# taz.de -- Podiumsgespräch gegen Rechtsruck: Rechte Übergriffe aufs Theater | |
> Was tun gegen das Erstarken der Rechten, das auch Kunst und Kultur | |
> gefährdet? Eine Podiumsdebatte in Berlin hat nach Antworten gesucht. | |
Bild: Diesem Wahlplakat in München sind viele Bayern gefolgt, was bedeutet das… | |
Bei den Landtagswahlen in Hessen wurde die AfD zweitstärkste Kraft, in | |
Bayern ist sie Oppositionsführerin. Das erklärte Ziel, über den Osten | |
hinaus auch in den westlichen Bundesländern stark zu werden, hat sie | |
erreicht. Für den Demokratieforscher Wilhelm Heitmeyer sind diese | |
Wahlergebnisse Teil einer schleichenden Normalisierung. Die Ursachen für | |
und mögliche Gegenmittel gegen diesen Rechtsruck waren am Dienstag Thema | |
des 22. Akademiegesprächs der Akademie der Künste in Berlin. | |
Der Journalist Peter Laudenbach verdeutlichte, was das Erstarken der | |
Rechten für den Kulturbetrieb bedeutet: So müssten kleinere Theater im | |
Osten bei jedem Projekt abwägen, wie viel Ärger man sich leisten könne – | |
denn bei den nächsten Budgetverhandlungen sitzt stets eine starke AfD am | |
Tisch. [1][Der Journalist hat für sein Buch „Volkstheater“ mehr als 100 | |
Fälle rechter Übergriffe auf Kulturinstitutionen und -schaffende innerhalb | |
von fünf Jahren recherchiert], plus Dunkelziffer. | |
Die AfD übe diese Gewalt nicht selbst aus, aber sie markiere mit ihrer | |
Politik ein Feindbild und schaffe dadurch ein Klima der Gewalt. [2][Ein | |
Beispiel dafür ist die Bombendrohung gegen den Friedrichstadtpalast im Jahr | |
2017], nachdem der Intendant Berndt Schmidt sich gegen die AfD positioniert | |
hatte, diese daraufhin beantragte, dem Haus die Kulturförderung zu | |
streichen. | |
Theater und Kultur, war man sich einig, sind Stellvertreter für die | |
liberale, plurale Gesellschaft. Die Kulturszene selbst passe aber auch gut | |
in das Klischee der „liberalen Eliten“; letztlich sei das liberale | |
Feuilleton eine konstante Beleidigung der „kulturell Abgehängten“, so | |
Laudenbach. Notwendig sei, das betonen die | |
Diskussionsteilnehmer*innen, gesteigerte Diskurs- und | |
Konfliktfähigkeit in der Gesellschaft und bezogen auf die Kunst: | |
Wahrnehmungsfähigkeit. | |
## Essenzielle Ursachenforschung | |
Für den Soziologen Heitmeyer bleibt die Ursachenforschung essenziell. Die | |
AfD habe eine stabile Grundwählerschaft, noch immer von „Protestwahlen“ zu | |
sprechen, sei falsch. Schon vor Gründung der AfD habe es schleichende | |
Veränderungen in der politischen Einstellung der Bevölkerung gegeben. | |
Die besondere Fähigkeit der AfD liege darin, „emotionale Themen als | |
Kontrollverluste zu problematisieren“ und mit Kampfrhetorik à la „Wir holen | |
uns unser Land zurück“ und „Berlin, aber normal“ eine Wiederherstellung | |
dieser vermeintlich verlorenen Kontrolle zu versprechen. Gerade in | |
ländlichen Regionen seien Repräsentationslücken entstanden. | |
Was aber nun ist das „Wehrhafte“ an unserer Demokratie? Im Nachgang zum | |
Europaparteitag der AfD nahm die Debatte über ein Verbot der Partei wieder | |
Fahrt auf. Die Juristin Michaela Hailbronner sieht die juristischen | |
Kriterien zumindest für ein Verbot einzelner Landesverbände erfüllt. | |
[3][Der demokratische Gewinn eines Parteiverbots ist aber unklar.] | |
Hailbronner betont, dass ein erfolgreiches Verbot den Schutz, etwa der | |
Justiz und des Beamtenwesens, vor rechter Unterwanderung erleichtern würde. | |
Die politischen Denkmuster der Bevölkerung verändere dies dagegen kaum. | |
Auch Heitmeyer spricht sich gegen ein Verbot aus: „Staatliche Repression | |
erzeugt rechte Innovation.“ Erste Forschungsansätze wie das | |
„Thüringen-Projekt“ des Verfassungsblogs untersuchen die | |
verfassungsrechtliche Frage, wie in Deutschland eine Entwicklung ähnlich | |
der in Polen oder Ungarn verhindert werden könnte. Die Rechtsprofessorin | |
aus Münster betont dennoch: „Recht kann politische Entwicklungen nur | |
verlangsamen.“ | |
Dass die Lösung, etwa mit einem Parteiverbotsverfahren oder der Aberkennung | |
des Rechts einzelner Politiker*innen, gewählt zu werden, ausschließlich im | |
juristischen Feld zu suchen ist, erscheint insofern unrealistisch. | |
Liberales Urvertrauen in die demokratischen Selbstheilungskräfte allein | |
wird den Rechtsruck aber wohl auch nicht stoppen. | |
12 Oct 2023 | |
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## AUTOREN | |
Julian Sadeghi | |
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