# taz.de -- Raus aufs Land: Der Traum vom ruhigen Leben | |
> Mein Arbeitskollege Wolfgang hatte genug vom Stadtleben und ist mit Kind | |
> und Kegel aufs Land gezogen. Seine Rechnung ist nicht ganz aufgegangen. | |
Bild: Es könnte so schön sein, wenn Trecker, Häcksler und Mähdrescher nicht… | |
Mein Arbeitskollege Wolfgang ist mit großem Tamtam aufs Land gezogen. | |
„Dahin, wo sich Fuchs und Kuh Gute Nacht sagen“, freute er sich. | |
„Damit dir die Füchse Gute Nacht sagen, willst du jeden Tag 50 Kilometer | |
hin und her fahren?“, wunderte ich mich. | |
„Wir fahren doch nicht wegen der Füchse aufs Land, sondern wegen der | |
Kinder. Hier sind sie doch ständig krank, weil sie durch das Stadtleben | |
völlig verweichlicht sind. Im Dorf wühlen die Kinder jeden Tag im Dreck und | |
gewöhnen sich so spielend an alle möglichen Bakterien.“ | |
„Wolfgang, wenn du Dreck haben willst, dann komm doch zu uns in den | |
Karnickelweg. In unserer Straße wird der Müll seit Wochen nicht mehr | |
abgeholt. Es stinkt zum Himmel. Ein Paradies für Gesundheitsfanatiker wie | |
dich.“ | |
„Leute, ihr glaubt gar nicht, was für eine himmlische Ruhe wir bei uns im | |
Dorf haben werden. Allein deswegen lohnt sich schon der Umzug aufs Land“, | |
strahlte Wolfgang. | |
Nach dem groß gefeierten Umzug in das urgesunde Leben, schafft es Wolfgang | |
keinen einzigen Tag mehr pünktlich zur Arbeit zu kommen. Mal hat sich wie | |
immer der ‚blöde Zug‘ verspätet. Mal war die ‚doofe Autobahn‘ wieder | |
gesperrt. Mal sind die Kinder doch noch eins nach dem anderen krank | |
geworden. | |
„Wie ist das möglich, obwohl sie im Dorf doch ständig im gesunden Dreck | |
rumwühlen?“, frage ich neugierig. | |
## Drei Monate Treckerlärm | |
„Leider gibt es dort auch [1][keinen Arzt mehr], der sich um die Kinder | |
kümmern könnte. An dem Tag, als wir aufs Land zogen, ist der [2][letzte | |
Arzt abgehauen]“, antwortet Wolfgang traurig. | |
„Kein Wunder. Für die Ärzte muss es dort sicherlich total langweilig sein, | |
wo doch alle Menschen vor lauter Gesundheit nur so strotzen.“ | |
„Außerdem“, meint Wolfgang ziemlich traurig, „sind unsere Kinder wegen d… | |
alten Kohleofen leider doch öfter krank als hier in [3][Bremen]. Wir müssen | |
sie ständig zum Arzt in die Stadt fahren. Und unsere Tochter müssen wir | |
auch zwei Mal die Woche nach Bremen fahren. Den Jungen wegen des | |
Fußballtrainings sogar drei Mal in der Woche. Von den ganzen | |
Geburtstagsfahrten für ihre Freunde ganz abgesehen. Wisst ihr, was das für | |
Spritkosten sind?“ | |
„Die himmlische Ruhe in so einem hübschen [4][Dorf] hat nun mal seinen | |
Preis“, tröste ich ihn. | |
„Himmlische Ruhe? Das hatten wir nie! Unser Nachbar hat seinen Trecker in | |
den letzten drei Monaten keine Sekunde ausgeschaltet. Auch die restlichen | |
27 Trecker im Dorf dröhnen 24 Stunden am Tag, was das Zeug hält! Von den | |
Häckslern, den Mähdreschern und Vertikutierern mal ganz abgesehen.“ | |
„Weshalb denn? Haben die nie Feierabend?“, fragen wir alle neugierig. | |
„Was weiß ich? Wer kann denn schon wissen, was in so einem Bauern vorgeht? | |
Entweder sie hassen sich alle gegenseitig und machen sich damit das Leben | |
zur Hölle“, seufzt er und fügt dann resigniert hinzu, „oder sie hassen die | |
Städter und versuchen sie mit miesen Tricks wieder aus ihren Dörfern zu | |
verjagen.“ | |
„Aber bei meinem Kumpel beißen sich die Landeier natürlich die Zähne aus, | |
nicht wahr, Wolfgang?“ | |
„Nicht ganz“, stammelt er kleinlaut. „Ab nächster Woche werden wir wieder | |
in Bremen wohnen, gleich hier neben Halle 4.“ | |
12 Dec 2023 | |
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## AUTOREN | |
Osman Engin | |
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