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# taz.de -- Protest auf Sylt: Punk ist zurück
> Ein Camp am Rande von Westerland will im zweiten Sommer in Folge
> politischen Protest auf die Insel bringen. Aber die Punks sind nicht
> willkommen.
Westerland taz | Auf einmal singt ein Wal in der Grünanlage gegenüber dem
Rathaus von Westerland. Der Wal ist aus Draht geflochten, wie auch eine
Wassermannfigur daneben, und die beiden älteren Frauen, die auf dem Platz
zwischen Rasen und Rathaus miteinander schnacken, drehen sich zu den
Figuren um, von denen die Töne ausgehen. „Dieser Mist“, schimpft eine. „…
nur aus Angst vor den Punkern.“
Vor einem Jahr, [1][im Neun-Euro-Ticket-Sommer], kampierte eine Gruppe
Punks im Herzen der Inselhauptstadt, dort, wo jetzt die Skulpturen stehen.
In diesem Jahr sind die Punks zurück, allerdings nicht mehr vorm Rathaus.
Da steht ja die Wal-Wassermann-Kunst aus Drahtgeflecht – die ganz Sylt für
eine Anti-Punk-Maßnahme hält, auch wenn der parteilose Bürgermeister
Nikolas Häckel noch so sehr darauf beharrt, dass es sich bei der
Skulpturengruppe um ein Geschenk an Einheimische und Tourist*innen nach
den zehrenden Coronajahren handelt.
Die Punks sind zurück. Nur dieses Mal außerhalb des touristischen Zentrums,
in einem Camp, das die Beteiligten als mehrwöchige politische Aktion sehen
und das die Insulaner*innen teils mit Argwohn und Ärger, teils
desinteressiert oder mit Amüsement betrachten. Die ersten
Bewohner*innen kamen in der letzten Juli-Woche auf die Insel, einige
nur für ein paar Tage, andere wollen mehrere Wochen bleiben, beantragt ist
das Camp bis zum 20. August. Das Ganze ist keinesfalls nur als Spaßaktion
gedacht. Die Bewohner*innen planen Demos, mit denen sie auf Missstände
hinweisen wollen – wie etwa eine [2][Tourismuspolitik, die zwar Reichtum
auf die Insel bringt], aber die Interessen der Einwohner*innen, wie
etwa bezahlbaren Wohnraum, oft nicht berücksichtigt.
Bei den beiden Seniorinnen vor dem Rathaus mischen sich Argwohn und Ärger
über die Punks zu etwa gleichen Teilen: Sie freuen sich hämisch über den
Regen, der in den vergangenen Tagen über Sylt niederging und das Leben im
Zelt ungemütlich macht. Sie spotten über die Gemeinde, die ihrer Meinung
nach keinen richtigen Umgang mit den schwarz gekleideten Besucher*innen
findet. Sie schütteln aber auch die Köpfe über die Tourist*innen, die Punks
auf Schnorr-Tour Geld in die Sammelbüchsen werfen.
## Die Security grüßt höflich
Einige Straßen weiter in der Fußgängerzone, zwischen Cafés und
Kleiderläden, sitzt eine Gruppe Punks auf der Straße, eine Sammelbüchse
steht vor ihnen. Die wenigsten Passant*innen werfen ihnen einen Blick
zu, nur die Männer in blauen Westen mit der Aufschrift „Security“ grüßen…
Vorbeigehen höflich: „Moin, alles gut?“
Das Camp selbst befindet sich auf einer Wiese an der Grenze zum Ortsteil
Tinnum, gut zwei Kilometer vom Bahnhof Westerland entfernt und schräg
gegenüber dem Sylter Flughafen, auf dem vor wenigen Wochen Mitglieder der
Letzten Generation Flugzeuge mit orangener Farbe besprühten, um auf den
gewaltigen CO2-Fußabdruck der sehr Reichen dieser Welt hinzuweisen. Die
Farbe ist auf dem Betonfeld noch zu sehen, ansonsten herrscht normaler
Betrieb: In unregelmäßigen Abständen rauschen die kleinen Maschinen bei
Starts oder Landungen dicht über das Camp.
Ein niedriger, grasbewachsener Wall schirmt den Zeltplatz zum Gehweg hin
ab, auf dem Menschen mit Hunden vorbeischlendern. Die meisten sind
Einheimische, denn in diese Gegend zwischen Flugplatz und Gewerbegebiet
verirren sich Urlauber*innen selten. Auf dem Platz verteilen sich
kleine Zelte, in der Mitte steht ein Sofa unter einem Holzgestell, über das
eine Plane als Regenschutz gebreitet ist. Im Halbkreis davor sitzen auf
Stühlen, Bierkästen und Plastikplanen die Bewohner*innen des Camps: Das
morgendliche Plenum tagt.
Rund 70 Personen bewohnen das Zeltlager zurzeit, bis zu 100 könnten es
werden, schätzt Marvin Bederke, der die Aktion offiziell angemeldet hat und
gemeinsam mit seinem Freund Jonas Hötgen für die Behörden – und auch für
viele Bewohner*innen – der wichtigste Ansprechpartner ist. Ein bisschen
stressig sei das schon, sagt Bederke, der aus Frankfurt am Main stammt.
Dennoch sei die „Aktion Sylt – Sylt für alle!“ gut vorbereitet: „Wir h…
[3][aus dem vergangenen Jahr gelernt].“
Damals kamen die Punks als Reaktion auf Medienberichte, in denen es um die
Angst der Insel vor einem Ansturm von Neun-Euro-Reisenden ging. Das klang
für viele Punker*innen aus dem ganzen Bundesgebiet wie eine gute Idee,
daher reisten sie an. Bis zu 200 Personen lebten damals in den Protestcamps
gegenüber dem Rathaus und neben der Kirche. Es gab keine Toiletten, kein
Wasser, also wurde eine Telefonzelle als Klo benutzt und ein Brunnen als
Planschbecken. Geduldet wurden die Lager, weil sie dem Versammlungsrecht
unterlagen.
„Es gilt grundsätzlich für jedermann und für jedes
politisch-gesellschaftliche Anliegen“, erklärte damals Kai Mintrop, Leiter
des Fachdienstes Recht und Sicherheit der Kreisverwaltung in Husum, wo die
Versammlungsbehörde angesiedelt ist. Doch Mitte August entzog der Kreis
wegen Ruhestörung und Lärmbelästigung der Anwohnenden erst dem Camp an der
Kirche den Status einer Versammlung. In der ersten Septemberhälfte erlosch
auch die Genehmigung für das Camp am Rathaus. Die Beteiligten hätten sich
nicht an die Spielregeln gehalten, so Mintrop. Gerichte bestätigten die
Entscheidung, die Punks verließen die Insel.
Diesmal soll es keine Klagen geben: „Das Camp im vergangenen Jahr hatte
Bestand, weil es da war – jetzt wollen wir mit guter Planung dafür sorgen,
dass es nicht verboten wird“, sagt Bederke. Er und Hötgen akzeptierten die
„Spielregeln“ dieses Jahr; zu den Auflagen gehören ein Toiletten- und ein
Müllkonzept. Letzteres hat aus Sicht der Camp-Anmelder einen großen Haken:
„Wir dürfen den Müll nicht selbst zum Recycling bringen, sondern er wird
containerweise abgeholt“, berichtet Hötgen. Der Container allein kostet
mehrere Hundert Euro, hinzu kommt das Gewicht des Abfalls – daher bemüht
sich die Gruppe, möglichst wenig Dreck zu machen.
Die Camp-Anmelder haben außerdem mehrere mobile Klos gemietet, die nun am
Rand der Wiese stehen, die die Gemeinde zur Verfügung gestellt hat. An
einer der Toilettenkabinen hängt ein Plakat mit der Aufschrift „Für
Telefonstreiche“, als Erinnerung an die vollgepinkelte Telefonzelle im
vergangenen Jahr. Für Klos und Müll sind Bederke und Hötgen in finanzielle
Vorleistung gegangen. Sie hoffen auf die Selbstbeteiligung der anderen und
auf Spenden, um das Camp am Leben zu erhalten.
Bisher, berichtet der angehende Jurastudent Bederke im Plenum, gebe es Lob
vom Ordnungsamt und der Polizei für das Verhalten der Bewohner*innen. So
„gechillt“ solle es bleiben: „Bitte kein Wildpinkeln, klaut nicht, und
verderbt es uns nicht mit den Läden im Umkreis.“
## Die Gemeinde kann das Punk-Camp nicht verbieten
Während Bederke und Hötgen das Beste aus der Lage machen wollen, ist Jörg
Otto sauer: Nicht nur, dass die Punks an den Rand des Ortes gedrängt
wurden, die Wiese sei zudem in einem schlimmen Zustand: „Alles voller
Löcher, das ist absolut gefährlich, man kann stolpern und sich etwas
brechen“, sagt der Hamburger, der im vergangenen Jahr als Sprecher des
Camps bundesweite Bekanntheit erlangte.
Auch, dass Wasseranschlüsse und Strom fehlten, sei nicht nur ein Ärgernis,
sondern ein Versäumnis der Behörden: „Demonstrationen sind für eine
Verwaltung eigentlich Sternstunden, da können sie zeigen, was sie können.“
Es sollte ein Leichtes sein, das Camp mit Energie und Wasser zu versorgen,
doch es passiere nichts, ärgert sich der 47-Jährige, der bei der Linken
engagiert ist und bei der Kommunalwahl im Frühjahr erfolglos für einen
Platz im Rat der Gemeinde Sylt antrat.
Die Gemeinde kann das Camp nicht verbieten, aber sie kann zeigen, dass
diese Gäste nicht willkommen sind. Besonders geschickt geht sie dabei aber
nicht vor: Das von vielen bespöttelte Anti-Punk-Kunstwerk vor dem Rathaus
beschloss der Gemeinderat in nichtöffentlicher Sitzung und per
Dringlichkeitsantrag. „Kulturvereine und Kunstschaffende fühlen sich
übergangen, weil sie nicht einbezogen wurden.
Ein Gemeindevertreter der regionalen „Zukunft.“-Partei hält das Vorgehen
sogar für rechtswidrig und habe Beschwerde beim Kreis Nordfriesland
eingelegt, berichtete die lokale Sylter Rundschau. Hinzu kommen Kosten von
fast 94.000 Euro, die die Gemeindekasse belasten.
Der neueste Nadelpiks der Behörden ist eine Forderung des Ordnungsamts, die
den Bewohner*innen am 1. August übermittelt wurde: Die
Campbewohner*innen sollen Kurtaxe zahlen. Etwas ratlos hebt Bederke an
dem Tag einen Packen Meldezettel in die Höhe: „Die wurden heute morgen
vorbeigebracht.“
Grundsätzlich müssten alle Besucher*innen eine Kurabgabe entrichten:
„Das bestätigt eine rechtliche Bewertung, die die Gemeinde Sylt eingeholt
hat“, teilt die Pressestelle des Rathauses mit. Eine Ausnahme seien
Veranstaltungen, die durch die Versammlungsfreiheit gedeckt sind. Nach der
juristischen Meinung der Gemeinde ist „für die Dauer der Teilnahme an einer
Versammlung keine Kurabgabe zu zahlen. Eine Versammlung kann in Form einer
Demonstration, eines Umzuges oder eines Protestcamps erfolgen.“
Aber, heißt es aus dem Rathaus auf taz-Anfrage: „Sobald die Teilnehmer die
Versammlung verlassen, um sich am Strand aufzuhalten oder spazieren zu
gehen, sind sie zur Zahlung der Kurabgabe verpflichtet.“ Die Kontrollen
„finden im üblichen Rahmen statt“.
Würde die Gemeinde den Anmelder Marvin Bederke juristisch als „Vermieter“
ansehen, hätte er die Pflicht, das Geld von den Teilnehmenden einzuziehen.
Ob sie das tun wird, ist aber noch unklar. Es geht jedenfalls um 3,70 Euro
Kurtaxe pro Person und Tag, das kann bei einem mehrwöchigen Aufenthalt von
100 Personen teuer werden. Bei dem Gedanken sieht der 23-Jährige etwas
unglücklich aus. Die Auskunft der Pressestelle beruhigt aber ein wenig:
„Die Veranstalter des Camps sind nicht für das Verhalten einzelner
Teilnehmer in Verantwortung zu nehmen.“
Mit anderen Worten: Der Kurtaxe-Bescheid könnte praktisch folgenlos bleiben
– aber er ist gleichwohl eine klare Ansage, dass die Kampierenden nicht
willkommen sind auf der Insel.
Bei der Debatte im Plenum auf der Wiese wird klar, dass niemand Bock – und
Geld – hat, eine Kurabgabe zu zahlen. Schließlich sei der gesamte
Aufenthalt auf der Insel eine politische Demonstration, entscheidet die
Runde: „Wir gehen juristisch dagegen vor.“
Klar ist, dass die Punks in diesem Jahr längst nicht so stark wahrgenommen
werden wie im vergangenen. Bei der Sylt Tourismus GmbH, einem privaten
Vermittlungsservice für Ferienunterkünfte, ist das Camp kein Thema: „Daran
haben wir kein Interesse“, sagt ein Mitarbeiter des Büros, das sich nur
wenige Hundert Meter vom Camp entfernt befindet. Es gebe bislang keine
Rückmeldungen von Sommergästen; auch vonseiten der Vermieter*innen höre
die Zentrale keine Beschwerden. Auf die Frage, ob ihn selbst die Punks
störten, sagt der Mitarbeiter: „Ich kriege da nicht viel von mit, ich wohne
nicht auf der Insel.“
Genau das ist das Problem, auf das das Protestcamp hinweisen will: „Die
Reichen schotten sich ab. Die wahren Sylter pendeln auf ihre Insel, eine
Wohnung dort können sie sich nicht mehr leisten“, heißt es auf der Homepage
der „Aktion Sylt“.
Wenn sie so etwas hört, winkt Astrid Jahn, die eigentlich anders heißt, nur
ab: „Die Punks mögen bunt und nett sein, aber es muss kein Bengel aus
Frankfurt kommen, uns unsere Probleme zu erklären.“ Die alteingesessene
Sylterin ist bereit, etwas über das Leben auf der Insel zu erzählen, aber
bitte nur anonym. Denn das mediale Interesse an dem Konflikt zwischen
Luxusurlauber*innen und Punks sei eh schon groß und nicht gut für
Sylt, meint sie. „Uns ganz normalen Leuten geht es auf den Senkel, auf
diese Dinge reduziert zu werden.“
Der Tourismus ist Fluch und Segen für die Insel zugleich, darin sind sich
die meisten Sylter*innen inzwischen einig. 2020 fand eine Befragung
statt, bei der sich eine Mehrheit der Einheimischen gegen den „Overtourism“
aussprach. Vor allem den Autoverkehr zur Hochsaison beklagten die meisten.
Rund 7 Millionen Übernachtungen zählte die Insel im Vor-Corona-Jahr 2019,
bei einem Bruttoumsatz von über 500 Millionen Euro.
Entsprechend liegen Sylts Immobilienpreise auf Spitzenniveau. Laut der
Analyse eines bundesweit tätigen Maklerunternehmens werden Preise bis zu
15.000 Euro aufgerufen – pro Quadratmeter. Zwar steigen die Preise zurzeit
nicht weiter, dennoch sind auch für kleinere Objekte Preise von über 1
Million Euro fast normal.
Gleichzeitig sind die Finanzen der Gemeinde Sylt, die außer aus Westerland
aus den Dörfern Tinnum, Keitum, Archsum, Morsum, Munkmarsch und Rantum
besteht, begrenzt. Zwei Jahre lang galten – begründet durch Lücken in der
Buchhaltung – Nothaushalte, deren Ausgaben sich auf ein Minimum
beschränkten und vom Kreis genehmigt werden mussten. Erst der Haushaltsplan
2023 unterliegt keinen Auflagen mehr. Doch nötige Projekte, etwa ein
Radwegekonzept, seien liegen geblieben, klagte ein Gemeindevertreter der
Sylter Wählergemeinschaft laut der Lokalzeitung.
Für ein Radwegekonzept ist auch die Sylterin Astrid Jahn: „Wenn so eine
Horde Touris mit Kindern, Hunden und Handkarren über den Bürgersteig zieht,
bleibt kein Platz mehr.“ Aber auch breitere Wege ändern das Grundproblem
nicht: Es ist zu eng, zu voll auf der Insel. „Wir müssen den Tourismus
ändern“, sagt die Westerländerin. „Bisher hieß es immer: Der Tourist
zuerst. Aber wir Einheimischen wollen auch gut leben.“ Die Innenstadt müsse
attraktiver, der Verkehr reduziert werden.
Der Gemeinderat hat inzwischen ein neues Beherbergungskonzept beschlossen,
das keine weiteren Ferienwohnungen mehr zulässt. Und Wohnungen in Kellern,
Ausweichquartiere auf Dachböden, die nie erlaubt waren, aber bisher oft
augenzwinkernd geduldet wurden, sollen verschwinden, darauf weist die
Homepage der Gemeinde hin. Der Kreis achtet verstärkt darauf, dass die
Regeln eingehalten werden.
Aber selbst mit politischen Beschlüssen im Rücken dauert es lange, bis sich
etwas tut auf der Insel. Der Bau des Skater-„Multiparks“, ein Wunschprojekt
vieler Familien und Jugendlicher, verzögert sich seit Jahren. Grund sind
Proteste von Anwohner*innen, die Lärm fürchten, und Vorschläge des
einflussreichen Vereins Sylter Unternehmen, der den Park ins fernere Keitum
verbannen möchte.
„Leider ist die Macht da, wo das Geld ist“, sagt Sven Nissen, der ebenfalls
nicht mit seinem richtigen Namen in der Zeitung stehen will. Der Handwerker
und Familienvater sieht zwei Gruppen: „Die einen wollen eine Insel zum
Leben, die anderen maximalen Umsatz.“ Einzelhandel, Gastronomie und
Hotelerie hätten Interesse daran, noch mehr Gäste zu holen. Das führe zu
Auswüchsen, sagt Nissen: „Vier Golfplätze, Sternerestaurants und Läden für
Luxusklamotten: Wo bitte ist dafür der Bedarf auf einer
18.000-Einwohner-Insel?“ Doch am Ende schade der „Overtourism“ sich selbs…
ist sich Nissen sicher: „Die Leute laufen durch die Natur, derentwegen sie
kommen, und machen sie dadurch kaputt.“
In der Regel sei ein Ort dann für Fremde interessant, wenn es Einheimischen
gut gehe, meint der Insulaner: „Das zieht den Tourismus an, den man haben
will.“ Doch zurzeit werde Sylt ausverkauft, die Marke Sylt verwässert: „Im
Supermarkt steht Sanddornlikör, dabei wächst hier kein Sanddorn. Auch
Sylter Salatdressing, Sylter Gin oder Wodka haben eigentlich nichts mit der
Insel zu tun.“
Die Aufregung über die Punks kann der Handwerker nicht verstehen, er hat
nichts gegen das Camp: „Jeder normale Tourist, der bei Gosch isst und
seinen Frittenkarton fallen lässt, macht mehr Müll.“ Und das Gemecker
darüber, dass die Punks „nur subventioniert Dosenbier saufen“, wie es in
einem Leserbrief an die Lokalzeitung heißt, lässt er nicht gelten: „Die
haben im vergangenen Jahr schon viel organisiert, unter anderem Konzerte.“
Auch diesmal wollen die Punks einiges auf die Beine stellen: Mehrere Demos
hat es bereits gegeben, ein Festival ist geplant, berichten Jonas Hötgen
und Marvin Bederke. Sie freuen sich über konkrete Unterstützung: Ein
Catering-Unternehmen brachte Nudelsalat in großen Eimern vorbei, eine
Anwohnerin stiftete Sofas und Bretter.
„Viele Leute finden es gut, was wir machen“, ist Otto überzeugt. Im
vergangenen Jahr scheiterte er daran, eine bezahlbare Wohnung auf Sylt für
sich selbst zu finden, nun protestiert er im Stadtzentrum von Westerland
gegen den Abriss von zentrumsnahen Wohnblocks. Die Passant*innen, die er
anspricht, reagieren nicht, gehen schnell weiter.
Nicht nur Otto, sondern eine ganze Reihe weiterer Bewohner*innen des
Camps ist bereits zum zweiten Mal auf der Insel – und auch wenn einige von
den endlosen Sitzungen im Plenum genervt sind, halten sie trotz des
ungemütlichen Wetters durch. Gruppen werden organisiert: Demo-Vorbereitung,
Infrastruktur, Müll sammeln, Schnorren: Ja, auch das sei politisch, finden
die Bewohner*innen.
Insulanerin Astrid Jahn sieht das anders: „Da umringen so freche Mädchen
einen älteren Herrn und fordern aggressiv Geld. Das geht nicht.“
Marvin Bederke würde das unterstreichen: Ärger braucht der Camp-Anmelder
nicht. Aber zu Reibungen kommt es trotzdem, einfach, weil das Camp da ist
und Neugierige anzieht. Bewohnerin Jacky berichtet im Plenum von einem
Vorfall, bei dem ein Besucher eine Frau doof angemacht habe und die
Mitglieder der Camp-eigenen Nachtwache nicht eingegriffen hätten. Sie
schlägt vor, [4][ein Awareness-Team] zu gründen.
Auch das Bau-Team hat sich einiges vorgenommen, um das Camp bequemer zu
machen: Der erste Schritt ist ein größeres Dach über dem zentralen Platz;
eine Waschgelegenheit und eine Küche sind in Planung. Langfristig können
sich die Protestcampler*innen vorstellen, einen Verein zu gründen mit
dem Ziel, auf der Insel einen Wagenplatz oder ein Dauercamp einzurichten.
Denn ein bisschen mehr Punk täte Sylt gut, finden sie.
10 Aug 2023
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## AUTOREN
Esther Geißlinger
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