# taz.de -- Künstler Toulouse-Lautrec in der Küche: Naschhaft wie eine Präla… | |
> Der französische Künstler Henri de Toulouse-Lautrec malte die Belle | |
> Époque in verruchtem Glanz, und so lebte er auch. Unser Autor hat ihm | |
> nachgespürt. | |
Bild: Ein Lebemann in der Chaiselongue: Henri de Toulouse-Lautrec, aufgenommen … | |
Es gibt da eine Geschichte über den Maler Henri de Toulouse-Lautrec. Als er | |
– es muss 1895 oder 1896 gewesen sein – auf einer Schiffsreise nach Spanien | |
unterwegs war, übernahm er das Kommando über die Schiffsküche und zwang den | |
Kapitän, einen bretonischen Fischerhafen anzulaufen, um dort frische Fische | |
und Hummer zu kaufen. Das war keine spontane Idee. Schon vor der Reise | |
hatte er Wein und Gewürze für die Überfahrt gekauft. Und die Schifffahrt | |
wurde zu einer Feinschmeckerreise, zu einem einzigen Fest. | |
Henri de Toulouse-Lautrec ist bekannt als der Bohemien, der die Belle | |
Époque malte, der sie in diesem verruchten Glanz erscheinen ließ, den wir | |
heute mit ihr verbinden. Einer, der dem Moulin Rouge zu Weltruhm verhalf, | |
der gerne rumhing, mit Tänzerinnen, Huren und Menschen, die als | |
unappetitlich galten, und als jemand, der sein Leben mit Absinth verkürzte. | |
Und natürlich für seine Perspektive aus dem Mittendrin, für seine | |
Kompositionen, die wie Fotografien im Augenblick der Betrachtung entstanden | |
sind. Seine Bilder triefen vor Kreativität, Farbe und Esprit genauso wie | |
vor Hoffnung und Versagen. | |
Neulich erst war ich im [1][Museum von Quimper in der Bretagne] und schaute | |
mir einen seiner berühmtesten Drucke an. Jane Avril, Jardin de Paris. Über | |
sie wird gesagt, sie tanze wie eine rasende Orchidee. Die anderen Besucher | |
standen in Kontemplation versunken vor den Bildern, ich konnte mit der | |
vornehmen Stille nichts anfangen. Zumal ich glaube, dass der Lebemann | |
Toulouse-Lautrec sich viel lieber an frohen Tafelrunden feiern ließe. | |
Und damit wären wir beim Thema. Toulouse-Lautrec hat sicherlich nichts | |
dagegen gehabt, durch seine Bilder unsterblich zu werden. Aber ich glaube, | |
genauso hätte er sich darüber gefreut, als Feinschmecker in die | |
Geschichtsbücher einzugehen. Denn dieser leidenschaftliche Maler war auch | |
ein leidenschaftlicher Fresssack, Trinker, Barmann und Meisterkoch, der | |
über sich selbst sagte: „Ich bin naschhaft wie eine Prälatenkatze.“ Er | |
liebte das Essen so sehr, dass er Menschen, die er nicht leiden konnte, | |
seine Lieblingsspeise verwehrte: „Er ist nicht wert, Wildtaube mit Oliven | |
zu essen. Er wird nie welche bekommen und niemals diesen Genuss | |
kennenlernen“, so ist es überliefert, genau wie das dazugehörige Rezept. | |
## Das Rezept | |
„Besorgen Sie sich junge Tauben, die Sie ausnehmen und in deren Inneres Sie | |
eine Füllung aus Rind- und Kalbfleisch geben sowie Wurstbrät, das | |
zusätzlich mit aromatischem Pfeffer, Muskatnuß und geschnittenen Trüffeln | |
gewürzt ist. Sie binden die Tauben und lassen sie schnell in einer | |
schweren, flachen Pfanne bräunen. Dann geben Sie in einen Schmortopf: | |
Butter, Schmalz, Schalotte, Zwiebel: machen Sie eine leichte Schwitze mit | |
Mehl; fügen Sie Salz, Pfeffer, Kräutersträußchen hinzu. Legen Sie die | |
Tauben dazu, löschen Sie ab mit guter Fleischbrühe. Lassen Sie knapp eine | |
Stunde lang bei geöffnetem Deckel sachte köcheln. Während der letzten | |
zwanzig Minuten fügen Sie entkernte und gut gewässerte, grüne Oliven sowie | |
ein Glas Kognak hinzu. Lassen Sie gut schmoren und einkochen.“ | |
Das Rezept steht, zusammen mit weiteren, im Kochbuch „Die Kunst des | |
Kochens“. Toulouse-Lautrecs Freund und Nachlassverwalter Maurice Joyant hat | |
es nach seinem Tod herausgegeben. Und es ist der Hammer! Beim Lesen kann | |
ich die genüssliche Atmosphäre, das leise Schmatzen an den Tischen | |
regelrecht spüren – auch wenn manche Mahlzeiten der heutigen Moral | |
vielleicht nicht mehr angemessen sind. Was ich damit meine? Nun, es gilt | |
schließlich zunehmend weniger als schicklich, vier verschiedene tote Tiere | |
auf einem einzigen Teller zu haben, und vollkommen verwerflich ist, wie | |
Toulouse-Lautrec beispielsweise mit dem Hühnervolk umging. | |
„Um Hühnchen sofort essbar zu machen, lassen Sie sie aus dem Hühnerstall | |
heraus, folgen ihnen aufs freie Feld, bringen sie zum Rennen und schießen | |
sie dann mit einer Flinte, die mit sehr kleinem Schrot geladen ist. Das | |
Fleisch des von Furcht ergriffenen Hühnchens wird weich. Diese Methode, | |
deren man sich im Land des Fangs (Gabun) bedient, scheint selbst für die | |
ältesten und zähesten Hennen unfehlbar.“ | |
Ja, Henri de Toulouse-Lautrec hatte einen recht morbiden Humor. Wie das | |
halt so üblich war, in den Kreisen der Halbwelt, wo er sich bevorzugt | |
rumtrieb und wo er auch dem Alkohol verfallen ist, der ihn schließlich | |
zugrunde richtete. Sogar seinen Spazierstock soll Toulouse-Lautrec | |
ausgehöhlt haben, um ihn mit Absinth zu füllen. 1901 starb er 36-jährig auf | |
dem Schloss seiner Mutter. | |
## Der Cocktail „Earthquake“ | |
Dabei hat er nicht jedes Zeug wahllos in sich reingeschüttet. | |
Toulouse-Lautrec führte stets eine Muskatnuss mit sich, um den Portwein zu | |
würzen, wenn er welchen angeboten bekam. Und er begeisterte sich für | |
Cocktails, als noch niemand wusste, was das ist. Er servierte Drinks, die | |
selbst die trinkfestesten Säufer aus den Latschen hauten, und das mit der | |
Freude, die man eben verspürt, wenn man Menschen auf Partys abfüllt. | |
Wie seine Erfindung, der Cocktail „Earthquake“: 1 Drittel Gin, 1 Drittel | |
Whisky, 1 Drittel Absinth, alles in den Whiskymixer, gut mit Eis schütteln | |
und mit einer Zitronenschale servieren. | |
Die Schale habe ich hinzugefügt, damit es nicht ganz so apothekenhaftig | |
schmeckt, denn das, was sich da Cocktail nennt, kullert auf keinen Fall | |
erfrischend die Kehle runter. Nach nur einem Glas ist man schon leicht | |
abwesend, wenn nicht sogar total weggetreten. Im Savoy Cocktail Book von | |
1930 steht über dem Namen der Vermerk: „Wenn sich während des Trinkens ein | |
Erdbeben ereignen würde, würde das nichts ändern.“ | |
## Toulouse-Lautrec stammte aus dem Hochadel | |
Der Geschmack Henri de Toulouse-Lautrecs war recht einfach: von allem nur | |
das Beste. [2][Die besten Grundzutaten, mit wenig Gedöns], denn gute | |
Produkte richtet man mit zu vielen Gewürzen auch schnell zugrunde. Und eine | |
seiner wichtigsten Zutaten war die Zeit. Bei Toulouse-Lautrec wird eine | |
Schwitze aus Mehl und Butter eine halbe Stunde sorgfältig zubereitet, bis | |
sie unter kleinster Hitze goldbraun geworden ist. Erst dann werden Speck | |
oder Zwiebeln hinzugegeben. Und seine Suppen leben von der Reduktion, den | |
Lauchstangen, Kartoffeln, Zwiebeln und Rüben, dem Speck, dem Knoblauch und | |
dem Thymian wird der gesamte Geschmack entzogen und in der Flüssigkeit | |
konzentriert. Wer sich an die Rezepte des Buches hält, der erfährt | |
Meditation vor dem Kochtopf. | |
Toulouse-Lautrec stammte aus dem Hochadel. Das war sein Glück, denn das | |
verhalf ihm zu einer großzügigen Apanage und einem sorglosen Leben. Auch | |
hat er dank seiner Herkunft früh gelernt, wie man sich standesgemäß den | |
Freuden der Tafel hingibt. Ich stelle mir seine Gäste als Menschen vor, die | |
sich die Wampe vollgehauen haben, während gut vorgetragene Anekdoten die | |
Verdauung förderten. | |
Seinem adeligen Stammbaum hat Toulouse-Lautrec aber auch Pech zu verdanken: | |
Wie jeder Mensch hatte er zwei Großmütter. Seine allerdings waren | |
Geschwister, und er selbst war erbkrank und kleinwüchsig, wurde nur 1,52 | |
Meter groß. Das waren keine guten Voraussetzungen, um von der großen | |
Gesellschaft akzeptiert zu werden, und so blieb er ein Außenseiter. Er | |
hielt nicht nur in den Puffs, den Tanztheatern und seinem Atelier den | |
bittersüßen Geschmack der Belle Époque fest, sondern auch in den Küchen. | |
Darin strebte er nach Vollkommenheit, nach der perfekten Dramaturgie auf | |
dem Teller, nach dem Savoir-vivre. So waren die Einzelheiten der | |
Essensabfolgen so abgestimmt, wie die Striche seiner Lithografien. Perfekt | |
im Unperfekten. | |
21 Oct 2023 | |
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## AUTOREN | |
Clemens Sarholz | |
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