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# taz.de -- Landleben versus Großstadtdasein: „Da wird zu wenig differenzier…
> Lisa Maschke forscht zu den Potenzialen ländlicher Räume für die
> sozial-ökologische Transformation. Ein Gespräch über kritische
> Landforschung.
Bild: „Zu sagen, das Dorf wählt rechts, wäre zu einfach“, sagt Lisa Masch…
wochentaz: Frau Maschke, in Bayern und Franken feierte im Wahlkampf das
Bierzelt seine politische Wiedergeburt. Ist damit das Bild von der
rückständigen Provinz zurück?
Lisa Maschke: Das war nie weg. Selbst bei Leuten, die sich mit ländlichen
Räumen beschäftigen, taucht in Diskussionen immer wieder ein sehr starres
Bild auf. Auch ein sehr altes Bild, nicht nur als rückständig wird das Land
da gesehen, sondern auch als konservativ und rechts. Da wird viel zu wenig
differenziert.
Differenzieren Sie mal.
Tatsächlich ist das Land viel weiter als die Bilder, die viele von ihm
haben. Auch Mädchen gehen heute zur freiwilligen Feuerwehr, und auch auf
dem Land gibt es eine Willkommenskultur.
Die undifferenzierten Bilder stammen vor allem von denen, die in der Stadt
leben?
Ja. Und da ist auch eine Arroganz dabei, die ich für gefährlich halte. Das
Thema ländliche Räume hat nicht nur in der Politik, sondern auch bei den
urbanen Eliten lange Zeit keine wirkliche Rolle gespielt. Stattdessen
blicken viele eher abschätzig auf die Menschen in ländlichen Räumen.
Warum eigentlich? Müssen sich die Eliten in der Stadt selbst versichern,
dass sie fortschrittlicher sind als die vermeintlich rückständige Provinz?
Es wäre ja nicht das erste Mal, dass sich eine Gruppe über eine andere
definiert. Vielleicht hat es aber auch mit den Erfahrungen zu tun, die
diese Menschen selbst in ländlichen Räumen gemacht haben. Vor allem
diejenigen, die dort in den 60er und 70er Jahren groß geworden sind, haben
das Leben dort oft als negativ, als einengend erlebt. Manche scheinen vom
Leben auf dem Land regelrecht traumatisiert zu sein.
Vor der sozialen Kontrolle auf dem Dorf fliehen auch heute noch viele in
die Anonymität der Großstadt.
Das prägt einen sicher. Da bleibt dann dieses Bild bestehen, auch wenn es
vielleicht nicht mehr der Realität entspricht. Und bei den Bildern aus dem
Bierzelt wird es bestätigt.
Wann und warum ist dieses Bild vom rückständigen Landleben entstanden?
Das sind sehr unterschiedliche Ursprünge. In linken Diskursen geht das
meiner Meinung nach unter anderen auch auf Marx zurück. Da spielten vor
allem die Besitzverhältnisse eine Rolle. Die Rückständigkeit zeigte sich
vor allem am vorherrschenden Privateigentum. Bis heute leben auf dem Land
mehr Menschen in Eigenheimen als in Mietwohnungen. Da entstand dann diese
Zuschreibung des Festhaltens und Schützens des Eigenen, vom Bewahren von
Traditionen.
Das Kleben auf der Scholle, das einen daran hindert, in die Welt zu gehen
und seinen Horizont zu erweitern.
Der ländliche Raum wurde im Zuge der Industrialisierung und Urbanisierung
dann immer mehr zum Gegenentwurf der Stadt. Die Jungen und Mobilen gehen
weg …
… Stadtluft macht frei.
Und zurück bleiben die Alten, weniger Mobilen und in der Regel geringer
Qualifizierten.
Die hübsche Schwester der Rückständigkeit ist die Idylle.
In der gesellschaftlichen Wahrnehmung sind die Städte die Orte, an denen
Veränderung stattfindet. Hier gibt es Innovation und Fortschritt. Aber
insbesondere im 19. Jahrhundert gab es dort auch Krankheit, Armut, Hunger.
Wer es sich leisten konnte, ging zur Erholung raus in die Natur, aufs Land,
das bald zum Synonym für das einfache Leben wurde. Der ländliche Raum als
Ort der Entspannung, der Ruhe, der Entschleunigung. Das gilt im Grunde bis
heute.
Diese Dichotomie von Rückständigkeit und Idylle verrät ein ausgeprägtes
Schwarz-Weiß-Denken. Wie viel Anteil hat denn Ihre Disziplin, die
Geografie, daran?
In der deutschsprachigen Geografie wurde der ländliche Raum lange Zeit
wenig beachtet. Die Geografie schaute dorthin, wo Veränderung wahrgenommen
wurde, und das waren die Städte. Auf das Land hat sie aus der Perspektive
der Stadt geschaut. Auch die Universitäten befinden sich ja in den Städten,
die Forscherinnen und Forscher leben in den Städten, das Geld für die
Forschung kommt aus der Stadt.
Im englischsprachigen Raum ist das anders, sagen Sie.
Da gibt es die Tradition der Rural Studies. Wir sehen da ein großes
Interesse, auch an den strukturellen Hintergründen der Entwicklungen in
ländlichen Räumen. Wenn nun auch in Deutschland aufs Land geschaut wird,
hat das viel mit den Wahlerfolgen der AfD zu tun. Da fragen sich manche:
Haben wir da was übersehen?
Also eher ein Reagieren als eine Paradigmenwechsel in der Geografie?
Ein Paradigmenwechsel ist es noch nicht. Aber das Thema ist inzwischen da,
auch auf dem Geografiekongress in Frankfurt. Das ist dann immer ein
Gradmesser. Wenn ich da ländliche Räume als Suchbegriff eingebe, kommt da
eine ganze Menge. Das zeigt schon, dass sich etwas verändert. Bis das aber
vom wissenschaftlichen Kontext der kritischen Landforschung in den
politischen Bereich ausstrahlt, dauert es.
Was muss ich mir unter kritischer Landforschung vorstellen? Ist das eine
Reaktion auf die Engführung des Blicks in der Mainstream-Geografie?
Es ist zum einen eine Antwort auf Anstöße aus dem englischsprachigen Raum.
Und auch darauf, dass der Fokus auf die Stadt alleine nicht der
gesellschaftlichen Realität entspricht. Noch immer lebt die Hälfte der
Menschen in Deutschland in ländlichen Räumen.
Und institutionell? Ist kritische Landforschung ein Netzwerk von
Forscherinnen und Forschern, die nun die Perspektive wechseln wollen?
Es gibt inzwischen schon einige Forscherinnen und Forscher, die man in
diese Richtung einordnen kann und die dazu auch veröffentlichen. Es gibt
auch [1][eine Reihe beim Transkript-Verlag] dazu. Auch die
Rosa-Luxemburg-Stiftung beschäftigt sich mit dem Thema. Aber es ist bei
Weitem nicht das, was es an kritischer Stadtforschung gibt.
Welcher Begriff von Land liegt Ihrer Forschung zugrunde?
Grundsätzlich kann man vielleicht sagen, dass der ländliche Raum noch nicht
so umfangreich theoretisiert ist wie die Stadt. Und natürlich gibt es auch
nicht den ländlichen Raum, deswegen sprechen wir auch im Plural von
ländlichen Räumen. Denn die Spannbreite ist sehr groß.
Von den kleinen Dörfern in Brandenburg bis zur Agglomeration in
Nordrhein-Westfalen, wo man nicht weiß, ob man sich noch im Speckgürtel der
Stadt A oder schon im Speckgürtel der Stadt B befindet?
Das macht es auch so schwer, den Begriff des Ländlichen zu definieren und
zu fassen. Das Thünen-Institut versucht es mit harten Indikatoren wie
Bevölkerungsdichte oder der räumlichen Distanz zu größeren Zentren. In der
kritischen Landforschung sehen wir aber auch die Dynamik und die
Konstruiertheit dieses Begriffs. Das sind ja keine festen oder gar
naturgegebenen Kategorien, sondern Ergebnisse gesellschaftlicher Prozesse,
Zuschreibungen und Diskurse. Räume sind nicht einfach nur, sie entstehen
durch gesellschaftliche Praxis und politische Entscheidungen.
Spielt auch soziale und kulturelle Homogenität und Heterogenität eine
Rolle? Wenn ich an Georg Simmel und seine Tradition der Stadtsoziologie
denke, ist Stadt vor allem der Ort, wo Fremde aufeinandertreffen. Wenn das
Land dagegen der Ort ist, wo man sich kennt, würde das ja auch für homogene
städtische Quartiere wie den Prenzlauer Berg in Berlin zutreffen. Ich
selbst schreibe ja manchmal scherzhaft von der Verdorfung der Stadt.
Deswegen komme ich bei solchen Definitionen immer ins Grübeln. [2][Henri
Lefebvre] beispielsweise sieht eine umfassende Urbanisierung der
Gesellschaft, weil er das Urbane darüber definiert, dass Differenzen
aufeinandertreffen. Das haben wir mehr und mehr auch in den ländlichen
Räumen.
Unsere Bilder von Stadt und Land haben sich dieser Realität aber noch nicht
angepasst.
In vielen Fällen leider nicht, sie scheinen in Stein gemeißelt. Dabei sind
ländliche Räume genauso wie urbane von aktuellen dynamischen Prozessen wie
Digitalisierung, Strukturwandel oder eben Wanderungsbewegungen betroffen.
Gerade die Politik spielt da auch eine große Rolle. Welche Infrastrukturen
werden geschaffen? Wird der Schienenverkehr ausgebaut? Wird das Schwimmbad
gebaut? Gibt es eine Bibliothek? Welche Arbeitsplätze werden geschaffen?
All das sind Faktoren, die Menschen bewegen, dort hinzuziehen oder auch
nicht. Wenn die Politik da nicht aktiv ist, entstehen Versorgungslücken,
die von rechten Strukturen besetzt werden können. Das wiederum kann dazu
führen, dass andere sagen: Da möchte ich nicht mehr leben.
Haben Sie das selbst erlebt?
Nicht persönlich, aber ich kenne Leute, die haben versucht, in einer Region
Fuß zu fassen, und sind dabei gescheitert. Entweder sind sie richtig aktiv
rausgedrängt und angefeindet worden. Oder aber sie haben festgestellt, dass
sie keinen Anschluss kriegen.
Allerdings muss man, gerade als Städter, das Landleben auch lernen. Wie war
das denn bei Ihnen? Sie arbeiten zwar an der Uni Bayreuth, leben aber in
einem Dorf auf dem Land.
Ich wohne mit vielen anderen in einer Wohngemeinschaft auf einem ehemaligen
Bauernhof mitten im Dorf. Unsere Nachbarn wohnen da schon seit
Generationen. Aber außenrum werden gerade Neubausiedlungen für
Einfamilienhäuser geplant.
Funktioniert das mit der Nachbarschaft?
(lacht) Ich hab den Nachbarn am Anfang tatsächlich kaum verstanden, weil er
sehr Dialekt spricht.
Sie selbst sind in Hamburg geboren.
Und in Geesthacht, einer Mittelstadt nahe Hamburg, und im Wendland
aufgewachsen. Da habe ich dann auch das Dorfleben kennengelernt. Aber ich
habe das Leben auf dem Land als etwas Positives erlebt, vielleicht weil ich
auch als Jugendliche immer die Option hatte, auch in der Stadt zu leben.
Aber lernen musste ich das dann auf dem Dorf in Oberfranken tatsächlich,
wenn auch nur sprachlich.
Sie hätten auch in Bayreuth in die Stadt ziehen können.
Außer in Frankfurt, wo ich nach Bayreuth studiert habe, und ein paar Monate
in Berlin hab ich nie länger in einer Großstadt gelebt. Mir hat das
Ländliche bei Bayreuth gut gefallen, wir haben einen großen Garten. Am
Anfang war es eine Studierenden-WG, aber jetzt studiert schon seit Jahren
keiner mehr von uns. Trotzdem sind wir im Dorf immer noch „die Studenten“.
Ein Lernprozess war das dann auch für Ihren Nachbarn.
Der ist in seinem Denken sehr konservativ. Wir haben da schon unseren
Status im Dorf. Aber trotzdem werden wir respektiert und zu Dorffesten
eingeladen. Und einmal im Jahr machen wir ein großes Hoffest, wo wir auch
die Nachbarschaft einladen. Da kommt dann auch die Dorfjugend. Allerdings
erst um drei Uhr morgens, wenn sie schon betrunken sind. Aber dann sitzen
sie mit uns am Lagerfeuer und spielen Gitarre.
Sie kommen also nicht, um Randale zu machen.
Nein. Das klappt gut. Auch mit dem Nachbarn. Er ist pensionierter Landwirt.
Mit dem diskutieren wir über die Kirche, über die Grünen. Da haben wir sehr
unterschiedliche Haltungen, und trotzdem ist ein Austausch da. Das ist es,
was ich an diesem Leben im Dorf auch schätze. Natürlich bin ich auch in
meiner Blase, das will ich gar nicht leugnen. Ich kriege aber auch mit, was
die Menschen vor Ort beschäftigt.
Erscheinen Ihnen da manche dieser typisch urbanen Diskurse weit weg in
diesen Momenten?
Persönlich eher nicht. Aber ja, es gibt da sicher ein Unverständnis im
Dorf, warum Themen wie gendergerechte Sprache einen so großen Raum kriegen
in der Politik. Aber das hat nicht nur mit dem Gegensatz von Stadt und Land
zu tun, das ist auch eine Generationenfrage. Es ist eben nicht so
schwarz-weiß. Da müssen wir aufpassen, dass wir da nicht einen Gegensatz
aufmachen, wo dann die AfD für sich behaupten kann, sie sei die Partei für
den ländlichen Raum.
Heißt das, dass der Stadt-Land-Diskurs nicht taugt, um Wahlverhalten zu
analysieren? In Brandenburg ist die AfD nach Umfragen stärkste Partei, in
den Berliner Innenstadtbezirken sind es die Grünen.
Zu sagen, das Dorf wählt rechts, wäre zu einfach. Ich würde solche
Wahlergebnisse nicht den Raumkategorien zuschreiben, sondern den
gesellschaftlichen Prozessen und strukturellen Problemen, die
dahinterstehen.
Das taugt als Ansatz in Brandenburg nur bedingt. Brandenburg hat die größte
Wirtschaftsdynamik unter den Flächenländern, die Bevölkerung wächst nicht
mehr nur im Berliner Speckgürtel. Brandenburg schreibt eine
Erfolgsgeschichte, und dennoch ist die Unzufriedenheit groß. Woran kann das
liegen?
Wenn man einmal die Erfahrung mit einem großen Strukturwandel gemacht hat,
wenn man erfahren musste, dass es abwärts geht, kann das sehr prägen. Auch
für die Einstellung, wie man neuen Herausforderungen gegenübersteht.
Sie würden also nicht sagen, dass das Wahlverhalten auf dem Land in erster
Linie eine Reaktion auf die kulturellen Veränderungen ist, sondern eher auf
die wirtschaftliche und ökologische Transformation, in der wir derzeit
stecken.
Ich denke, es ist beides. Kultureller Wandel und die Verunsicherungen und
Widerstände, die er bei vielen Menschen auslöst, tragen sicher auch ihren
Teil dazu bei. Ich glaube aber, in erster Linie sind die Wahlerfolge
rechtspopulistischer Parteien in peripheren Räumen dem Strukturwandel und
einer politischen Vernachlässigung dieser Räume im Zuge anhaltender
Neoliberalisierungsprozesse zuzuschreiben. Wenn nun Diskussionen über
Wärme-, Energie- und Mobilitätswende geführt werden, präsentiert die
Politik in erster Linie Lösungen für urbane Räume.
Ist das auch ein Widerstand gegen eine Art von Kolonisierung? Letztens
hörte ich, wie eine Frau auf dem Land zu einem aus Berlin sagte, du findest
Windräder doch nur gut, weil sie nicht bei dir stehen. Die Energiewende
findet in Gestalt von Windparks und PV-Freiflächenanlagen physisch auf dem
Land statt, aber die meiste Energie wird in der Stadt verbraucht. Darüber
wird erstaunlich wenig diskutiert.
Das ist tatsächlich eine spannende Frage, die bisher zu wenig Beachtung
findet, auch in der Wissenschaft: Wo findet die Transformation statt? Wer
trägt sie? Das gilt ja nicht nur für die Energiewende, sondern zum Beispiel
auch für Mobilität
Vom Deutschlandticket profitieren nur Pendler und die Menschen in den
Ballungsräumen.
Und was lösen Diskussionen über ein Verbot von Verbrennungsmotoren bei
einem aus, der wegen einem Mangel an Alternativen tagtäglich auf sein Auto
angewiesen ist und kein Geld hat, sich ein Elektroauto zu kaufen?
Der steht plötzlich als Umweltsünder am Pranger.
Ich würde dennoch nicht von einem kolonialen Verhältnis sprechen. Was ich
eher passend finde, wäre ein Begriff, der in der Literatur manchmal
auftaucht, wo das als parasitäre Beziehung beschrieben wird. Aber dass da
ein Ungleichgewicht da ist und dass da auch vor allem historisch betrachtet
eine Form von Ausbeutung stattgefunden hat, ist eine Tatsache. Und dieses
Gefühl der Ausbeutung ländlicher Räume und Bevorzugung der Städte, das ist
gesellschaftliches Dynamit.
Was heißt das für die Transformation?
Sie wird nicht erfolgreich sein, wenn es nicht gelingt, die ländlichen
Räume mitzunehmen und die Menschen vor Ort an dieser Transformation zu
beteiligen. Da ist Energie ein gutes Beispiel. Warum nicht auch
Stromversorgung und Netze in kommunale Hand geben? Warum nicht die Menschen
davon profitieren lassen und Strompreise sozial staffeln? Wir laufen
aktuell Gefahr, die Chancen einer dezentralen Energieversorgung in
kommunaler Hand durch die Reproduktion bestehender Machtverhältnisse
zugunsten der großen Stromkonzerne zu vertun.
Es gibt ja vor Ort schon kleine Bürgerenergiegenossenschaften?
Aber haben die den langen Atem, den es braucht, ein Windrad zu bauen, das
erst in ein paar Jahren Gewinn abwirft? Das ein aufwändiges
Genehmigungsverfahren hat? Und wenn die Versorgung dezentralisiert werden
soll, bräuchte es einen anderen Netzausbau, als die Ressourcen in eine
große Nord-Süd-Stromtrasse zu stecken.
Wir haben noch gar nicht über die derzeitigen Wanderungsbewegungen geredet,
die das Verhältnis zwischen Stadt und ländlichem Raum noch einmal gehörig
durcheinanderwürfeln können. Gerade erst hat eine Studie des
[3][Berlininstituts für Bevölkerung und der Wüstenrotstiftung]
herausgefunden, dass zwei Drittel aller Landgemeinden vom Zuzug aus den
Städten profitieren. Es gibt für den ländlichen Raum also auch nach der
Coronapandemie einen Wanderungsgewinn. Diejenigen, die jetzt aufs Land
gehen, machen das ja nicht nur im Wochenendhäuschen, sondern bringen oft
auch ihre Berufe mit. Da ändern sich doch auch die Bilder voneinander,
oder?
Das wäre zu wünschen. Gerade in Zeiten gesellschaftlicher Polarisierung
wäre eine neue Offenheit für den jeweils anderen wichtig. Fraglich ist aber
auch, wie treffend die Betrachtung von zwei Lagern „Stadt“ und „Land“ h…
ist. Viele der Zuwandernden sind selbst in ländlichen Räumen aufgewachsen
und ziehen nun nach einer Zeit in der Stadt zurück aufs Land. Oder sie
haben soziale Netzwerke wie Freunde und Familie dort. Und viele ländliche
Räume sind nicht erst seit Corona Zuzugsgebiete und haben bereits sehr
heterogene Sozialstrukturen.
Dennoch kommt es immer wieder zu Konflikten mit denjenigen, die jetzt aufs
Land ziehen.
Ich denke, es ist immer wichtig und richtig, miteinander ins Gespräch zu
kommen. Auch wenn es vorerst nur ums Wetter oder die Reparatur des
Aufsitzrasenmähers geht. Gesellschaftliche Konflikte stellen nicht
zwangsläufig eine Bedrohung der Demokratie dar, ganz im Gegenteil. Deshalb
dürfen wir nicht aufhören, einander zuzuhören. Und das geht am Gartenzaun
oder beim Kita Gartenfest besser als in Talkshows und sozialen Medien.
Wann waren Sie zuletzt im Bierzelt?
Noch nie! Auch auf den Dorffesten hier im Ort meide ich die Bierzelte: zu
laut, zu eng – und ich trinke keinen Alkohol. Das ist mir dann doch zu viel
geballter bayrischer Dorfscharm …
16 Oct 2023
## LINKS
[1] https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-5487-5/kritische-landforschung/
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Henri_Lefebvre
[3] https://www.berlin-institut.org/
## AUTOREN
Uwe Rada
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