# taz.de -- EU-Kommission ist für das Ackergift: Wie weiter mit Glyphosat? | |
> Die EU-Kommission schlägt vor, die Zulassung von Glyphosat zu erneuern. | |
> Das Pestizid wird verdächtigt, Krebs zu verursachen und der Natur zu | |
> schaden. | |
Bild: So wirken Unkrautvernichter: Das Gras rechts ist von einem Pestizid getö… | |
Warum soll mich die Glyphosat-Debatte überhaupt interessieren? | |
Der Unkrautvernichter ist weltweit das meistverkaufte Ackergift. Doch | |
[1][Glyphosat] steht unter dem Verdacht, Krebs zu erregen und die Natur zu | |
schädigen. Rückstände sind – wenn auch meist in sehr geringen Mengen – z… | |
Beispiel in [2][Weintrauben], Weizen oder [3][Bier] nachgewiesen worden. | |
Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, die am 15. Dezember auslaufende | |
Zulassung des Wirkstoffs [4][für zehn Jahre] zu erneuern. Darüber sollen | |
nun die Regierungen der EU-Staaten entscheiden. | |
Sollte Glyphosat verboten werden, hätte das massive Auswirkungen auf die | |
Landwirtschaft. Denn es wird laut Umweltbundesamt auf rund [5][40 Prozent | |
der Felder] hierzulande gespritzt, etwa um Beikräuter zu bekämpfen. Ohne | |
Glyphosat müssten viele konventionelle Bauern sich den Produktionsmethoden | |
der Bio-Landwirtschaft zumindest annähern. | |
Ist Glyphosat wirklich krebserregend? | |
Die Internationale Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation | |
(WHO) bewertete Glyphosat 2015 als „wahrscheinlich krebserregend“. Mit | |
Glyphosat gefütterte Ratten und Mäuse hatten in mehreren Versuchen Tumore | |
entwickelt. In den USA verurteilten daraufhin mehrere Gerichte einen der | |
Hersteller, die deutsche Bayer AG, zu hohen Schadenersatzzahlungen an | |
KlägerInnen, die ihre Krebserkrankung auf das Mittel zurückführen. | |
Die EU-Behörden für Chemikalien (Echa) und die für Lebensmittelsicherheit | |
(Efsa) dagegen sehen keine Krebsgefahr. Sie begründen das unter anderem | |
damit, dass die Mäuse mit Nierentumoren in zwei zentralen Studien | |
unrealistisch hohe Glyphosat-Dosen erhalten hätten. Kritiker wie der | |
Toxikologe und Umweltaktivist Peter Clausing antworten darauf, dass solche | |
Mengen bei Krebsexperimenten üblich und nach den Leitlinien der | |
Industrieländerorganisation OECD zulässig seien. Er verweist zudem darauf, | |
dass die EU auch schon früher Pestizide wie das Insektizid | |
[6][Chlorpyrifos] zugelassen habe, die sich Jahre später als | |
gesundheitsschädlich herausgestellt hätten und deshalb verboten wurden. | |
Wie schadet Glyphosat der Natur? | |
„Glyphosat schädigt die Biodiversität“, schreibt das | |
[7][Bundesagrarministerium]. Denn dieses „Totalherbizid“ tötet so gut wie | |
alle Pflanzen, die nicht dank einer gentechnischen Veränderung resistent | |
sind. Auf und neben den Ackerflächen hätten Insekten und Vögel deshalb | |
keine Nahrungsgrundlage mehr. | |
Die Efsa hat zwar keine nach EU-Recht „kritischen“ Umweltprobleme | |
festgestellt. Aber das lag vor allem daran, dass ihr genügend Daten und | |
eine innerhalb der EU abgestimmte Methodik fehlten. Die Efsa kritisierte, | |
dass die Pestizidhersteller keine systematische Literaturzusammenstellung | |
zum Thema geliefert hätten. Aus diesen Gründen seien [8][„keine eindeutigen | |
Schlussfolgerungen“] dazu möglich, wie der Unkrautvernichter sich auf die | |
Artenvielfalt auswirkt. | |
Lassen sich die Umweltrisiken mit den Bedingungen in den Griff bekommen, | |
die die EU-Kommission nun vorgeschlagen hat? | |
Die Kommission schlägt zum Beispiel vor, dass mindestens fünf bis zehn | |
Meter breite Ränder der Felder nicht gespritzt werden. Allerdings sollen | |
die Mitgliedsländer auf diese Regel verzichten können, wenn es keine | |
„inakzeptablen Risiken“ gibt. Eine Sprecherin des Agrarministeriums sagte | |
der taz, „dass auf Deutschland voraussichtlich keine Neuerungen zukommen | |
würden“. Sprich: Die Lage würde sich durch die vorgeschlagenen Bedingungen | |
nicht bessern. Die Brüsseler Behörde will es den Mitgliedsländern | |
überlassen, andere Vorsichtsmaßnahmen auf ihrem Territorium festzulegen, | |
wenn sie sie wissenschaftlich begründen können. | |
„Angesichts des beklagenswerten Zustandes der Biodiversität in den | |
Mitgliedsstaaten und der Bedeutung, die sie dem Naturschutz beimessen, | |
bedeutet das nichts Gutes“, sagt Johann Zaller, Ökologe an der Universität | |
für Bodenkultur Wien. | |
Würde Glyphosat sonst nicht durch schädlichere Pestizide ersetzt? | |
Das ist unwahrscheinlich. Denn laut Einschätzung des bundeseigenen | |
Julius-Kühn-Forschungsinstituts für Kulturpflanzen gibt es „[9][keine | |
chemische Alternative]“, die für die wichtigsten Anwendungen zugelassen und | |
ähnlich effizient ist. Stattdessen rät Maximilian Wulfheide, | |
Agrarwissenschaftler beim Naturschutzbund (Nabu), zum Beispiel dazu, durch | |
vorbeugende Maßnahmen wie eine breitere Fruchtfolge die angebauten Pflanzen | |
auf dem Acker öfter zu wechseln und die Vielfalt zu erhöhen. „Das kann | |
helfen, Unkräuter zu reduzieren“, sagt Wulfheide. Falls nötig, könnten die | |
Bauern Schadkräuter auch mechanisch bekämpfen, etwa mit Geräten wie dem | |
Grubber oder der Hacke. | |
Sind die Alternativen zu Glyphosat wirklich umweltfreundlicher? | |
Auch Pflügen oder Hacken senkt die Artenvielfalt auf einem Acker. Aber | |
allein die ohne Glyphosat nötigen vielfältigeren Fruchtfolgen wären positiv | |
für die Natur, sagt Wulfheide. Allerdings müssen viele Bauern ohne | |
Glyphosat wohl häufiger mit dem Traktor die Felder bearbeiten und | |
verursachen so mehr Treibhausgase. Doch der Anteil der Emissionen von | |
Fahrzeugen und mobilen Maschinen an allen Treibhausgasen der Landwirtschaft | |
(inklusive des Ausstoßes aus Agrarböden und landwirtschaftlichem Verkehr) | |
liegt laut bundeseigenem Thünen-Forschungsinstitut bei nur rund vier | |
Prozent. | |
Würden Lebensmittel teurer ohne Glyphosat? | |
„Ein Glyphosatverzicht würde wohl keine Auswirkungen auf die | |
Lebensmittelpreise haben“, sagt Ralf Uptmoor, Professor für Pflanzenbau an | |
der Universität Rostock. Zwar hätten viele Landwirte etwas höhere Kosten | |
und würden dadurch weniger Gewinn einfahren, weil sie häufiger den Boden | |
bearbeiten müssten. Aber sie könnten diese höheren Kosten im Normalfall | |
nicht an den Handel und die Verbraucher weitergeben. | |
Würden mehr Menschen hungern ohne Glyphosat? | |
Die Ernten schrumpften kaum, wenn auf Glyphosat verzichtet würde. „Ich | |
würde in der Regel nicht mit geringeren Erträgen rechnen“, sagt | |
Pflanzenbauprofessor Uptmoor. Denn Glyphosat lasse sich oft durch | |
mechanische Bodenbearbeitung und andere Herbizide ähnlich effizient | |
ersetzen. | |
Ist sich die Ampelkoalition darüber einig, wie sie sich zu Glyphosat | |
verhalten wird? | |
Im [10][Koalitionsvertrag] steht: „Wir nehmen Glyphosat bis 2023 vom | |
Markt.“ Landwirtschaftsminister Cem Özdemir sagte am Mittwoch: „Solange | |
nicht ausgeschlossen werden kann, dass Glyphosat der Biodiversität schadet, | |
sollte die Genehmigung in der EU auslaufen.“ Der agrarpolitische Sprecher | |
der FDP-Fraktion, Gero Hocker, aber teilte der taz mit: „Die Empfehlung der | |
EU-Kommission, Glyphosat für weitere zehn Jahre zuzulassen, begrüße ich | |
ausdrücklich.“ Wenn sich die Ampelkoalition nicht einigt, muss Deutschland | |
sich bei der Abstimmung in Brüssel enthalten. | |
23 Sep 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Schwerpunkt-Glyphosat/!t5008469 | |
[2] https://efsa.onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.2903/j.efsa.2023.7939 | |
[3] https://umweltinstitut.org/landwirtschaft/glyphosat/ | |
[4] https://ec.europa.eu/transparency/comitology-register/core/api/integration/… | |
[5] https://www.umweltbundesamt.de/themen/chemikalien/pflanzenschutzmittel/glyp… | |
[6] /Aufklaerung-von-Pestizidskandal-gefordert/!5683409 | |
[7] https://www.bmel.de/SharedDocs/FAQs/DE/faq-glyphosat/FAQ-glyphosat_List.html | |
[8] /EU-Behoerde-ueber-Pestizid/!5942178 | |
[9] https://ojs.openagrar.de/index.php/JKA/article/view/5831 | |
[10] https://www.spd.de/koalitionsvertrag2021 | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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