| # taz.de -- Unabhängigkeitstag in Polen: „Wir müssen kämpfen!“ | |
| > PiS-Chef Kaczyński will den Machtwechsel nach den verlorenen Wahlen | |
| > verhindern. Ein Nationalistenmarsch lief am Samstag durch Warschau. | |
| Bild: Unabhängigkeitsmarsch „Polen ist noch nicht verloren“ am Samstag, de… | |
| Warschau taz | Rot qualmende Bengalo-Fackeln, ein wogendes Meer an | |
| rot-weißen Nationalfahnen und durch die Luft zischende rote | |
| Feuerwerksraketen schrecken allerdings auch etliche Warschauer ab. „Wie im | |
| Krieg!“, entsetzt sich eine dick eingemummte junge Frau, die am | |
| Unabhängigkeitstag Polens eigentlich nur „ein bisschen Patriotismus feiern“ | |
| wollte. Angelockt hatte sie das diesjährige Motto des Marsches „Noch ist | |
| Polen nicht verloren!“. Mit diesem Satz beginnt sowohl die polnische als | |
| auch – in leichter Abwandlung – die ukrainische Nationalhymne. Nach | |
| Behördenangaben marschierten am Samstag rund 40.000 Menschen durch die | |
| polnische Hauptstadt, polnische Medien sprachen von 90.000 Teilnehmern. | |
| „Ich dachte, das ist ein Solidaritätsmarsch für die Ukraine, also gegen | |
| Wladimir Putin und die russische Aggression gegen die Ukraine“, sagt sie, | |
| dreht sich langsam um ihre Achse und deutet auf ein PolExít-Transparent der | |
| rechtsextremen Partei Konföderation. Davor trampeln ein paar Männer auf | |
| einer EU-Fahne herum und lachen dazu dreckig. „Aber das ist ja widerlich! | |
| Da mache ich nicht mit! Nigdy! – Niemals!“, schüttelt sie sich, macht kehrt | |
| und sagt leise hoffend: „Irgendwo in Warschau gibt es sicher auch eine | |
| schöne Feier!“ | |
| [1][Jedes Jahr am 11. November erinnert ganz Polen] an das Ende des Ersten | |
| Weltkriegs, mit dem die Republik Polen nach 123 Jahren der Unfreiheit ihre | |
| staatliche Unabhängigkeit wiedererlangt hatte. Russland, Preußen und | |
| Österreich-Ungarn hatten das politisch und militärisch schwache Königreich | |
| Polen in den Jahren 1772, 1793 und 1795 so lange unter sich aufgeteilt, bis | |
| das Nachbarland von der Landkarte Europas verschwunden war. Während die | |
| drei Teilungen Polens in der europäischen Erinnerung kaum noch eine Rolle | |
| spielen, wirkt in Polen selbst das Trauma der über 120-jährigen Besatzung | |
| bis heute nach, zumal 1939 erneut das Deutsche Reich, Österreich und die | |
| Sowjetunion Polen überfallen und entlang der Demarkationslinie des | |
| Hitler-Stalin-Pakts unter sich aufgeteilt hatten. | |
| ## Kaczyński: die Dreierkoalition eine „deutsche Partei“ | |
| Nationalpopulisten wie Jarosław Kaczyński von der Partei Recht und | |
| Gerechtigkeit (PiS) hatten in der Vergangenheit immer wieder die Angst vor | |
| einem erneuten Verlust der Unabhängigkeit Polens geschürt. Obwohl die PiS | |
| [2][die Parlamentswahlen am 16. Oktober verloren hat], kann sich ihr | |
| Parteivorsitzende Kaczyński auch nach knapp einem Monat noch nicht mit der | |
| politischen Niederlage abfinden. „Wir müssen kämpfen, kämpfen und nochmals | |
| kämpfen“, hetzte der 74-Jährige am Vorabend des polnischen | |
| Unabhängigkeitstages vor dem weiß-rot angestrahlten Piłsudski-Denkmal in | |
| Warschau. Denn Polen werde durch einen „deutschen Plan“ und die Europäische | |
| Union existenziell bedroht. „Die Umsetzung dieses Plans durch die EU würde | |
| nicht nur zum Verlust unserer Unabhängigkeit und Souveränität führen, | |
| sondern sogar zur Vernichtung des polnischen Staates!“, prophezeite | |
| Kaczyński düster. „Wir würden zu einem von Polen bewohnten, aber von außen | |
| regierten Gebiet werden.“ | |
| Der Verfassungsausschuss des Europäischen Parlaments habe diesem Plan | |
| bereits zugestimmt. Während die Umstehenden den Atem anhielten, wetterte | |
| Kaczyński weiter: „Wir wollen nicht den Deutschen unterworfen sein.“ Das | |
| sei der Plan, der im Koalitionsvertrag der deutschen Regierung enthalten | |
| sei und von Kanzler Scholz als Streben nach deutscher Hegemonie in Europa | |
| verkauft werde. „Wir dürfen nicht die Generation sein, die kapituliert. Auf | |
| uns wartet ein harter Kampf, denn diejenigen, die jetzt in Polen die Macht | |
| übernehmen wollen und gerade eine Vereinbarung unterschrieben haben, werden | |
| mit aller Sicherheit danach streben, diesen Plan zu realisieren.“ | |
| [3][An der Spitze dieser Koalition] stehe nämlich keine „polnische Partei, | |
| sondern eine deutsche“, wiederholte Kaczyński seine Verleumdung der | |
| liberalkonservativen Bürgerkoalition (KO) mit Donald Tusk an der Spitze. | |
| Seit Jahren behauptet der Nationalpopulist, dass Tusk, die KO und alle ihre | |
| Wähler in Wahrheit keine Polen seien, sondern Landesverräter, die sich dem | |
| „deutschen Herren“ andienten. „Wir müssen den Kampf gewinnen, und wir | |
| können ihn gewinnen“, so Kaczyński weiter. „Freiheit, Unabhängigkeit und | |
| Souveränität stehen an der Spitze der politischen Werte. Wir müssen sie um | |
| jeden Preis verteidigen!“ Seine Anhänger skandierten: „Wir danken Dir!“ | |
| 12 Nov 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Gabriele Lesser | |
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