| # taz.de -- Wohnungsmarkt in der Krise: Die Schlinge zieht sich zu | |
| > Auf die Immobilienkrise reagieren Wohnungskonzerne mit Mieterhöhungen. | |
| > Dagegen könnte Vergesellschaftung helfen, Finanzsenator Evers (CDU) | |
| > schließt das aber aus. | |
| Bild: Die Wachstumsstrategien von Vonovia und Co. kommen mit hohen Zinsen an ih… | |
| Berlin taz | Als Mieter:in, die nach dem jüngsten Mietspiegel wieder tiefer | |
| in die Tasche greifen müssen, ist es schwer zu begreifen: Auch die großen | |
| privaten Vermieter sind in der Krise. Nicht etwa weil ihnen die | |
| Mieteinnahmen wegbrechen würden – im Gegenteil. Zu schaffen machen den | |
| Konzernen vor allem die Kreditzinsen, die sich innerhalb eines Jahres etwa | |
| vervierfacht haben. Neuinvestitionen haben sich erheblich verteuert. | |
| Dagegen stehen vielerorts sinkende Immobilienpreise, erstmals seit einem | |
| Jahrzehnt. Egal ob Vonovia, TAG Immobilien oder Grand City Property – | |
| nahezu alle Konzerne versuchen derzeit Wohnungen loszuwerden, um den | |
| Schuldenstand zu drücken und solvent zu bleiben. Das große Angebot aber | |
| drückt auf die Preise. | |
| Der Stadtsoziologe Andrej Holm sagte der taz, dass die Geschäftsmodelle von | |
| börsennotierten Immobilienkonzerne der letzten 10 Jahre nun an Grenzen | |
| stoßen: „Die Strategie von Konzernen wie Vonovia und Adler war, ihre | |
| Immobilien neu zu bewerten. Sie haben ihre Buchwerte maximal ausgereizt bis | |
| übertrieben.“ Wenn es wie jetzt zu einem Einbruch oder Rückgang der Werte | |
| komme, stehen die Bilanzen nicht mehr so günstig da. „Die Spekulation mit | |
| Buchwerten fällt in sich zusammen, was sich auch auf die Börsenwerte der | |
| Unternehmen auswirkt. Weil die Zinsen gestiegen sind und Kredite erneuert | |
| werden müssen, sind die Unternehmen in einer Liquiditätsklemme“, sagt Holm. | |
| Holm rechnet jedoch nicht damit, dass zum Beispiel Branchenprimus Vonovia | |
| zusammen bricht. Aber das Unternehmen werde seine Strategie ändern: „Jetzt | |
| stellt sich die Frage, wer die Rechnung für die überhöhten | |
| Immobilienbewertungen der Konzerne zahlen muss“, sagt Holm. Zum einen | |
| würden Dividenden und Aktenwerte weiter sinken, zum anderen künftig das | |
| Geld aus der Bewirtschaftung gezogen: also vor allem über die zentralen | |
| Hebel Mieterhöhungen und Reduzierung der Instandhaltung. | |
| ## Mietenbewegung hatte recht | |
| Denn auch der Verkauf sei risikobehaftet: „Wenn man zu realistischen | |
| Preisen verkauft, lassen sich die hohen Buchwerte nicht mehr rechtfertigen. | |
| Hinzu kommt, dass es derzeit kein großes Interesse gibt, weil die Übernahme | |
| bei hohen Zinsen auch ein Risikogeschäft ist“, so der Wissenschaftler. | |
| Verhältnismäßig kleinere Unternehmen wie Adler und Heimstaden kämen jetzt | |
| in die Klemme, möglicherweise drohe auch die Insolvenz. | |
| Wenn man sich die Gesamtlage anschaut, treffe letztlich genau das zu, was | |
| die Mietenbewegung seit 20 Jahren in die Diskussion gebracht hat: Wohnungen | |
| gehörten nicht in die Hände von Börsenunternehmen, so Holm. Der | |
| realistischste Weg, dieses Problem zu lösen, sei ein Umsetzungsgesetz für | |
| den Volksentscheid Deutsche Wohnen und Co. enteignen. Das hätten zuletzt | |
| der Abschlussbericht der Expertenkommission zum erfolgreichen | |
| Volksentscheid und der Bauausschuss erneut gezeigt. | |
| Kritiker dieses Weges seien ansonsten in der Pflicht, tragfähige | |
| Alternativen aufzuzeigen, findet Holm: „Das gescheiterte Bündnis mit der | |
| Wohnungswirtschaft und das nicht funktionierende Ankurbeln vom Neubau von | |
| Privaten sind jedenfalls keine zielführenden Vorschläge für das Problem.“ | |
| ## Enteignungsgesetz gefordert | |
| Ulrike Hamann vom Berliner Mieterverein befürchtet, dass im Zuge der Krise | |
| der Immobilienbranche insbesondere der Druck auf Mieter*innen steigt. | |
| „In solchen Zeiten verzichten private Wohnungsunternehmen nicht auf die | |
| höchstmöglichen Mieterhöhungen“, so Hamann zur taz. Das habe sich auch beim | |
| [1][Austritt der Adler Group aus dem Wohnungsbündnis] gezeigt. Darin | |
| sollten sich private Konzerne freiwillig auf maximale Mieterhöhungen | |
| verzichten – geklappt hat das allerdings nicht. „Selbstverpflichtungen | |
| entfalten unter hohem Marktdruck offensichtlich keine Verbindlichkeit“, | |
| sagt Hamann. | |
| Auch sie hält es für ein Problem, dass anders als bei den Landeseigenen die | |
| Immobilien der Privaten am Finanzmarkt zu hoch bewertet seien. So konnten | |
| Wohnungskonzerne größere Kredite für ihre Wachstumsstrategie aufnehmen. | |
| „Aber auch wenn eine Blase platzt, und man sieht, dass die Bewertungen nur | |
| sehr hoch spekuliert waren, es sich nur um Papierwerte gehandelt hat, ist | |
| das für Mieter:innen Anlass zur Besorgnis. Man sieht mal wieder, dass | |
| Wohnungen nicht an die Börse gehören“, so Hamann. Wie | |
| Mieter*innen-Initiativen fordert auch sie, schnell ein konkretes | |
| Vergesellschaftungsgesetz zu schaffen. | |
| Doch Finanzsenator Stefan Evers (CDU) hat die Vergesellschaftung von | |
| Wohnraum [2][jüngst wieder ausgeschlossen]: Obwohl die Koalition an einem | |
| Rahmengesetz zur Vergesellschaftung arbeite, hält Evers die konkrete | |
| Anwendung „aus fiskalischen Gründen für ausgeschlossen“, wie ihn der | |
| Tagesspiegel von einem [3][Branchentreffen mit Lobbyverbänden] letzten | |
| Mittwoch zitiert. Dass die schwarz-rote Koalition nach dem erfolgreichen | |
| Volksentscheid überhaupt an einem Gesetz arbeitet, nannte er einen | |
| „typischen Formelkompromiss“ mit der SPD. Dabei hält die vom Senat | |
| eingesetzte [4][Expert:innenkommission] ein konkretes | |
| Vergesellschaftungsgesetz für [5][umsetzbar und zielführend]. | |
| ## Bei Vonovia ist Ausverkauf | |
| Der Expansionskurs bei Deutschlands größtem Vermieter Vonovia, der sich | |
| 2021 noch die Deutsche Wohnen einverleibte, ist vorbei. Der Konzern mit | |
| mehr als einer halben Million Wohnungen hat seine Neubauvorhaben gestoppt, | |
| Investitionen gesenkt und sogar Dividenden gekürzt. Strategisches Ziel ist | |
| es derzeit, Wohnungen zu verkaufen – 66.000 Wohnungen stehen auf der | |
| Abschussliste. So will man die Schuldenlast von rund 43 Milliarden Euro | |
| drücken. | |
| Zweimal musste der Konzern zuletzt sein Immobilienportfolio abwerten. | |
| Bewertete Vonovia Ende letzten Jahres seine Immobilien noch mit 94,7 | |
| Milliarden Euro, sind es nach dem ersten Halbjahr dieses Jahres noch 88,2 | |
| Milliarden. Unterm Strich erzielte Vonovia im zweiten Quartal einen Verlust | |
| von etwa 2 Milliarden Euro. Für Vorstandschef Ralf Buch ist die Talsohle | |
| aber schon erreicht. Gut läuft es für Vonovia derweil im Kerngeschäft. | |
| Denn die Nachfrage nach Wohnungen ist hoch, die Mieten steigen, also auch | |
| die Gewinne, die aus den Vermietungen erzielt werden. Für Mieter:innen | |
| sind das keine guten Nachrichten. Der Präsident des Mieterbundes, Lukas | |
| Siebenkotten, hatte zuletzt gewarnt: „Wir müssen befürchten, dass Vonovia | |
| versucht, Verluste unter anderem durch weitere Mieterhöhungen oder die | |
| Reduzierung von Instandsetzungsleistungen zu kompensieren.“ | |
| ## Signa bricht das Geschäftsmodell weg | |
| Der Immobilien- und Warenhauskonzern Signa um den österreichischen | |
| Milliardär René Benko avancierte innerhalb weniger Jahre zu einem der | |
| wichtigsten Player auf dem Berliner Immobilienmarkt. Zwar vermietet Signa | |
| kaum Wohnungen, doch mit Großprojekten wie den geplanten Karstadt-Neubauten | |
| am Hermannplatz und Kurfürstendamm will der Konzern das Stadtbild | |
| entscheidend mitprägen. | |
| Die Säulen von Signas Erfolg waren rasche, schuldenfinanzierte Expansionen | |
| und hohe Immobilienbewertungen – beide sind mit der Immobilienkrise nun | |
| weggebrochen. Die Bewertungen brechen ein, während zeitgleich die | |
| Refinanzierungen immer teurer werden. Erst vergangene Woche wurde bekannt, | |
| dass die Europäische Zentralbank Banken dazu drängt, sich auf | |
| Kreditausfälle Signas vorzubereiten. | |
| Die Ratingagentur Creditreform verweigerte Ende August sogar, die | |
| Kreditwürdigkeit des Unternehmens zu bewerten. Um an Kapital zu kommen, | |
| verkauft Signa selbst prestigeträchtige Objekte: etwa im Juni das gerade im | |
| Bau befindliche Mynd-Hochhaus am Alex oder im März die Hälfte des | |
| Luxuskaufhauses KaDeWe. Bislang sind diese Verkäufe äußerst profitabel, | |
| sodass von einer baldigen Zahlungsunfähigkeit nicht auszugehen ist, doch im | |
| Falle einer Pleite drohen zahlreiche Baulücken in Berlins besten Lagen. | |
| ## Heimstaden strauchelt | |
| Wachstumsambitionen werden gebremst, Ankäufe zurückgestellt, die aktuelle | |
| Lage sei herausfordernd, heißt es von Heimstaden auf taz-Anfrage. Aber man | |
| sei dafür sehr gut aufgestellt. Nun, das sehen manche anders: Die | |
| Ratingagentur Standard & Poor hat den Ausblick für den schwedischen Konzern | |
| Heimstaden, der rund 20.000 Wohnungen in Berlin hält, letzten Dezember von | |
| [6][stabil auf negativ] herabgesenkt. Die [7][Zinsaufwendungen steigen], | |
| die Immobilien- und [8][Aktienwerte sinken]. Heimstaden hat in den | |
| Niederlanden bereits mit [9][Verkäufen begonnen]. | |
| Das norwegische Wirtschaftsblatt Finansavisen berichtet, dass die | |
| Kreditgeber zittern. Der ehemalige CEO, Patrik Hall, hatte eingeräumt, dass | |
| sich das Unternehmen an den Riesenankäufen in Deutschland verhoben habe, | |
| und trat danach zurück. Die Mieter*innen von „Stop Heimstaden“ fordern | |
| die Vergesellschaftung. | |
| Tatsächlich gänzlich mit Gewinnen aus dem Staub gemacht hat sich das auf | |
| spekulativen Gewinn ausgerichtete Wohnungsunternehmen Akelius, deren | |
| Bestände Heimstaden 2021 für den Fantasiepreis von 9,1 Milliarden Euro | |
| übernommen hat. Ex-Eigentümer und Milliardär Roger Akelius hat rund 14.000 | |
| Wohnungen in Berlin gekauft, aufgewertet und wieder verkauft. Im Jahr | |
| danach schüttete die Firma 6 Milliarden Euro Dividende aus an Stiftungen | |
| auf den Bahamas, an denen wiederum Roger Akelius beteiligt ist. | |
| ## Adler Group ist im Sinkflug | |
| Der luxemburgische Aktienkonzern Adler Group entstand 2019 aus einem | |
| Zusammenschluss von Ado Properties, Real Estate und dem Berliner | |
| Projektentwickler Consus, der zuvor die CG-Gruppe übernommen hatte – und | |
| ist die Skandalnudel auf Berlins Wohnungsmarkt. Verdacht der | |
| Bilanzfälschung, unbezahlte Rechnungen, europaweite Großrazzia, Streit um | |
| einen nicht testierten Geschäftsbericht; Projekte, die nie gebaut werden: | |
| Adler ist mehr ein Wirtschaftskrimi denn ein Wohnungsunternehmen. | |
| Zum Halbjahr 2023 musste der Wert der Immobilien von 7,4 Milliarden Euro um | |
| 1 Milliarde heruntergeschraubt werden – bei Schulden in fast gleicher Höhe. | |
| Adler will dringend Bestände verkaufen, tut sich angesichts der | |
| Marktsituation aber schwer. Von ursprünglich etwa 27.000 Wohnungen will man | |
| vor allem die etwa 19.000 Berliner Wohnungen behalten. In diesem Jahr | |
| erhöhte man die Mieten gerade um die maximal möglichen 15 Prozent, was zu | |
| einem Ende der Beteiligung im Wohnungsbündnis des Senats führte. | |
| Die Berliner Immobilien belastete Adler zuletzt mit einer den bilanzierten | |
| Wert übersteigenden Grundschuld zugunsten einer neu gegründeten Firma. | |
| Spekuliert wird, dass dadurch eine Zwangsversteigerung erschwert werden | |
| könnte. Die Aktie war 2018 über 48 Euro wert, heute bekommt man eine Aktie | |
| schon für schlappe 50 Cent. Über Adler kreist also der Pleitegeier. | |
| 3 Sep 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Adler-Group-bricht-Vereinbarung/!5949524 | |
| [2] https://www.tagesspiegel.de/berlin/trotz-geplantem-rahmengesetz-berlins-fin… | |
| [3] https://www.gtlaw.com/de/events/2023/08/recon-berlin-2023 | |
| [4] /Gutachten-zu-Enteignungen-in-Berlin/!5932840 | |
| [5] /Enteignung-grosser-Wohnungskonzerne/!5940206 | |
| [6] https://news.cision.com/heimstaden-bostad-ab/r/s-p-affirms--bbb--investment… | |
| [7] https://www.finansavisen.no/naeringseiendom/2023/08/18/8029938/heimstaden-e… | |
| [8] https://www.finansavisen.no/naeringseiendom/2023/08/23/8031111/aksjekursen-… | |
| [9] https://twitter.com/Vastgoedmanager/status/1693627833325695036 | |
| ## AUTOREN | |
| Gareth Joswig | |
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