# taz.de -- Unabhängigkeitstag in Polen: Rechte marschiert in Warschau auf | |
> Neofaschisten, Antisemiten, Nationalisten, Frauenhasser und Homophobe | |
> strömten in die Hauptstadt. An der Demo-Route wurden Häuser | |
> verbarrikadiert. | |
Bild: Rauchige Luft und ein rot-weißes Fahnenmeer: Warschau am 11. November 20… | |
WARSCHAU taz | Einmal im Jahr zeigt Polens Patriotismus seine hässliche | |
Fratze. Ausgerechnet am 11. November, dem polnischen Unabhängigkeitstag, | |
strömen aus dem ganzen Land Neofaschisten, Antisemiten, Nationalisten, | |
Frauenhasser, Homophobe und politisch Ahnungslose, die es einfach nur mal | |
ordentlich krachen sehen wollen, nach Warschau. Zehntausende kamen auch an | |
diesem Donnerstag in die polnische Hauptstadt. „Der europäische Pöbel | |
missachtet unseren Premier“, heizte der Rechtsradikale Robert Bąkiewicz die | |
Stimmung auf dem zentral gelegenen Dmowski-Platz an und warnte zugleich: | |
„Dieses Jahr ohne Bengalische Feuer!“ | |
Trotzdem ging es hoch her. Böller krachten, Feuerwerkskörper flogen laut | |
zischend durch die Luft. Im weiß-roten Meer aus Nationalfahnen waren auch | |
viele Falanga-Flaggen der antisemitischen Militärorganisation der ONR (Obóz | |
Narodowo-Radykalny, dt. Nationalradikales Lager, eine neofaschistische | |
Organisation, die seit 1993 existiert und an die Tradition der | |
gleichnamigen faschistischen Partei der Zwischenkriegszeit anknüpft; Anm. | |
d. Redaktion) zu sehen, außerdem keltische Kreuze und | |
White-Power-Transparente von Rassisten. | |
Der 11. November ist ein staatlicher Feiertag, an dem an die | |
Wiedergewinnung der Souveränität Polens erinnert wird. In Westeuropa sind | |
die drei Teilungen Polens in den Jahren 1772, 1793 und 1795 durch die | |
Nachbarmächte Russland, Österreich-Ungarn und Preußen heute weitgehend | |
unbekannt. Für die meisten Polen aber besteht das Trauma von 123 Jahren | |
Unfreiheit bis heute fort. | |
Umso wichtiger wäre es, gemeinsam jedes Jahr aufs Neue die 1918 | |
wiedergewonnene Freiheit und Unabhängigkeit zu feiern. Stattdessen setzten | |
auch in diesem Jahr die in Polen regierenden Nationalpopulisten von der | |
Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) alles daran, dass die berüchtigte | |
Allpolnische Jugend und das antisemitische National-Radikale Lager (ONR) | |
den Feiertag am 11. November gestalten durften. | |
Da sie in den letzten Jahren eine Spur der Verwüstung sowie verletzte | |
Polizisten und Unbeteiligte in Warschau hinterlassen hatten, verbot | |
Warschaus Stadtpräsident [1][Rafał Trzaskowski] von der [2][oppositionellen | |
Bürgerplattform (PO)] den diesjährigen Marsch. Auch die Sorge wegen einer | |
weiteren Covid-19-Ausbreitung spielte dabei ein Rolle. | |
Der Verein des Unabhängigkeitsmarsches wollte sich dem Verbot nicht beugen | |
und ging vor Gericht, doch Trzaskowski gewann den Prozess in allen drei | |
Instanzen. Damit schien das Problem ausgestanden und Trzaskowski konnte mit | |
einer kleinen antifaschistischen Gruppe seine Demonstration vor den | |
Nationalisten anmelden. | |
Doch völlig unerwartet meldete sich plötzlich Jan Józef Kasprzyk, der Chef | |
des von der PiS kontrollierten Kriegsveteranenverbandes, zu Wort. Er gab | |
dem Marsch den formalen Status einer Staatsfeierlichkeit und sprach den | |
Nationalisten das Recht zu, den nunmehrigen Staatsmarsch auszurichten. | |
Zugleich sicherte der Veteranenfunktionär den Teilnehmern den Schutz durch | |
Polizei und Kriegsgendarmerie zu. | |
Es ist klar, dass hinter dem Veteranenchef mehrere PiS-Minister stehen | |
müssen, da er selbst keine Verfügungsgewalt über Polizei und Militär hat. | |
Da auch in diesem Jahr mehrere Zehntausend Leute aus ganz Polen und dem | |
Ausland anreisten, ist das Polizeiaufgebot riesig. | |
Trzaskowski hingegen musste unter anderem Hunderte Tonnen an | |
Pflastersteinen abtransportieren lassen, die bereits am Straßenrand für die | |
Instandsetzung einer der große Magistralen Warschaus aufgetürmt waren. | |
Häuser und Schaufenster entlang der Marschstrecke wurden mit Holz- und | |
Stahlplatten verrammelt. Es ist wenig wahrscheinlich, dass die | |
PiS-Regierung der Stadt Warschau die Kosten dafür erstattet. | |
11 Nov 2021 | |
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## AUTOREN | |
Gabriele Lesser | |
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