vom Thema Migration und Attacken | |
auf die Rolle der EU und Deutschlands. | |
Auch bei dieser Parlamentswahl setzt sich der Trend zu einer klaren | |
Ost-West-Teilung des Wählerwillens fort: Die Liberalkonservativen können | |
laut Prognose die Regionen im Westen des Landes für sich gewinnen. In einem | |
Bogen von Pommern bis nach Schlesien und entlang der deutsch-polnischen | |
Grenze punktet die KO. Auch die großen Städte sind ihre Hochburgen. Die PiS | |
hingegen erringt einmal mehr im Süden und Osten Polens Mehrheiten. | |
## Wahlbeteiligung auf Rekordhöhe | |
Die Wahl stieß auf ungewöhnlich großes Interesse: Laut Prognosen liegt die | |
Wahlbeteiligung bei 73 Prozent – das wäre der höchste Wert seit dem Ende | |
des Kommunismus 1989. Fernsehbilder aus mehreren Städten zeigten, wie | |
Bürger vor den Wahllokalen Schlange standen. | |
Auch in Berlin standen polnische Wähler vor der Botschaft ihres Landes an, | |
um ihre Stimme abzugeben. Die Botschaft veröffentlichte Bilder auf der | |
Plattform X, früher Twitter, und schrieb, mehr als 100.000 Polen wollten in | |
Deutschland abstimmen. Der Andrang an der Botschaft und anderen Wahllokalen | |
sei groß, doch die Abstimmung verlaufe reibungslos und friedlich. | |
15 Oct 2023 | |
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