Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Italien unter Meloni: Links in einem rechten Land
> Seit einem Jahr wird Italien von Rechten regiert. Die linke Szene in
> Bologna bekommt das bisher wenig zu spüren. Migranten und Frauen dafür
> umso mehr.
Bologna taz | Es ist ein zu warmer Abend im Oktober, das Zentrum Bolognas
ist voller Touristen und Studierenden, die für das beginnende Semester
angereist sind. Weltkulturerbe ist die prächtige Altstadt, über 40
Kilometer lang sind die Säulengänge vor den mittelalterlichen Gebäuden. Wer
in Richtung Norden unter ihnen entlang flaniert, landet unweigerlich am
Hauptbahnhof, einem sandfarbenen Bau jüngeren Datums. Dessen Vorgänger
wurde am Morgen des [1][2. August 1980] zerstört. Ein Kommando der
neofaschistischen Nuclei Armati Rivoluzionari hatte einen Koffer mit einer
Zeitbombe im überfüllten Wartesaal des Bahnhofs abgestellt. Die Explosion
war kilometerweit zu hören. Das Dach brach zusammen. 85 Menschen starben,
mehr als 200 wurden verletzt.
Lange war von dem Attentat in der Öffentlichkeit kaum mehr die Rede. Bis
vor acht Wochen. Da trat Marcello De Angelis zurück. Er war Sprecher der
Region Latium, die von der rechtsextremen Partei Fratelli d’Italia von
Giorgia Meloni regiert wird. Einst war De Angelis Mitglied der
neofaschistischen Gruppe Terza Positione. Sie wird dem Umfeld der
Bologna-Attentäter zugerechnet. De Angelis’ Schwager wurde wegen des
Attentats verurteilt. Dass Rechtsextreme den Bahnhof sprengten, wurde in
viele Jahre dauernden Prozessen festgestellt. De Angelis aber behauptete
kürzlich: „Sie haben nichts damit zu tun. Richter und Institutionen wissen
das. Und sie lügen.“
Der Vorfall zeigt, wie tiefgreifend sich die politische Landschaft in
Italien verändert hat. [2][Vor genau einem Jahr], am 22. Oktober 2022,
wurde Giorgia Meloni von den Fratelli d’Italia Regierungschefin. Die Partei
der einstigen faschistischen Bewegung hat seither die Macht im Land.
Unvorstellbar schien das vielen noch vor kurzer Zeit. Wie haben sich das
Leben, Alltag, die Bedingungen für soziale Kämpfe linker Aktivist:innen
geändert?
Nicht erst durch den Anschlag wurde Bologna zu einem der Orte, an dem die
Auseinandersetzung zwischen der Linken und der extremen Rechten in Italien
sich in besonderer Weise verdichtet. Der in Italien [3][berühmte Aufstand
1977] spielte sich hier ab, die weltberühmte Universität brachte viele
Theoretiker hervor, die starken Einfluss auf die sozialen Bewegungen des
Landes hatten. Und diese haben bis heute hier einen Schwerpunkt. Und auch
ein Jahr nach Meloni hat die Stadt noch immer eine große linke Szene.
Auf der Südseite der Innenstadt etwa haben Aktivist:innen am 6. Oktober
das Istituto Santa Giuliana besetzt – ein leer stehendes, bis vor Kurzem
von der Kirche betriebenes Internat, braun verklinkert, vier Stockwerke.
Unten sind Unterrichts- oben Schlafräume. Zwei Kollektive stehen hinter der
Besetzung: Das Teatro Polivalente Occupato und eine Gruppe namens Làbas.
Seit Jahren gehen deren Aktivist:innen immer wieder in leer stehende
Gebäude in der Stadt. Sie protestieren gegen die explodierenden Mieten,
versuchen, temporären Wohnraum zu schaffen. Am dritten Abend der Besetzung
hängt ein Transparent aus dem Fenster. „Wohnen ist ein Recht“, steht
darauf. Drinnen sitzen junge Leute im Hof, rauchen, ein paar Flüchtlinge
sind dabei.
„Allen fehlt Wohnraum, die Menschen werden verdrängt – Geflüchtete,
Studierende, Arme. Den Protest dagegen wollen wir hier zusammenbringen,“
sagt eine junge Frau, die sich als Giulia vorstellt. Seit 2015 besetzt sie
immer wieder Häuser [4][in Bologna]. Bis zum Sommer war in dem Gebäude eine
Nonnenschule. Dann ging der Kirche das Geld aus. Das Gebäude wird nun
verkauft. Der neue Eigner will ein kommerzielles Studentenwohnheim daraus
machen. „Noch eins“, sagt Giulia. „Die Stadt ist schon voll davon.“ Die
Kirche beantragte noch am Tag der Besetzung bei der Polizei die Räumung.
Giulia erzählt vom lokalen Flüchtlingsheim in der Via Mattei. Dort sind 800
Menschen untergebracht, es gibt aber nur 250 Plätze. Die meisten wohnen in
überfüllten Zelten. Einer der Bewohner ist zu der besetzten Schule
gekommen, sein Name ist Youcif, er stammt aus dem Sudan. Er zeigt ein Video
aus dem Innern des Lagers. „60 bis 100 Menschen in einem Zelt“, sagt er.
„Das hält man nicht aus. Und bald kommt der Herbst.“
Die Besetzer:innen würden am liebsten Geflüchtete und Studierende in
dem Haus wohnen lassen. Doch sie werden nicht bleiben können. Im August
erließ die Meloni-Regierung ein Dekret: Neue Besetzungen müssen innerhalb
weniger Werktage geräumt werden. „Früher gab es hier Squats, die sich fünf
Jahre oder länger halten konnten“, sagt Giulia. Zugute komme ihnen zwar,
dass Bolognas Bürgermeister Matteo Lepore zur sozialdemokratischen PD
gehört. „Aber er muss natürlich vollziehen, was die Regierung anordnet.“
An diesem Abend aber ist von der Polizei noch nichts zu sehen. Sie rückte
erst am 17. Oktober an, als das Istituto Santa Giuliana geräumt wurde. Sind
solche Besetzungen unter der neuen Regierung also gefährlicher als früher?
„Wenn man keinen Widerstand leistet, gibt es keine Verhaftung“, sagt
Giulia. „Sie stellen die Personalien fest, das war’s dann.“ Die direkte
Repression gegen Aktivist:innen habe nicht zugenommen, sagt Giuilia.
„Da sehe ich keine sehr starken Veränderungen bisher.“ Die Veränderungen
seien eher schleichend.
In den letzten Monaten habe die Regierung eine Welle von Dekreten erlassen.
Unter anderem wurde das Haftalter herabgesetzt. Meloni habe „den Gedanken
von Sicherheit und Repression stärker gemacht, auch gegenüber jungen
Leuten“, sagt Giulia. Gleichzeitig sei nun sehr viel von traditionellen
Familienrollen die Rede. Das sei nicht ohne Folgen geblieben. „Im Sommer
nahm die Gewalt gegen Frauen zu, die Zahl der Femizide stieg. Wir sehen da
einen klaren Zusammenhang.“
Meloni gehe die Dinge viel ruhiger an als ihr Konkurrent Matteo Salvini von
der Lega. „Der war viel impulsiver, hat auf Propaganda und Theater gesetzt.
Häfen zu, NGOs plattmachen“, sagt Giulia. „Meloni ist viel cleverer.“ Das
einzige Thema, bei dem sie bisher angreifbar sei, seien die hohen
Flüchtlingszahlen. Doch die Kritik an Meloni bleibt bisher verhalten. „Sie
vermittelt den Leuten den Eindruck, dass sie tut, was sie kann und ihr
Bestes gibt“, sagt Giuilia.
„Und sie kann die Schuld auf andere schieben – zum Beispiel auf den
Präsidenten von Tunesien, weil der unkooperativ ist.“ Gleichzeitig spiele
sie geschickt etwa ukrainische und afrikanische Flüchtlinge gegeneinander
aus. „Sie gewinnt viel Unterstützung in der Bevölkerung, wenn sie sagt,
dass manche Geflüchtete wichtiger sind als andere, dass Männer aus Afrika
doch in ihren Ländern arbeiten können.“ So unterstützen viele, dass Meloni
neue Internierungslager bauen wolle und [5][bei der Migration] auf
Kriminalisierung und Militarisierung setzt.
Die jungen Leute in dem besetzten Internat fürchten, dass Meloni, anders
als viele Regierungschefs vor ihr, noch eine Weile im Amt bleibt. „Sie hat
eine starke, solide Strategie“, sagt Giulia. Auch, weil sie nicht gegen die
EU arbeite. „Sie will die nicht verlassen, wie die Lega immer getönt hat.
Sie will sie zu einer Union aus stärkeren Nationalstaaten umbauen.“ Die
nächste Besetzung ist nur wenige Ecken weiter. Ein Grundstück der
Universität, die Orientalistik-Fakultät, am Rande der Altstadt. Seit diesem
Wochenende haben Studierende hier Zelte aufgestellt. Es ist dunkel, das Tor
haben sie zugeschoben, im orangenen Licht der Straßenlaternen sitzen sie an
einem Tisch im Hof, trinken Bier, spielen Spiele.
„Das ist kein symbolischer Protest“, sagt Anna, eine junge Frau aus der
Nähe von Mailand, die im zweiten Jahr Politikwissenschaft studiert. „Wir
können uns wirklich kein Zimmer leisten.“ Sie kochen in dem
Studierendencafé in einer kleinen Baracke, waschen sich in der
Uni-Toilette. Bis zu 800 Euro kostet in Bologna ein WG-Zimmer, in den
kommerziellen Wohnheimen sind es schnell 1.000 Euro. „Meloni [6][hat
Sozialleistungen gekürzt] und das trifft auch die Jugend“, sagt Anna. Und
zwar umso schlimmer, weil es in Italien keinen Mindestlohn gebe. Einige der
Studierenden erzählen, dass sie bei Lieferdiensten arbeiten und teils nur
auf 2,50 Euro Lohn die Stunde kommen.
## Subtile Repression der Regierung
Viele würden vom Haus der Eltern nach Bologna pendeln, weil die Zeitkarte
im Regionalzug billiger sei als ein Zimmer. „Jeden Morgen, jede Nacht 3
Stunden im Zug“, sagt Anna. „Wer dann nicht mitkommt und nicht genug Credit
Points nachweist, verliert seinen Studienplatz, muss den Studienkredit
zurückzahlen und ist verschuldet.“ Die Rechten redeten gern von
„Meritokratie“, sagt Anna. Davon also, dass jeder bekommen solle, was er
verdient. „Aber wer drei Jobs braucht, um seine verschimmelte Studentenbude
zu behalten, kann nicht viel lernen. Sie tun so, als ob es diese
Unterschiede nicht geben würde.“
Die Repression der Regierung gegen Protestbewegungen sei „eher subtil“,
meint sie dann. „Es ist eher eine Delegitimierung. Sie sagen: ‚Sie sind
faul und wollen nicht arbeiten.‘ Oder: ‚Sie wollen aus schönen Häusern
hässliche, verfallende Sozialzentren machen.‘“ Am 2. Oktober gab es in
Turin Proteste von Schüler:innen gegen einen Besuch Melonis. Die Polizei
verprügelte die jungen Leute. „Da hat man gesehen, was die Antwort sein
kann, wenn man gegen die Regierung ist.“ Angst hätten sie aber keine, sagt
Anna.
Die Linie zwischen der heutigen Regierungspartei und dem historischen
italienischen Faschismus ist sehr direkt. In der von 1943 bis 1945
bestehenden „Italienischen Sozialrepublik“, einem NS-Protektorat unter dem
Faschistenführer Benito Mussolini, gab es eine Staatspartei: Die
Republikanisch-Faschistische PFR. Deren Ex-Funktionäre gründeten 1947 das
Movimento Sociale Italiano (MSI). Die wiederum ging 1995 in der Alleanza
Nazionale (AN) auf, mit der Silvio Berlusconi ab 1995 mehrfach koalierte.
Und Funktionäre der AN gründeten dann 2012 die Fratelli d’Italia – die
heutige Regierungspartei.
Nicht weit entfernt von Bologna liegt Reggio Emilia. Hier lebt seit über 20
Jahren Matthias Durchfeld. Der Geschichtsarbeiter ist Direktor des
[7][Instituts Istoreco]. Die in einem ehemaligen Klostergebäude
untergebrachte Einrichtung hat über drei Kilometer Regalböden an Dokumenten
über den Faschismus und den Partisanenkampf zusammengetragen. Ihre Aufgabe
sehen sie vor allem darin, junge Menschen über die Vergangenheit
aufzuklären. Melonis Wahl habe ihn und seine Mitarbeiter „ein wenig
geschockt“, sagt Durchfeld. Eine Zunahme an Repression gegen die
antifaschistische Gedenkarbeit gebe es bisher aber nicht, sagt Durchfeld.
Und bisher sei auch der finanzielle Schaden der Meloni-Regierung für die
Gedenkarbeit „relativ übersichtlich“, sagt Durchfeld.
Das Netzwerk der Geschichts-Institute wird auch vom Staat gefördert: Mit
dem Bildungsministerium in Rom gibt es einen Vertrag. 30 Lehrer:innen
sind aus dem Staatsdienst freistellt, um für die Institute zu arbeiten und
dort Schulprojekte zu organisieren. Daran hat sich auch nach Melonis
Amtsübernahme nichts geändert „Seit Jahrzehnten ist das nie infrage
gestellt worden“, sagt Durchfeld.
Über ein regionales „Gesetz für die Erinnerung“ kommt indes die meiste
Unterstützung von der sozialdemokratischen Regierung der Region Emilia
Romagna. Und auch 42 Städte der Region zahlen heute Mitgliedsbeiträge an
das Istoreco – darunter auch solche, die von rechten Bürgerlisten regiert
werden. In der Vergangenheit hatten andere Institute aus dem Netzwerk
„politisch motivierte Kündigungen“ ihrer Räume erhalten, sagt Durchfeld. …
„zwei, drei“ solcher Fälle könne er sich erinnern, etwa im piemontesischen
Biella. Doch das sei bereits vor Melonis Amtsübernahme geschehen. „Die Lega
Nord wollte die Institute ja auch nicht.“
Politische Einflussnahme durch rechte Politiker gebe es heute durchaus,
sagt Durchfeld. Und zwar vor allem beim Thema der Foibe. Dabei handelt es
sich um wohl einige Tausend faschistische italienische Kämpfer, die ab 1943
von jugoslawischen Partisanen im Gebiet des heutigen Istriens getötet
wurden. Die extreme Rechte in Italien bemüht sich nach Kräften, dass sie
als Opfer antiitalienischer Gewalt betrachtet werden. „Da wird enorm
Einfluss genommen“, sagt Durchfeld. Es gebe Regionalgesetze, Vorschriften
zu Sprachregelungen, vor allem im Nordosten des Landes. An dem Versuch, die
Tötung der Foibe als „Völkermord an Italienern“ zu bezeichnen, zeige sich
das seit jeher bestehende Problem der „Veropferung der italienischen
Geschichte und des Vertuschens der italienischen Täter“, sagt Durchfeld.
„Das hat eine lange Tradition.“
Diese Form rechter Geschichtspolitik habe sich schon zu Zeiten Berlusconis
abgezeichnet. „Den Gedenktag am 10. Februar versucht die extreme Rechte so
zu besetzen, dass die deutschen Nationalsozialisten und jugoslawische
Kommunisten die Italiener getötet haben – die Italiener sind demnach zwei
Mal Opfer und nie Täter.“ Neu sei, dass die Regierung Melonis versuche, in
diesem Sinne Einfluss auf Schulen zu nehmen. „Es gab Rundschreiben, dass
alle den Foibe-Tag begehen müssen“, sagt Durchfeld. „Sie haben sogar
Spruchbänder ans Kolosseum gehängt, was für die ermordeten Juden nie getan
wurde.“
Der rechten Geschichtspolitik etwas entgegen zu setzen, versucht das VAG61,
ein linkes Kulturzentrum in Bologna. 2003 hatten Aktivist:innen des
lokalen Indymedia-Kollektivs ein Gebäude besetzt, später vermietete die
sozialdemokratische Stadtregierung ihnen ein kleines Haus im Norden der
Innenstadt.
## Bologna habe eine „linke DNA“
Im ersten Stock ist heute ein linkes Bewegungsarchiv untergebracht. Die
[8][Seenotrettungs-NGO Mediterranea] hat hier ein Büro, genau wie die
Redaktio der ZIC notes. Nachmittags gibt es Hausaufgabenhilfe, abends
Lesungen und Konzerte. Bologna habe bis heute eine „linke DNA“, sagt
Andrea, der seit Jahrzehnten im Vag 61 aktiv ist. Sein Name ist ein
anderer, er will nicht, dass er in der Zeitung erscheint und hat um ein
genderneutrales Pseudonym gebeten. „Aber es ist eher Glut als eine Flamme.
Alles ist etwas ruhiger, aber noch da.“
Das, so glaubt Andrea, dürfte auch damit zu tun haben, dass Meloni noch
viel Geld zu verteilen hat. Kein Land bekommt mehr Geld aus dem 190
Milliarden Euro schweren [9][EU-Covid-Wiederaufbaufond]s. Die vielen neuen
Projekte befrieden Unmut – aber werden durch die Kürze der Zeit in die
falschen Hände geraten: Die Mafia werde dafür sorgen, dass sie ihren Anteil
bekommt, sagt Andrea. „Die soziale Frage wird voll durchschlagen, wenn in
einigen Jahren die EU-Milliarden aufgebraucht sind.“
Dass Meloni sich im Amt bisher anders verhielt, als viele befürchtet hatten
– etwa die Solidarität mit der Ukraine und Israel oder der kooperative Kurs
mit der EU –, sei vielleicht „eine italienische Sache“, sagt Andrea: „H…
macht keiner, was von ihm erwartet wird.“ Als Meloni gewählt wurde, dachte
er nicht, dass es einen neuen Faschismus wie einst geben würde, „mit
Partisanen oder so“. Das Hauptproblem hätten zunächst die Minderheiten:
„Migranten und LGBTIQ. Gegen die gehen sie nun vor. Danach sind vielleicht
andere dran.“
Allein in den Bereichen Feminismus und Migration hingegen hätten die
Proteste zugenommen. Es sind die Bereiche, in denen die Regierung konkrete
Änderungen verfolge – beim Abtreibungsrecht und bei den Abschiebungen. Doch
diese Felder zu großen, kollektiven Protesten zusammenzubringen, sei
schwierig. „Aber das ist ein allgemeines Problem der letzten Jahre.“
Immerhin: Rund 200.000 Menschen sind am 7. Oktober dem Aufruf von
Gewerkschaften und NGOs zu Sozialprotesten in Rom gefolgt. „Das richtete
sich aber nicht gegen die Regierung an sich, sondern gegen geplante
Änderungen beim Arbeitsrecht.“
Die sozialen Bewegungen seien insgesamt etwas ruhiger als etwa zu Zeiten
der Regierungen von Silvio Berlusconi, an denen ja ebenfalls Faschisten
beteiligt waren. „Damals gab es keine sozialen Netzwerke, nur Protest auf
der Straße“, sagt Andrea. „Heute suchen die Menschen andere Wege des
Protests – oft im Netz.“ Rechte Demos gebe es hin und wieder, stärker
geworden seien die nicht. „Es gibt hier nicht so viele sichtbare
Faschisten.“ Einige Tausend würden kommen, wenn Rechtsextreme zum Gedenken
an das Foibe-Massaker aufrufen würden. Zwei Häuser, die die faschistische
Casa Pound-Bewegung in Bologna hatte, wurden geschlossen.
„Das war ein langer Kampf“, sagt Andrea. Der Aufstieg der Fratelli d’Ital…
zur Regierungspartei habe eine Sogwirkung entfaltet – weg von der Straße,
rein in die Partei. Um zu sagen, wie es weiter gehe, sei es noch zu früh,
sagt Andrea. „Das Wahlsystem können sie nicht ändern, dafür bräuchten sie
größere Mehrheiten. Dass es Plätze wie das Vag61 und die vielen anderen
linken Orte im Land noch gebe, zeige die Grenzen der Macht der Regierung.
„Es ist nicht so einfach, solche Orte plattzumachen. Im Wahlkampf kündigt
man das an und danach macht man vielleicht hier und da eine kleine Räumung,
und dann kann man sagen, wir haben geliefert, es geht ja auch viel um
Rhetorik.“
Es ist ein Paradox: Die Infrastruktur sozialer Projekte, von
Graswurzelinitiativen ist in ganz Italien dicht – nicht nur in linken
Zentren wie Bologna, auch in der Provinz gib es eine kaum zu überblickende
Zahl etwa von Solidaritätsinitiativen. Doch das als Zeichen eigener Stärke
wahrzunehmen, vermögen viele Aktivist:innen nicht.
Andrea versteht das. „Es bleibt eben nur, sich anzupassen“, sagt er. Für
Solidarität von unten, für Beratungsstellen oder Besetzungen, dafür reiche
die Kraft der Bewegungen. Es sei „evident, dass das etwa für die Migranten
sehr wichtig ist“. Aber die Erosion der Grund- und Menschenrechte, die die
extreme Rechte produziert, zu stoppen – das sei nicht möglich. „Wir können
das nur ein Stück weit kompensieren.“ Doch weil sich an der grundlegenden
politischen Lage nichts ändere, seien eben viele frustriert.“
Repression spiele dabei bislang nur bedingt eine Rolle. „Die gab es schon
immer, das ist heute nicht anders als früher. Die Polizei war schon immer
rechts, auch wenn die Regierung links war“, sagt Andrea. „Die verprügeln
dich, egal wer regiert.“ Doch dass Menschen in Italien heute nicht auf die
Straße gehen, weil sie Angst vor der Polizei haben – das sei nicht so. „Sie
hält eher zu Hause, dass sie müde geworden sind, weil es keine positiven
Veränderungen gibt.“
22 Oct 2023
## LINKS
[1] https://en.wikipedia.org/wiki/Bologna_massacre
[2] /Ein-Jahr-Meloni/!5959210
[3] https://en.wikipedia.org/wiki/Movement_of_1977
[4] /Verkehrswende-in-Bologna/!5945366
[5] /Von-der-Leyen-auf-Lampedusa/!5957958
[6] /Gestrichene-Sozialhilfe-in-Italien/!5947928
[7] https://www.istoreco.re.it/
[8] https://de.sosmediterranee.org/helfen-fuer-mehr-menschlichkeit/?gclid=CjwKC…
[9] https://www.consilium.europa.eu/de/infographics/ngeu-covid-19-recovery-pack…
## AUTOREN
Christian Jakob
## TAGS
Italien
Giorgia Meloni
Faschismus
Antifaschismus
GNS
Lesestück Recherche und Reportage
Italien
Italien
Mafia
Hannover
Italien
Albanien
Giorgia Meloni
Giorgia Meloni
Italien
Asylpolitik
Italien
## ARTIKEL ZUM THEMA
Zentralstaat und Regionen in Italien: Die Lega setzt sich durch
Italiens Senat beschließt eine Staatsreform zur Stärkung der reichen
Regionen. Damit dürften staatliche Leistungen weiter auseinanderfallen.
Flüchtlingsdeal mit Albanien: Italien setzt auf Abschreckung
Die Flüchtlingszahlen in Italien steigen. Die Regierung will nun eine
restriktivere Unterbringung und vorgelagerte Asylzentren in Albanien.
'Ndrangheta-Prozess in Kalabrien: Mafia-Bekämpfung all'italiana
In Süditalien endet ein historischer Prozess gegen die Mafia und deren
Helfer in Politik und Polizei. Wann geht auch Deutschland gegen die Mafia
vor?
Kundgebung nach Femizid in Hannover: „Das Morden muss aufhören“
Auf einer Gedenkkundgebung trauern feministische Aktivist*innen in
Hannover um die 21-jährige Leonie F.. Sie wurde von ihrem Ex-Freund
erstochen.
Melonis Asylverfahrenslager in Albanien: Zwischenlager nicht vorgesehen
Meloni und ihr albanischer Amtskollege Rama einigen sich auf eine
Zwischenstation für aus dem Mittelmeer Gerettete. Mit EU-Recht ist das
unvereinbar.
Memorandum zwischen Italien und Albanien: Migrationsdeal alla Meloni
Italien darf 2024 zwei Aufnahmelager für Asylsuchende in Albanien
errichten. Dessen Ministerpräsident spricht von einem „Abkommen der
Brüderlichkeit“.
Medien-Skandal in Italien: Giorgia Meloni nach Drama getrennt
Nachdem belastende Aufnahmen von Melonis Partner auftauchten, trennt diese
sich. Der perfekte Skandal fällt in einen Streit mit Marina Berlusconi.
Brücke von Messina: Rechte bauen gerne Brücken
Italiens Rechtsregierung belebt ein Brückenprojekt vom Festland nach
Sizilien neu. Für die Umwelt wäre das eine sehr schlechte Idee.
Ein Jahr Meloni: Die disziplinierte Populistin
Vor einem Jahr kam die Rechtspopulistin Giorgia Meloni in Italien an die
Macht. Viele im Land und in ganz Europa beunruhigte ihr Sieg. Zu Recht?
Flucht und Migration: Sie kommen trotzdem
Im Diskurs über Flucht übernehmen Konservative die Sprache und die
Forderungen der Rechten. Doch Migration lässt sich nur schwer
kontrollieren.
Grundsicherung in Italien gestrichen: Kein Geld mehr für „Beschäftigbare“
Italiens Regierung streicht Arbeitslosen die Unterstützung. Betroffene
werden per SMS informiert – und die Kommunen sind nicht vorbereitet.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.