# taz.de -- Leckereien aus Frankreich: Aromatisch, flaumig, kross | |
> Sie sehen aus wie Gugelhupfe für die Puppenstube und sind nur echt aus | |
> der Kupferform: In Bordeaux sind Canelés eine Spezialität. | |
Bild: Rund fünf Zentimeter hoch sollen die Canelés sein, außen knusprig und … | |
Ein kleines Vermögen lagert in der Edelstahlwanne, die der Patissier Lionel | |
auf die Arbeitsfläche stellt. Ansehen tut man es ihrem Inhalt nicht: | |
Abgenutzt, vom vielen Backen schwarz angelaufen sind die Formen; Förmchen | |
vielmehr, als wolle man Gugelhupfe für eine Puppenstube backen. Lionel ist | |
Patissier in Gradignan, einem Vorort von Bordeaux. | |
In den Bäckereiauslagen des gesamten [1][Bordelais] – wie die Region um | |
Bordeaux heißt – finden sich neben den vertrauten Croissants, Pains au | |
Chocolat und Tartes auch immer jene winzigen Küchlein: Canelés. Innen | |
puddinghaft-weich, außen karamellisiert und knusprig, was vor allem an den | |
Backförmchen liegt. Die sind traditionell aus Kupfer. Daher das Vermögen. | |
Der Teig sei simpel herzustellen, meint Lionel, „ein ganz einfacher pâte à | |
crêpe“. Das Interesse überrascht ihn, „aber klar, komm gern vorbei, ab | |
morgens um fünf bin ich da“. Canelés mache er eh dauernd, auch am späten | |
Vormittag noch. Ratzfatz mischt er den Teig: siebt Mehl in eine riesige | |
Rührschüssel, gibt Eier und noch mehr Eigelb dazu, Zucker und eine Mischung | |
aus geschmolzener Butter und Milch. | |
Dass es die Canelés trotz ihrer Einfachheit zum süßen Aushängeschild der | |
Region geschafft haben, dass es sie in bald jeder Bäckereiauslage, in | |
Supermärkten und selbst bei McDonald’s gibt, liegt auch an ihrer | |
Entstehung. | |
Die ist geschichtsträchtig, charmant und schnell erzählt, wobei stets etwas | |
Stolz mitschwingt, erinnert sie doch an das andere kulinarische Exportgut | |
der Region, den Wein, und an die Zeit, als Bordeaux einer der bedeutendsten | |
Handelsplätze Mitteleuropas war. | |
Der Wein wurde früher mit Eiweiß geklärt, das Eigelb blieb übrig, also | |
erfand man – in der Legende ist es eine Nonne – ein Gebäck, in dem sehr | |
viel davon benötigt wird: das Canelé. In den Teig kamen außerdem Rum und | |
Vanille. Zutaten, die mit dem Schiff im Hafen von Bordeaux anlandeten. | |
Natürlich hat das Canelé auch seine eigene Confrérie. Über hundert dieser | |
kulinarischen Bruderschaften feiern und verteidigen in Frankreich | |
gastronomische Traditionen. | |
Im Falle der Confrérie du Canelé de Bordeaux lauten die: Rund fünf | |
Zentimeter hoch sollen die kleinen [2][Kuchen] sein, zylindrisch und | |
gerillt (daher der Name, cannelure ist französisch für „Furche, Rinne“, | |
auch die vertikalen Rillen antiker Säulen nennt man Kanneluren). Zudem | |
müssen es traditionelle Backformen aus Kupfer sein, nicht die wesentlich | |
günstigeren Silikonformen. Kupfer leitet die Wärme besonders gut, was der | |
Krustenbildung hilft. | |
In der breiten Masse nimmt man es nicht so genau. Überhaupt: Es gibt so | |
viele Rezepte, wie es Bäcker gibt, meint Lionel. Und so schmecken die | |
Canelés – trotz kurzer Zutatenliste – überall anders. Im schlechtesten Fa… | |
sind sie süß-klebrig, wie zu kurz gebackener Kuchen, im besten Fall luftig | |
und so kross, dass es beim Reinbeißen knackt. Und innen wartet das weiche, | |
fast schmelzende Herz. | |
Der Ofen in Lionels Backstube piepst. Eigentlich muss man jetzt noch ein | |
paar Stunden warten – damit die Canelés kalt und das Karamell fest werden. | |
Die Verlockung aber ist groß – zu groß. Das Canelé schmeckt. Auch ohne | |
Knacken. | |
Seit einigen Jahren wird das Gebäck auch im Ausland immer beliebter, | |
zumindest in angesagten Großstadtvierteln. Nicht selten werden sie | |
gentrifiziert – sprich: ohne Butter und Ei, in veganer Variante – | |
zubereitet. Auch im Heimatland der Küchlein, wo Butter in 500-Gramm-Paketen | |
verkauft wird, passt man sich an moderne Ernährungsgewohnheiten an. | |
Wie etwa bei Cassonade, direkt am historischen Glockenturm in der | |
Innenstadt von Bordeaux gelegen. Im Schaufenster wachsen kleine Pflanzen in | |
ausrangierten kupfernen Backformen, drinnen gibt es ausschließlich Canelés, | |
diese aber in drei Varianten: klassisch, „alkoholfrei“ (also ohne Rum) und | |
[3][vegan (mit Kichererbsen und Pflanzenmilch)]. | |
Gegründet wurde das Unternehmen von zwei Bordelaiser Brüdern, Damien und | |
Lucas, deren Oma schon immer Canelés backte. „Zu Weihnachten gab es sie zur | |
Pyramide aufgestapelt“, erzählt Lucas, der jüngere der beiden. Zehn Stück | |
davon zu verspeisen sei sein Rekord aus Kinderzeiten. | |
Bordeaux werde von zwei großen Ketten dominiert, sagt er, doch die dort | |
gefertigten Canelés hätten geschmacklich nichts mit jenen der Oma zu tun. | |
Also gründeten Lucas und Damien ihre eigene Canelé-Produktion. Nur | |
Bio-Zutaten, beste Butter, keine Spielchen wie Schokoübergüsse. Hier | |
respektiere man die Canelés. | |
Rund 2.000 Küchlein verkaufen die Brüder jeden Tag, gebacken direkt nebenan | |
in einem kleinen Raum hinter einer verwitterten Holztür. Die Folge: | |
Canelé-Überdruss. Damien isst gar keine mehr, Lucas nur noch selten. Obwohl | |
sie fantastisch sind, selbst die veganen. Aromatisch. Flaumig. Kross. | |
Zum Mitnehmen gibt es sie in schön verzierten Blechdosen, und im Vergleich | |
zu sonstigen französischen Backwaren eignen sich Canelés hervorragend als | |
Souvenir. Sie schmecken auch nach einigen Tagen. „Einfach kurz in den Ofen | |
schieben“, meint Lucas. | |
Die Kupferformen, um sie nachzubacken, wandern auch in den Koffer. Knapp | |
zehn Euro kostet das Stück, sechs Formen müssen erstmal reichen. Ein | |
kleines Vermögen. | |
14 Jan 2024 | |
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## AUTOREN | |
Verena C. Mayer | |
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