| # taz.de -- Regierungsklausur in Schloss Meseberg: „Wir werden hämmern, aber… | |
| > Auf Schloss Meseberg erschafft die Ampel-Koalition ein Harmoniemärchen. | |
| > Sie verspricht Wirtschaftshilfen und Bürokratieabbau. Reicht das? | |
| Bild: Treten ab – aber nur von der Pressekonferenz in Meseberg: Lindner, Scho… | |
| Mit zusammengekniffenen Augen und starrer Miene guckt Olaf Scholz in die | |
| Kameras, als die erste unangenehme Frage aufkommt. Wie er denn nun zu einem | |
| Industriestrompreis stehe, möchte ein Journalist wissen. Bis zuletzt hatte | |
| sich der Kanzler eher ablehnend gezeigt, während seine eigene Fraktion sich | |
| am Montag dafür ausgesprochen hat. Auch die Grünen sind dafür, die FDP | |
| dagegen. | |
| „Billige Energieversorgung ist ein Dauerthema dieser Regierung“, weicht | |
| Scholz der Frage aus und verweist auf die bereits geschnürten Hilfspakte | |
| der Regierung. Viele Sätze, kein klares Ja oder Nein. Auch bei der Frage, | |
| ob Deutschland Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine liefern will, hält er | |
| sich bedeckt. | |
| Kein Wunder. Denn um Konflikte soll es an diesem Mittwoch wirklich nicht | |
| gehen. Um die Kindergrundsicherung oder das Gebäudeenergiegesetz wurde die | |
| vergangenen Monate schon lang genug gestritten. An diesem Tag sind | |
| Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und | |
| Finanzminister Christian Lindner (FDP) sehr pünktlich und demonstrativ gut | |
| gelaunt aus dem Schloss Meseberg herausspaziert, um der Republik zu | |
| verkünden, was diese Regierung noch so alles vorhat. | |
| [1][Zwei Tage lang hat das Bundeskabinett im brandenburgischen Meseberg | |
| getagt], um laut Scholz „viele wichtige Fragen für die Zukunft des Landes | |
| zu besprechen“. Herausgekommen sind vor allem zwei Dinge: schöne Bilder der | |
| Eintracht und eine Menge Beschlüsse, die vor allem auf Wirtschaftswachstum, | |
| Bürokratieabbau und Digitalisierung abzielen. Ein Konjunkturprogramm für | |
| die Wirtschaft. | |
| ## Entlastungen von rund 7 Milliarden Euro jährlich | |
| Geeinigt wurde sich in Meseberg etwa über das Wachstumschancengesetz aus | |
| dem Finanzministerium. Dieses enthalte „eine umfassende Entlastung der | |
| Wirtschaft“, erklärte Scholz. Auf die unrühmliche Vorgeschichte ging er | |
| natürlich nicht ein. Mitte August hatte Familienministerin Lisa Paus | |
| (Grüne) das Lindner’sche Vorhaben bewusst blockiert, weil sie mit dem | |
| Finanzminister bei der Kindergrundsicherung im Clinch lag. Nachdem | |
| [2][dieser Streit am Montag mit einem Eckpunktepapier] befriedet wurde, gab | |
| es nun offenbar grünes Licht. | |
| Angesichts der augenblicklichen Konjunkturschwäche würden die | |
| Rahmenbedingungen verbessert, „um in Deutschland zu investieren“, erklärte | |
| Lindner zufrieden. Insgesamt sollen Unternehmen bis 2028 um gut 7 | |
| Milliarden Euro jährlich entlastet werden. Sie sollen zudem eine | |
| Investitionsprämie von bis zu 30 Millionen Euro erhalten, wenn sie Energie | |
| und CO2-Emissionen einsparen. Dafür sind 390 Millionen Euro pro Jahr | |
| vorgesehen – und damit ein relativ kleiner Teil des gesamten Programms. | |
| Der ursprüngliche Gesetzentwurf wurde zudem ergänzt. Neu ist eine | |
| degressive Abschreibung, mit dern Unternehmen ihre Investitionskosten etwa | |
| für Maschinen in den ersten Jahren stärker mit ihren Gewinnen verrechnen | |
| können als bisher. Dadurch sparen sie anfangs mehr Steuern. Das soll als | |
| Anreiz wirken, dass sie jetzt schnell investieren. Ähnliche Abschreibungen | |
| gab es schon früher, etwa während der Coronapandemie. Die neue Regelung | |
| soll bis Ende 2024 gelten. Neu ist ebenfalls eine zusätzliche | |
| [3][degressive Abschreibung für den Wohnungsbau], um den schwachen | |
| Wohnungsbau ankurbeln. | |
| Zusätzlich erhalten alle Unternehmen vorübergehend bessere Möglichkeiten, | |
| Verluste der Vergangenheit, etwa aus den Coronajahren, mit aktuellen oder | |
| künftigen Gewinnen zu verrechnen. Während sie momentan bis zu 60 Prozent | |
| der Gewinne neutralisieren können, sollen künftig bis zu 80 Prozent Abzug | |
| erlaubt sein. | |
| ## Wirtschaftsweise Truger: „Es fehlt der Wumms“ | |
| Das Problem ist: Dem Bund entgehen pro Jahr Steuereinnahmen in Höhe von 2,6 | |
| Milliarden Euro, den Ländern 2,5 Milliarden und den Kommunen rund 2 | |
| Milliarden. Bundestag und Bundesrat können den Entwurf jedoch noch | |
| verändern. „Das Gesetz geht in die richtige Richtung, es fehlt aber der | |
| Wumms“, kommentierte der Wirtschaftsweise Achim Truger, „vor allem die | |
| Klimaschutzinvestitionsprämie ist viel zu gering.“ Außerdem weist er auf | |
| das „Finanzierungsproblem“ hin: Gerade den Kommunen, die viel investieren | |
| müssten, gingen Milliarden Euro verloren. Das Streitthema Geld ist mit | |
| einem geeinten Entwurf also noch längst nicht abgeräumt. | |
| Was aber weniger kontrovers klingt, ist das Thema Bürokratieabbau. Das | |
| Kabinett billigte nun Eckpunkte von Bundesjustizminister Marco Buschmann | |
| (FDP). Geplant ist zum Beispiel die Verkürzung der Aufbewahrungsfristen für | |
| Buchungsbelege von 10 auf 8 Jahre oder der Verzicht auf Meldescheine in | |
| Hotels für deutsche Staatsbürger. | |
| Zudem soll es künftig möglich sein, etwa „eine schriftliche Kündigung eines | |
| Mietverhältnisses mit einem Smartphone zu fotografieren und diese | |
| elektronische Kopie dem Erklärungsempfänger zu übersenden“, heißt es | |
| wörtlich im Eckpunktepapier des Justizministers, der derzeit mehr | |
| Mieterschutz blockiert – doch das war auch kein Thema in Meseberg. | |
| Einig war man sich aber beim Thema Digitalisierung im Gesundheitswesen und | |
| einer Datenstrategie, die auch den Umgang mit künstlicher Intelligenz | |
| umfassen soll. In den kommenden zwei Jahren will die Ampel die technischen | |
| und rechtlichen Voraussetzungen für den Einsatz von KI-Anwendungen in der | |
| Verwaltung schaffen. Zudem sollen vorhandene Daten künftig besser genutzt | |
| werden können. Mitte 2024 soll zur Umsetzung ein „Dateninstitut“ gegründet | |
| werden. | |
| Nach monatelangen öffentlichen Zank und schlechten Umfragewerten will die | |
| Regierung nun also Tatendrang und Einigkeit demonstrieren. „Wir sind eine | |
| Regierung, wo gehämmert, geschraubt wird. Das führt zu Geräuschen, wie Sie | |
| schon festgestellt haben. Aber es kommt eben auch was raus“, sagte | |
| Finanzminister Lindner, nachdem er auf den Krawallmodus der Regierung | |
| angesprochen wurde. Woraufhin Kanzler Olaf Scholz ergänzte: „Wir werden | |
| hämmern und klopfen, aber mit Schalldämpfer.“ | |
| Nachdenklicher klang Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck. Die | |
| Regierung müsse „verstehen, dass verschiedene Blickwinkel eine Stärke sind, | |
| dass man voneinander lernen kann und dass Kompromisse was Gutes sind, um | |
| die Mitte und die Handlungsfähigkeit stabil zu halten“. | |
| Zumindest an diesem Tag hat sich die Regierung ein kleines Harmoniemärchen | |
| mit Barockkulisse erschaffen. Wie lang diese guten Vorsätze aus Meseberg | |
| halten, ist aber eine andere Frage. | |
| 30 Aug 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jasmin Kalarickal | |
| Hannes Koch | |
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