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# taz.de -- Kuratorin über Brüste in der Kunst: „Verhüllen und Zeigen“
> Auch weil die Sexualisierung der Frauenbrust so bald nicht enden wird:
> Zum Jahresende ein thematisch fokussierter Rundgang durch die
> Kunstgeschichte.
Bild: Damals ein Verkaufsschlager: Lucas Cranach d. Ä., „Quellnymphe“ (nac…
Maler sind auch nur Männer: triebgesteuerte Wesen mit sexualisiertem Blick
fürs Weiche, Runde, Schöne der Frauen. Und mit dem Privileg ausgestattet,
[1][ihr Begehren ausdrücken] zu dürfen – etwa im Nachbilden der weiblichen
Brust auf der Leinwand – und das auch noch zum nüchternen Studium der Natur
verklären zu können. Wie sich gemalte Haut, der Voyeurismus der
Betrachtenden und, ganz konkret, die Darstellung der Brust selbst
[2][verändert hat]: Das war Thema, als die taz mit der Kunsthistorikerin
Dorothee Hansen durch die Bremer Kunsthalle gegangen ist.
taz: Frau Hansen, in Florida wurde eine Schulleiterin entlassen, weil sie
ihren Schülern [3][die Abbildung des „David“ von Michelangelo (1501/04)
gezeigt] hat. Setzt Nacktheit in der Kunst auch in Europa solche Emotionen
frei?
Dorothee Hansen: Spätestens seit der sexuellen Revolution in den
1960er-Jahren kann sie kein Problem mehr sein – denkt jemand aus meiner,
der damals geborenen Generation. Aber heute schwingt das Pendel wieder ein
bisschen zurück. Es gibt viel größere Rücksichtnahmen auf andere kulturelle
Hintergründe, in denen Verhüllung noch sehr wichtig ist. Vielleicht gibt es
bald Triggerwarnungen „Vorsicht nackt!“ in den Museen, wo schon jetzt immer
häufiger Schilder mit dem Hinweis auftauchen: Achtung, hier sind
[4][möglicherweise das ästhetische oder ethische Empfinden verletzende
Bilder] zu sehen. Gerade bei Schülerführungen mit vielen muslimischen
Kindern werden Nacktbilder schnell als unsittlich empfunden, die Augen
verdreht und es wird viel mehr gekichert als früher.
Und das im Zeitalter praktisch allgegenwärtiger Pornografie?
Das sind zwei Seiten einer Medaille. Gerade ist die Spannung extrem groß
zwischen totalem Exhibitionismus in den sozialen Medien und dem Hochlegen
der Schamgrenze.
In Sachen erotischer Inszenierung und Kommerzialisierung ist die weibliche
Brust ganz vorne mit dabei, ob in der Werbung, im Film oder in der
bildenden Kunst.
Das ist im Verhältnis von Mann und Frau so angelegt: die Urinstinkte des
Menschen, der Fokus auf die erogenen Zonen. Daher spielen Künstler gern mit
Verhüllen und Zeigen. In der Antike gibt es die Venus pudica, die ihren Arm
vor die Brust hält, aber so, dass man trotzdem was sehen kann. Das
Verhüllen ist ein Aufmerksammachen auf das, was dahinter versteckt ist.
Noch früher war das anders. Nehmen wir die 30.000 Jahre alte [5][„Venus von
Willendorf“]: gesichtsloser Kopf, gedrungen-rundliche Gestalt und –
voluminöse Brüste.
Sie verweisen auf die nährende Mutter. Die Gebärerin, Behüterin wird hier
verehrt. Wie auch bei der vorchristlichen Artemis von Ephesos, eine
archaische Skulptur, über und über bedeckt mit Brüsten – oder Stierhoden,
das weiß man nicht genau. Allein schon aufgrund dieser Doppeldeutigkeit
kann man sehen, es geht ursprünglich bei der Brustdarstellung um
Fruchtbarkeit. Das ist der keusche Blick auf die weibliche Brust.
Den gibt es auch in der christlichen Kunst.
Da ist es Maria, die hat sonst immer ihr Kleid und ihren Mantel an, aber
bei einem bestimmten Ikonentyp, der Maria lactans, ist die Brust zu sehen,
an der das Jesuskind saugt. Die lugt meist aus einem Schlitz des Kleides
raus und wird eher schematisch dargestellt, stilisiert, geradezu
abstrahiert. Nur im biblischen Kontext waren überhaupt Brustandeutungen
möglich.
In der Renaissance wurde es dann realistischer?
Etwa auf [6][„Madonna mit Kind umgeben von Engeln“] des französischen
Hofmalers Jean Fouquet. Hier kommt erstmals auch eine körperliche Anziehung
für den männlichen Betrachter mit ins Spiel: höchst anziehend die Linie des
Nackens, das Gesicht, die zarte Haut, das Zurschaustellen einer Brust.
Diese Madonna ist Himmelskönigin und Gottesnährerin, aber auch eine
verführerische Frau. Das macht das Bild zu einem Starstück der
Kunstgeschichte.
Schon bei den Griechen gab es erotische Venus-Figuren, die Darstellung der
Brüste strebte nach universeller Schönheit.
Aber mit der Antike endet auch erst mal ihre Darstellung als sinnliches
Motiv.
Gab es danach keine Ausnahmen?
Doch, an der Schwelle zur deutschen Renaissance zum Beispiel die
„Quellnymphe“ nach 1531 von Lukas Cranach dem Älteren: Da sehen wir ein
Burgfräulein, das sich in einem paradiesischen Gärtchen nackt zur
Mittagsruhe gelegt hat, die Brust wird deutlich präsentiert, als
Semiverdeckung fungiert ein durchsichtiger Schleier. Da ist wieder das
Changieren von Verhüllen und Zeigen.
Aber es geht nicht einfach um eine Onaniervorlage – der Künstler prunkt mit
Bildungshintergrund.
Zu sehen ist ja noch eine Quelle, um das Bild mythologisch als Darstellung
einer Quellnymphe zu verbrämen, weil man zu dieser Zeit niemals eine nackte
Burgfräuleinbrust hätte malen dürfen. Absolut unmöglich!
Die Quellnymphen hingegen …
… waren für die humanistisch gebildeten Zeitgenossen hocherotisch, weil sie
von lüsternen Satyrn verfolgt und begehrt werden und sich ständig
verwandeln müssen, um nicht vergewaltigt zu werden. So ist die Figur auch
ein sexuelles Objekt. Die Darstellung von Pfeil, Bogen und Rebhühnern
deuten zudem an: Ist sie vielleicht eine Diana? Wer die nackt sah, wurde in
einen Hirsch verwandelt, den die Hunde der Göttin dann zerrissen haben. Es
stirbt also, wer sie nackt sieht. Die erregende Gefahr des Verfolgtseins
schwingt hier mit. Über all das konnten Gelehrte am Hof diskutieren beim
Betrachten der weiblichen Brüste. Es ist eines der ersten Bilder nördlich
der Alpen, auf dem ein weiblicher Körper nackt dargestellt ist. Es gibt 17
Varianten davon und es gab sicherlich noch mehr, das Gemälde hat also einen
Nerv getroffen, war ein Verkaufsschlager der Cranach-Werkstatt. Malerei für
Männer, die endlich einmal einen schönen weiblichen Körper entblößt sehen
wollen.
Sind diese Brüste authentische Abbilder?
Der Künstler hat sie wohl etwas idealisiert, geglättet. Im 16. Jahrhundert
waren diese kleinen, kugeligen Brüste das Schönheitsideal der Zeit.
Verträumt, verschlafen wirkt der Blick der Quellnymphe durch die nicht ganz
geschlossenen Augen.
Das heißt: Vorsicht! Wenn sie ganz fest schlafen würde, könnte der
Betrachter ja einfach Voyeur sein. Hier muss er sich beim Anstarren ertappt
fühlen.
Kommen wir zum Barock, da wird die Brust wieder üppiger und konkreter,
oder?
Wie bei Antonio Belucci, „Cimon und Pero“ (um 1685). Schon an der Hand, die
die Brust hält, spürt man die Weichheit des schwellenden Fleisches, aber
die Brust ist das Wichtigste in diesem Bild. Auch wenn sie nicht in voller
Rundung zu sehen ist, wirkte und wirkt das Gemälde extrem anzüglich.
Die gezeigte Frau biegt ihre Brust als Lebensspenderin wie einen Strohhalm
in den saugenden Mund eines Mannes.
Der zum Hungertod im Gefängnis verurteilte Cimon wird von seiner Tochter
Pero besucht, die ihn mit ihrer Brust nährt, so dass er überlebt.
Und wenn die Kirchenoberen schimpfen, kann der Künstler immer noch sagen,
er stelle eine christliche Kardinaltugend dar: die Caritas, Nächstenliebe.
Aber es geht eindeutig um die Darstellung des Sinnlichen, enorm betont wird
das auch durch die Modellierung des Busens. Auch das Geschlechtsmerkmal des
Babys, der Penis, ist deutlich ins Bild gerückt.
Es guckt seine Mama empört an, so als wolle es sagen: „Hey, da klaut jemand
mein Mittagsessen!“
Schauen wir auf [7][Jean Baptiste Deshays „Schlafende Frau“ (um 1757/58)]:
Ein Oberschenkel ist den Blicken preisgegeben, die Hände liegen direkt im
Schoß. Eine sehr realistisch ins Bild gerückte, plastisch gestaltete Brust,
entsprechend dem Schönheitsideal eher mädchenhaft klein, ist frei von allen
Verpackungen zu sehen. Bei der anderen schimmert die Brustwarze rosa durch
ein dünnes Baumwolltuch.
Was hat sich da getan?
Der Maler versteckt sich nicht mehr hinter einer antiken oder biblischen
Geschichte, sondern inszeniert hochgradig aufreizend eine elegante Dame der
Pariser Gesellschaft.
Die Brust als Inbegriff der Weiblichkeit scheint Lustobjekt zu werden.
Immerhin ist die nackte Brust bedeutungsvoll in der Bildmitte platziert. In
heutigen sozialen Medien könnte Deshays Bild kaum gezeigt werden – wegen
der Nippel würde es gelöscht.
Der weibliche Akt war durchgängig ein wichtiges Thema, aber ab Mitte des
19. Jahrhunderts erscheinen sinnliche Brüste wieder verstärkt auf der
Leinwand. Eindrückliches Beispiel ist der [8][„Liegende weibliche Akt“
(1899) von Lovis Corinth,] ein Impressionist mit barocken Neigungen. Diese
fetten Striche, diese wilde Gestaltung passen zur haptischen Lust, die das
Bild auslöst. Das ist wirklich Pin-up: Die Frau hat nur noch schwarze
Strümpfe an, räkelt sich auf einem Bett, ist vollbusig, hat üppige Schenkel
– und das Gesicht spielt eigentlich keine Rolle. Die Brüste sind ein
erotischer Appell, stehen für sinnliche Lust und werden offensiv
präsentiert.
Schamlos?
Die Frau sieht nicht aus, als hätte sie sich gerade privat ins Bett gelegt,
sondern gibt sich lasziv.
Eine Fetischisierung?
So kommt es bei mir an. Künstlerinnen malen Frauen in ähnlichen Situationen
häufig viel stiller. Schon bei [9][Paula Modersohn-Beckers „Selbstbildnis
am 6. Hochzeitstag“ (1906)], der erste gemalte Akt einer schwangeren Frau,
sind die Brüste ein gleichwertiges Detail unter vielen.
Der Expressionismus geht dann nochmal ganz anders um mit dem Blick auf den
Körper.
Ernst Ludwig Kirchner beginnt in „Liegender Akt mit Fächer“ (1909) eine
neue Art von Malerei. Das Künstlerische rückt ganz klar in den Vordergrund.
Hier denke ich nicht an Erotik, Sex, Fleisch, sondern an herrlich
komponierte Farbe. Provokant sind die Vereinfachungen, die weichen
Konturen, nicht die nackten Brüste. Selbst wenn die Brustwarzen leuchtend
rot dargestellt sind, geht es nicht um sie, sondern sie sind Teil einer
leuchtenden Farbpolyphonie. Wie auch auf der Rückseite des Gemäldes, wo die
[10][„Schlafende Milly“ (1909/11)] zu sehen ist: ein dunkleres Bild,
eckigere Konturierungen, kantig zugespitzt die Darstellung der Brust eines
Schwarzen Modells.
Da geht es nicht mehr um die Darstellung eines klassischen
Ideal-Körperteils und seiner Verführungskraft. Nacktheit könnte ein Zeichen
lebensfreudiger Freiheit von bürgerlichen Moralvorstellungen sein. Wann
wird die gezeigte Brust zum politischen Statement?
Mir fällt die Wiener Aktionskünstlerin Valie Export ein, sie hatte sich
Ende der 1960er-Jahre einen Karton um ihren nackten Oberkörper gebastelt,
ein Loch hineingeschnitten, einen Vorhang davor gehängt und in
Fußgängerzonen so [11][eine Art Tastkino] angeboten, das zum Kopfkino
werden konnte. Jedenfalls lud sie ein, dort hinein-, also ihre unsichtbare
Brust tatsächlich anzufassen. Das ist super provokativ gewesen, weil sie
die Objekthaftigkeit, die Opferrolle der Frau thematisiert.
Dass die Brust mal nicht prachtvolle Projektionsfläche, formschönes
Lockmittel, Symbol erotischer Potenz ist, sondern wie in der Realität auch
mal runzelig, schief, ausgezehrt oder als Last daherkommt: Das ist bis
heute kaum Thema in der Kunst. Zeitgenössisch wird vielmehr wieder ihre
Renaissance-Erscheinung gefeiert: harmonisch gerundet, knubbelklein. Aber
nicht mehr so reizvoll-glamourös in Szene gesetzt.
Schauen wir auf Wolfgang Tillmans Foto [12][„Corinne on Gloucester Place“
(1993)]: Da steht eine rauchende Frau, gelangweilt und stolz, mitten auf
einer Straße in London ohne Oberteil. Was völlig selbstverständlich wirkt,
die Brust ist natürlich schön, sie ist einfach da. Nichts Besonderes mehr.
Das ist schon eine Präsentation von selbstbewusster Emanzipation.
29 Dec 2023
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[6] https://www.smb.museum/ausstellungen/detail/jean-fouquet-das-diptychon-von-…
[7] https://artsandculture.google.com/asset/schlafende-frau-die-wachsame-treue/…
[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Lovis_Corinth_Liegender_Akt_1899.jpg
[9] https://www.museen-boettcherstrasse.de/ausstellungen/willkommen-zurueck/
[10] https://geheimnis-der-bilder.zdf.de/kunsthalle-bremen/ernst-ludwig-kirchne…
[11] https://www.valieexport.at/jart/prj3/valie_export_web/main.jart?rel=de&amp…
[12] https://walkerart.org/collections/artworks/corinne-on-gloucester-place
## AUTOREN
Jens Fischer
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