# taz.de -- Parlamentswahl in Polen: PiS in die Schranken gewiesen | |
> Die Rechtskonservativen verlieren, das Oppositionsbündnis gewinnt. Bis in | |
> Warschau eine neue Regierung steht, dürfte es aber noch dauern. | |
Bild: Warschau am Sonntag: Die Wahlbeteiligung in Polen war so hoch wie nie sei… | |
BERLIN taz | Die Bilder gingen Anfang des Monats um die Welt: Menschen aus | |
ganz Polen hatten sich in Warschau versammelt, um ein klares Zeichen gegen | |
acht Jahre PiS-Politik zu setzen und zum Machtwechsel aufzurufen. Nun, gut | |
drei Wochen später, kann man sagen: Der Protest hat gewirkt. Sowohl diese | |
letzte Demonstration als auch die ebenfalls große Kundgebung der polnischen | |
Opposition im Juni haben die unentschiedenen Pol*innen und bisherigen | |
Nichtwähler*innen zum Urnengang bewegt. Und somit die Parlamentswahlen | |
am vergangenen Sonntag zu einer der wichtigsten in der polnischen | |
demokratischen Geschichte gemacht. Die polnischen Massenmedien, unter der | |
Kontrolle der Regierungspartei, haben nicht prominent über die | |
Demonstrationen berichtet. Direktnachrichten und die sozialen Medien haben | |
die Kommunikation in der polnischen Öffentlichkeit wirksam ersetzt | |
„Mein Vater hatte seit 1989 seinen Wahlzettel nicht mehr abgegeben. Dieses | |
Mal hat er das Gefühl bekommen, dass es mit der PiS reicht und dass Polen | |
ein Momentum erlebe“, erzählt Klaudia Wojciechowska, Aktivistin, die in | |
einem Recherche-Institut in Warschau arbeitet, und die sich wie viele | |
andere Nicht-PiS-Wähler in ihren Geburtsort umgemeldet hatte, um ihre | |
Stimme nicht in der Hauptstadt, sondern in einem kleinen Dorf abzugeben. | |
„Polen ist nicht Warschau, eine bereits liberale Stadt, und so wie ich | |
haben viele meiner Freunde ihre Wahlstimme in kleineren Ortschaften | |
abgegeben, da wo Oppositionsstimmen viel mehr gebraucht werden“, sagt | |
Wojciechowska, die 2019 und 2020 bei den Pro-Abtreibungsrecht-Demos | |
mitgelaufen ist. Für sie, als Frau, war das eine der Hauptmotivationen, | |
wählen zu gehen: „Die PiS-Politik beeinflusst direkt mein privates Leben. | |
Das wollte ich ändern.“ | |
Wie ein „Willkommen in einem besseren Polen“ könnte die Nach-Wahl-Stimmung | |
in Polen zusammengefasst werden. Optimismus und Jubel spürt man in den | |
Telefonaten mit Pol*innen und in den sozialen Medien. Entscheidend bei | |
der unerwarteten hohen Wahlbeteiligung von gut 74 Prozent (damit so hoch | |
wie nie seit 1989) war auch die einzige TV-Debatte eine Woche vor der Wahl, | |
bei der an erster Stelle die Partei Dritter Weg und an zweiter Stelle die | |
linke Lewica punkteten. Laut Umfragen steht die polnische Gesellschaft auf | |
Pragmatismus und Kompromissfindung. Und das hat sich bei den drei | |
demokratischen Oppositionsparteien während der TV-Debatte ganz klar | |
gezeigt. | |
## Mit 248 hat die Opposition eine Mehrheit | |
Mit 248 Mandaten im polnischen Parlament, dem Sejm, haben die | |
demokratischen Oppositionsparteien eine Mehrheit erreicht, auch wenn die | |
regierende Recht und Gerechtigkeit (PiS) stärkste Kraft bleibt. Ein | |
wahrscheinlicher Machtwechsel steht nun bevor: [1][Die Dreierkoalition] der | |
liberal-konservativen Bürgerplattform (KO) – unter anderem mit | |
Ex-Ministerpräsident und ehemaligem EU-Ratspräsidenten Donald Tusk – des | |
christlich-konservativen Dritten Wegs und der Lewica wird nun in den | |
kommenden Wochen versuchen, eine neue Regierung bilden. Das könnte aber bis | |
kurz vor Weihnachten dauern. | |
Ein Hindernis der neuen Regierungskoalition könnte ein mögliches Veto des | |
noch bis 2025 amtierenden Präsidenten Andrzej Duda sein, der aus der PiS | |
stammt. „Klar, es ist eine reale Bedrohung“, sagt die grüne | |
Sejm-Abgeordnete Urszula Zielinska, die auch Teil der Bürgerplattform KO | |
ist. „Aber Duda hat bereits in der Vergangenheit gezeigt, dass er die PiS | |
bremsen kann, so etwa deren Versuch, die Lizenz des unabhängigen | |
Fernsehsenders TVN24 zu übernehmen. Duda will doch in der Geschichte als | |
Präsident für ganz Polen, und nicht nur für die PiS, erinnert werden“, so | |
Zielinska, die ein neues Verhältnis zur Europäischen Union und die volle | |
[2][Unterstützung für die Ukraine] als drängendste Aufgaben ansieht. Zum | |
zweiten Mal sind die Grünen im Parlament vertreten und haben einen grünen | |
Plan für 75 Prozent Reduzierung von Kohlendioxid (CO2) bis 2030 vor. Stand | |
jetzt plant das polnische Umwelt- und Klimaministerium die Inkraftsetzung | |
von einem neuen Atomkraftwerk im Norden des Landes im Jahr 2030. Seit Ende | |
2022 ist Polen von russischem Öl und Gas unabhängig. | |
Die Rolle der Atomenergie beim Kohleausstieg und ein mögliches Referendum | |
über das Abtreibungsrecht in den ersten zwölf Wochen sind wahrscheinliche | |
Reibungspunkte der neuen Dreierkoalition. „Aber dass wir die | |
Rechtsstaatlichkeit in Polen wiederherstellen müssen, vereint uns und wird | |
die Dreierkoalition wohl ermöglichen“, fügt Zielinska hinzu und hofft auf | |
eine baldige Freigabe der von der EU blockierten 35,4 Milliarden Euro aus | |
dem Coronahilfsfonds. | |
Parallel [3][zur Parlamentswahl] fand in Polen auch ein Referendum mit vier | |
Fragen statt, jedoch wurde es wegen fehlender Mindestbeteiligung für | |
ungültig erklärt. Eine der Fragen war die Aufnahme „von Tausenden illegalen | |
Einwanderern“. Zum Thema Migration hat Tusk bisher eher eine PiS-nahe | |
Rhetorik benutzt und immer wieder vor „unkontrollierter Migration“ gewarnt. | |
## Schlechtere Wirtschaftslage hat mobilisiert | |
Gerade die Müdigkeit von internen politischen Streitigkeiten und die | |
überpolitisierte Berichterstattung der polnischen Medien hat die | |
Pol*innen zum Wählen bewegt. Nach Angaben des soziologischen Instituts | |
More in Common haben 82 Prozent der Bevölkerung dies satt. „Die Menschen | |
haben den Eindruck bekommen, dass die Politik ihr Leben radikal verändert | |
oder sie sich in ihre Privatsphäre eingemischt hat, und das wollte sie nun | |
abwählen“, sagt die Sozialforscherin Zofia Włodarczyk. | |
Die schlechtere Wirtschaftslage als bei früheren Wahlen hat ebenfalls die | |
Wähler*innen mobilisiert. „Die Menschen haben sich starke Veränderungen | |
gewünscht, deswegen gingen sowohl Unentschiedene als auch Nichtwähler in | |
die Wahllokale – und die wählten eher moderat als extrem“, sagt Włodarczy… | |
Die in der Regel nicht an der Politik beteiligten Pol*innen haben vor | |
allem die Bürgerplattform und den Dritten Weg gewählt. „Auch die Jugend und | |
Frauen, die massiv als Zielgruppen in der Wahlkampagne angesprochen wurden, | |
haben das Zentrum gewählt“, fügt die Forscherin hinzu. So erklärt | |
Włodarczyk auch, dass die rechtsradikale Konfederacja, die als einzige | |
mögliche Koalitionspartnerin für die PiS zählte und die kontroverse | |
Wahlauftritte hatte, weniger Stimmen als erwartet bekam. | |
Nach dieser Parlamentswahl hat sich weiterhin die Regel bestätigt, dass die | |
Rechtskonservativen weder in Groß- noch in Mittelstädten eine große | |
Anhängerschaft haben. Während die PiS auf dem Land, selbst wenn kleinere | |
Verluste zu beobachten sind, die meistgewählte Partei bleibt. | |
17 Oct 2023 | |
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## AUTOREN | |
Gemma Teres Arilla | |
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