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# taz.de -- Regierungsbildung in Polen: Abgang in Raten
> Nach der Wahl hat die PiS keine Mehrheit im Parlament. Trotzdem erteilt
> Präsident Duda dem bisherigen Premier Morawiecki einen Regierungsauftrag.
Bild: Andrzej Duda (l.) und Mateusz Morawiecki bei der Zeremonie zur Ernennung …
Warschau taz | Im prunkvollen und hell erleuchteten Präsidentenpalast in
Polens Hauptstadt Warschau trat am Montagabend ein Regierungsmitglied nach
dem anderen aus der langen Reihe heraus und nahm seine Entlassungsurkunde
in Empfang. Offiziell ist damit die Ära der nationalpopulistischen Recht
und Gerechtigkeit (PiS) vorbei. Seit Herbst 2015 hatte sie zweimal in Folge
die Regierung in Polen gestellt.
Doch PiS-Regierungschef Mateusz Morawiecki musste gleich zweimal vortreten.
Zunächst überreichte ihm Staatspräsident Andrzej Duda die
Entlassungspapiere, um ihm gleich darauf erneut den Regieungsauftrag zu
erteilen. Dabei drückten sie sich lang und kräftig die Hände und lächelten
sich verbissen-herzlich an. Denn allen im Saal war klar: Morawiecki hat
keine Chance.
In spätestens vier Wochen wird er sein Scheitern zugeben müssen. Das ist
sein letzter Dienst für die Partei, denn als „Versager“ wird er in der PiS
keine Führungsrolle mehr spielen können. Duda aber, der anscheinend die
Nachfolge des schon sehr senilen Parteichefs Jarosław Kaczyński antreten
will, kann dann auf seiner Liste der Konkurrenten um die Macht einen Namen
streichen: Morawiecki.
Millionen polnischer Fernsehzuschauer werden aber den Bildern des
PiS-Staatsfernsehens TVP glauben. [1][Seit den Parlamentswahlen am 15.
Oktober 2023] behauptet der Sender, dass die PiS der Wahlsieger sei.
Nominell ist das sogar richtig: Die meisten Wähler haben erneut der PiS
ihre Stimme gegeben, doch im Sejm, dem polnischen Abgeordnetenhaus, hat die
PiS ihre absolute Mehrheit verloren. Da auch keine andere Partei mit den
Nationalpopulisten eine Koalition eingehen will, steht ein Machtwechsel
bevor.
## In den Startlöchern
[2][Die neue Regierungskoalition aus der liberalkonservativen
Bürgerkoalition (KO), dem Mitte-rechts-Parteienbündnis Dritter Weg und der
Neuen Linken steht bereits in den Startlöchern]. Auf der konstituierenden
Sitzung des neuen Parlaments – in Polen besteht es aus dem Seim mit 460
Abgeordneten und dem Senat, einer zweiten Kammer wurden die neuen
Mehrheitsverhältnisse mehr als deutlich. Szymon Hołownia von der Partei
Polska 2050, die mit der Bauernpartei PSL das Bündnis „Dritter Weg“ bildet,
wird in den nächsten zwei Jahren die Sejmsitzungen als neuer Marschall
(Vorsitzender) leiten.
Auch im Senat gewann mit Małgorzata Kidawa-Błońska von der KO ein Mitglied
der Opposition die Wahl zur Marschallin. Die PiS hingegen steht ohne einen
Marschall-Stellvertreter da, der grundsätzlich allen Parteien zusteht. Denn
die Kandidaten, die die PiS ins Rennen schickte, hatten sich in den
vergangenen Jahren den Ruf zugezogen, dass ihnen Recht und Gerechtigkeit
trotz des Namens der Partei nicht allzu viel bedeuten.
Elżbieta Witek fand in den letzten Jahren als Sejm-Marschallin nichts
dabei, Abstimmungen, die die PiS verloren hatte, für ungültig zu erklären
und danach so oft abstimmen zu lassen, bis die PiS gewonnen hatte. Auf der
konstituierenden Sitzung des Sejms am Montag wurde Witek von den ehemaligen
Oppositionsparteien, die nun die Mehrheit stellen, abgestraft, sie fiel
durch.
Das Gleiche passierte dem PiS-Kandidaten Marek Pęk im Senat. Den Vorschlag
der bisherigen Oppositionsparteien an die PiS, weniger belastete Kandidaten
für die Stellvertreter-Posten aufzustellen, lehnte der PiS-Parteichef
Jarosław Kaczyński ab und beschuldigte die politischen Gegner, einer
„niedrigen Kultur“ zu huldigen.
## Überschwängliches Eigenlob
Donald Tusk, der vor der Wahl von Elżbieta Witeks gewarnt hatte, musste
sich von Kaczyński sagen lassen, „ein Mann Deutschlands zu sein“ und eine
ganz besondere Niedertracht an den Tag zu legen: „Eine deutsche
Niedertracht!“ Morawiecki wurde von den Abgeordneten ausgelacht, als er im
Sejm nach einem überschwänglichen Eigenlob für die PiS-Regierungszeit
„meine Regierung“ ankündigte, die in den nächsten vier Jahren vor allem d…
Interessen Polens in der EU und der Nato verteidigen wolle.
Große Gefahr für Souveränität und Freiheit [3][drohe Polen aus Brüssel]. In
der EU plane man, die europäischen Verträge umzuschreiben, die es Polen
bislang ermöglichten, seine Interessen auch mit einem Veto gegen alle
anderen durchzusetzen. Jetzt aber sollten „die Großen“, insbesondere
Deutschland, Vorrang vor allen anderen erhalten. Angeblich wollten Donald
Tusk und seine KO diesen Änderungen zustimmen.
Dass es darum geht, die EU so zu reformieren, dass sie nach der nächsten
Erweiterungsrunde handlungsfähig bleibt, sagt weder Morawiecki noch
PiS-Chef Kaczyński, der seit Wochen kaum noch ein anderes Thema kennt als
die „Feinde“ im Westen. Wahrscheinlich wird es Morawiecki gelingen,
Präsident Duda in zwei Wochen ein vollständiges Kabinett vorzustellen, das
dieser dann vereidigen wird.
Doch seine Bitte um ein Vertrauensvotum im Sejm nach weiteren zwei Wochen
dürfte an der Mehrheit von 248 Stimmen der demokratischen Parteien gegen
gerade mal 194 Stimmen, die die PiS aufbringt, scheitern. Dennoch sagte
Andrzej Duda am Abend im Präsidentenpalast: „Ich glaube, dass der
designierte Premier einen neuen Ministerrat aufstellen wird. So wie er es
mir versichert hat, wird er eine Mehrheit im Sejm finden, die die neue
Regierung unterstützen wird.“
Dies werde eine größere Koalition sein, die „die Entwicklung der Republik
Polen fortsetzen“ werde. Erst nach der Niederlage Morawieckis kann der Sejm
Donald Tusk von der KO mit der Regierungsbildung beauftragen. Eine neue
Regierung Polens wird es also frühestens in einem Monat geben. Bis dahin
bleibt die bisherige PiS-Regierung geschäftsführend im Amt.
14 Nov 2023
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## AUTOREN
Gabriele Lesser
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