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# taz.de -- Feelgood-Film über Flüchtlinge: Alles in Butter in Paimpont
> „Die Barbaren“ ist eine Komödie von Julie Delpy. Sie zeigt eine Stadt in
> der Bretagne, die Flüchtlinge aufnimmt, ohne in Willkommenskultur geübt
> zu sein.
Bild: Hier gehts gleich um die Wurst: Lehrerin Joëlle Lesourd (Julie Delpy) in…
Merde alors, die Ukrainer sind aus! Da hatte der Bürgermeister
(Jean-Charles Clichet) der bretonischen Kleinstadt Paimpont gerade ein
schönes Willkommensvideo aufgenommen, in dem er sich im Namen Stadtrats
freudig bereit erklärt, ukrainische Geflüchtete aufzunehmen – und als
alles fertig ist für den Empfang der armen Menschen, kommt die
Hiobsbotschaft, dass europaweit keine Ukrainer mehr zu haben seien. Statt
ihrer bekommt Paimpont eine syrische Familie zugewiesen.
Schon vor deren Ankunft reagieren die EinwohnerInnen, in Erwartung einer
doch so fremdartigen Kultur, hochgradig nervös. Die Ehrenamtlichen streiten
darüber, ob die Aufzunehmenden einen Esstisch brauchen oder nicht (essen
sie vielleicht lieber auf dem Boden?), und auf der anderen Seite des
Meinungsspektrums hält Klempner Hervé ([1][Laurent Lafitte]) mit seiner
prinzipiellen Fremdenfeindlichkeit nicht hinter dem Berg.
Die Neuankömmlinge sind eine Bilderbuchfamilie aus lauter schönen Menschen
mit hochqualifizierten Berufen. Louna Fayad (Dalia Naous) ist
Grafikdesignerin, ihr Mann Marwan (Ziad Bakri) Architekt, dessen Schwester
Alma (Rita Hayek) war in Syrien Ärztin, und der Großvater (Fares Helou) ist
Lyriker.
## Der Onkel ist verschwunden
Die beiden Kinder Dina und Waed gehen noch zur Schule. Während Dina sich
selbstbewusst in der neuen Welt bewegt, fühlt der kleine Waed sich verloren
und trauert der alten Heimat nach – und seinem Lieblingsonkel, der in
Syrien spurlos verschwunden ist.
Anlass für Joëlle, die energische Lehrerin, Nachforschungen anzustellen.
Diese stets etwas überanstrengt wirkende Aktivistin wird von der
Regisseurin selbst gespielt. [2][Julie Delpy, als Schauspielerin zum Star
geworden, ist eigentlich Multikünstlerin und hat unter anderem eine
beachtliche Karriere als Regisseurin aufzuweisen].
Auch in diesem Fall hat sie sowohl Regie geführt als auch einen Großteil
des Drehbuchs geschrieben und beweist dabei ein ausgesprochen sicheres
Gespür für die Zeichnung der Charaktere.
## Grundkonflikt hinter dem Klischee
Obgleich viele Figuren auch karikaturhafte Züge tragen – nicht zuletzt
Delpys Joëlle –, wird keiner der Filmcharaktere auf seine skurrile
Oberfläche reduziert. Stets ist dahinter ein existenzieller Grundkonflikt
erahnbar, sogar beim rassistischen (ja, auch das ein Klischee) Klempner
Hervé, der sich in seinem Platzhirschtum von der lässigen Männlichkeit des
Syrers Marwan bedroht fühlt.
Der wiederum, in einer anderen Version machistischen Stolzes, weigert sich
kategorisch, irgendeine gering qualifizierte Art von Arbeit anzunehmen, und
spottet über seine Frau, die sich beim Biobauern (gespielt von Albert
Delpy, Vater von Julie) als Erntehelferin verdingt.
Es sind in diesem Film prinzipiell die Frauen, die das menschliche
Miteinander voranbringen; aber dass es auch umgekehrt geht, zeigt das
Beispiel von Marwans Vater, der sich im örtlichen Crêpe-Restaurant nach
anfänglich kritischer Konfrontation kulinarisch einbringt – ein kleiner
filmischer Seitenhieb auf die bretonische Küche, in der, wie die
Restaurantchefin wütend erklärt, eben „mit sehr viel Butter“ gekocht werd…
## Eine Wurst namens Andouille
Die französische Kultur wird in diesem Film stellvertretend über das Essen
thematisiert – vor allem in der wiederholten Butterreferenz (der
Tante-Emma-Laden bietet absurd viele verschiedene Sorten Butter an) sowie
im Auftritt einer phallischen Wurst namens „Andouille“ (der Ausdruck ist
auch als Schimpfwort verwendbar), die von Joëlles Freundin Anne als Keule
gegen ihren untreuen Gatten eingesetzt wird. Sandrine Kiberlain erfreut
hier in einer Nebenrolle als alternde Naive.
Wenn das Geschilderte nach Klamauk klingt, so ist der Eindruck nicht ganz
falsch, denn Klamauk gibt es auch. Es gibt auch Szenen, in denen man für
Momente das Gefühl bekommt, nun werde doch etwas überinszeniert; insgesamt
aber überwiegt eine sehr schön austarierte Mischung verschiedenster
Stimmungslagen. Komik und Tragik kommen beide zu ihrem Recht, es gibt hier
ein bisschen Streit, dort ein bisschen Liebe, dann ein bisschen Frieden,
damit, schließlich handelt es sich um eine Komödie, alles in einem gut
kalibrierten Wohlfühlmodus ausklingen kann.
Wenigstens in Paimpont, ja, da ist die Welt noch in Ordnung.
30 Jun 2025
## LINKS
[1] /Filmfestspiele-Cannes-Preistraeger-Robert-De-Niro-greift-Trump-an/!6084688
[2] /Europaeischer-Filmpreis-2017/!5465032
## AUTOREN
Katharina Granzin
## TAGS
Willkommenskultur
Spielfilm
Bretagne
Schwerpunkt Flucht
Schwerpunkt Frankreich
Julie Delpy
Kochen
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