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# taz.de -- Haushaltsverhandlungen der Regierung: Sparen an der Demokratie
> Die AfD ist stark, und die Ampel will sparen – ausgerechnet dort, wo es
> um den Zusammenhalt in der Demokratie geht. Drei Beispiele.
Bild: Einige Abgeordnete waren bestimmt auch auf einer der Unteilbar-Demos, hie…
## Integration
Ob nun Unterstützung im Asylverfahren, beim Ankommen in Deutschland, auf
dem Weg in den Arbeitsmarkt und an die Uni oder bei der Versorgung
traumatisierter Kriegsflüchtlinge: Die Bundesregierung will Projekte für
eingewanderte oder [1][geflüchtete Menschen] drastisch zusammenkürzen.
Dabei geht es um Kürzungen, die das Aus für viele Projekte bedeuten und
erfolgreiche Integration auf Jahre erschweren könnte. Die
Mi-grationsberatung für erwachsene Zugewanderte (MBE) etwa berät bei Fragen
zu Spracherwerb, Wohnungssuche oder bei der Anerkennung von Abschlüssen.
Weil der Bedarf so hoch ist, bekam die MBE 2023 eine Rekordsumme von 81,5
Millionen Euro. Jetzt soll diese Aufstockung nicht nur rückgängig gemacht
werden, die Summe soll deutlich geringer werden: Nur noch 57,5 Millionen
Euro soll es 2024 geben, ein Minus von 30 Prozent.
Ähnliches droht den 47 psychosozialen Zentren, eine Anlaufstelle für
kriegstraumatisierte Geflüchtete. Deren Mittel wollte die Ampel laut
Koalitionsvertrag verstetigen. Nun sollen sie gekürzt werden: von 17 auf 7
Millionen Euro. Dabei können die Zentren schon heute nach eigenen Angaben
nur etwa 4 Prozent der potenziell Behandlungsbedürftigen helfen, und die
Wartelisten sind lang: Mehr als sieben Monate warten Geflüchtete auf einen
Therapieplatz. „Die Kürzung würde den Abbruch vieler Therapien für
Folterüberlebende bedeuten“, warnt Sabrina Hackmann von der
[2][Medizinischen Flüchtlingshilfe Bochum].
Die Liste lässt sich fortsetzen. Für die Erstorientierungskurse etwa, die
für das Ankommen Geflüchteter eine fundamentale Rolle spielen, soll es fast
40 Prozent weniger Geld geben. [3][Komplett gestrichen werden soll die
„Bildungsberatung Garantiefonds Hochschule“] (GFH), die junge
Migrant*innen auf dem Weg in die akademische Bildung begleitet. Schon
seit August werden keine Geflüchteten mehr in die Förderung aufgenommen, zu
Ende des Jahres soll das Programm eingestellt werden.
Die Aufzählung ist nicht abschließend. Die [4][Spitzenverbände der Freien
Wohlfahrtspflege üben scharfe Kritik]: Durch die Kürzungen sehe man die
„Versorgung und Teilhabe von geflüchteten sowie anderen zugewanderten
Menschen massiv gestört und damit auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt
in Gefahr“.
## Politische Bildung
Eigentlich hatte die Bundesregierung versprochen, Projekte gegen
Extremismus und für Toleranz zu stärken. Doch anstatt das
Demokratiefördergesetz wie angekündigt vor dem Sommer zu verabschieden, und
damit eine langfristige Finanzierung entsprechender Programme, hat die
Ampel bei der politischen Bildung [5][gekürzt].
Betroffen sind unter anderem die Bundeszentrale für politische Bildung, die
freie Jugendhilfe sowie Freiwilligendienste, die jeweils auf rund ein
Fünftel ihres Budgets verzichten sollen. Andere Posten sind im
Haushaltsentwurf ganz gestrichen. Darunter das Programm „Respekt Coaches“,
das seit 2018 bundesweit an rund 600 Schulen läuft und das das
Familienministerium in diesem Jahr noch mit 30 Millionen Euro fördert.
Respekt Coaches organisieren Workshops zu Themen wie Diskriminierung oder
Vielfalt und beraten Schüler:innen und Lehrkräfte bei Konflikten. Das
Familienministerium selbst stellt ihnen ein gutes Zeugnis aus. „Die
positiven Bewertungen und die beobachteten Wirkungen sprechen für eine
Fortführung des Präventionsprogramms“, heißt es [6][in einem Gutachten].
Nach den Silvesterkrawallen wies Familienministerin Lisa Paus die Respekt
Coaches im Bundestag noch als „Erfolgsstory“ aus. Eigentlich sollte das
Programm noch bis mindestens Ende 2024 laufen – nun soll der Bund die
Finanzierung im Januar komplett einstellen. Die zuständige Staatssekretärin
Margit Gottstein verweist auf die Möglichkeit, die gewonnene „Expertise“ in
das geplante „Startchancenprogramm“ für Brennpunktschulen einzubringen.
Von einer „gravierenden Fehlentscheidung“ spricht die Präsidentin des
Internationalen Bundes (IB), Petra Merkel. Der Bund verliere „fahrlässig“
ein wesentliches Instrument zur Demokratiebildung. Die Diakonie-Direktorin
für Berlin und Brandenburg, Ursula Schoen, warnt vor einem
„Vertrauensbruch“ gegenüber Schüler:innen und Lehrkräften. Mehrere
Petitionen fordern die Regierung auf, die Respekt Coaches zu erhalten.
Kritik dürfte die Koalition kommende Woche auch im Bundestag hören, wenn
ihr Haushaltsentwurf beraten wird. Auch viele Parlamentarier:innen
halten es für ein gefährliches Signal, in Zeiten von AfD-Umfragehochs und
vermehrten rechtsextremen Vorfällen an Schulen [7][an der Demokratiebildung
zu sparen].
## Fake News
Seit Beginn der Pandemie haben sie Konjunktur: falsche Nachrichten über
Impfschäden, Desinformationskampagnen von Putinversteher:innen, ausgedachte
Geschichten über die angebliche Strippenzieherei von Politiker:innen. Das
Ganze gespickt mit einer ordentlichen Ladung Hass in sozialen Medien.
Die Bundesregierung hat die Gefahr aus dem digitalen Raum erkannt,
eigentlich. Bei ihrer im Juni vorgestellten Nationalen Sicherheitsstrategie
benannte sie Fake News als potenzielle Bedrohung und bezeichnete den Kampf
gegen Desinformation und Hate Speech als wichtige Instrumente der
Demokratieförderung. Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD)
bekräftigt immer wieder diesen Kurs – vor allem im Zusammenhang mit dem
Ukraine-Krieg. Seit Kriegsbeginn hätten auch Desinformationskampagnen von
russischer Seite zugenommen.
Trotzdem sollen relevante Initiativen, die Aufklärungs- und Präventivarbeit
leisten, künftig weniger Geld bekommen oder ganz gestrichen werden. Ein
Beispiel ist das vom Bundesjustizministerium geförderte Projekt „Firewall“
der Amadeu-Antonio-Stiftung. Vor allem Expert:innen aus der Sozialarbeit
wurden darüber gecoacht und ausgebildet, um sich Wissen darüber anzueignen,
wie man nicht auf Fake News hereinfällt, wie man sich gegen Hass im Netz
stellt, wie Desinformation begegnet werden kann. Ihre Zielgruppe: Junge
Menschen bis Mitte zwanzig. Also genau der Personenkreis, der sich laut
Umfragen am meisten im digitalen Raum aufhält. Weit über die Hälfte gibt
laut Amadeu-Antonio-Stiftung an, regelmäßig auf Falschinformationen zu
stoßen. „Firewall“ wird im kommenden Jahr nicht weiter vom Ministerium
gefördert.
Mit deutlichen finanziellen Einbußen muss auch die Organisation Hate Aid
rechnen. Sie berät und unterstützt Personen, die von digitaler Gewalt
betroffen sind. Bereits 2023 musste die Initiative um ihre Förderung aus
dem Bundesjustizministerium bangen und die finanzielle Unterstützung wurde
in Frage gestellt. Nur dank eines Beschlusses des Haushaltsausschusses des
Bundestags konnte die Kürzung noch abgewendet werden. Für 2024 und auch
2025 sieht es allerdings schlecht aus. Laut Hate Aid handelt es sich um
Einbußen von rund 600.000 Euro. Ohne die staatliche Förderung können beide
Projekte nur sehr eingeschränkt oder gar nicht mehr weitergeführt werden.
2 Sep 2023
## LINKS
[1] /Gefluechtete-im-deutschen-Arbeitsmarkt/!5946606
[2] https://www.baff-zentren.org/aktuelles/bundesregierung-will-psychosoziale-u…
[3] https://weact.campact.de/petitions/rettung-der-bildungsberatung-garantiefon…
[4] https://www.bagfw.de/veroeffentlichungen/pressemitteilungen/detail/scharfe-…
[5] /Kritik-am-Bundeshaushalt/!5943138
[6] https://www.bmfsfj.de/resource/blob/182692/0678edd3d9f9f4fa0ac2c939420032da…
[7] /Politologin-ueber-Bildungskuerzungen/!5949312
## AUTOREN
Ralf Pauli
Dinah Riese
Tanja Tricarico
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