# taz.de -- Gruppenausstellung zur Mutterrolle: Die hochmoralisierte Brustwarze | |
> Was ist eine „Bad Mother“? Schonungslos arbeiten sich elf | |
> Künstler:innen im Haus am Lützowplatz an den Erwartungshaltungen an | |
> Mütter ab. | |
Bild: Installationsansicht „The Bad mother“ im Haus am Lützowplatz, | |
Man kennt [1][die Bildhauerin Louise Bourgeois] und ihre ambivalente | |
Auseinandersetzung mit der Figur der Mutter. Ihre berühmte „Maman“, jene | |
langbeinige Spinne, steht mal als nur große, mal als erschreckend | |
monumentale Plastik aus Stahl und Bronze weltweit in Häusern für | |
zeitgenössische Kunst. Die Mutter, sie ist für Bourgeois das eklige und | |
liebevolle Geschöpf zugleich. Es spinnt Netze, trägt Sorge, beschützt. | |
Bourgeois’ eigenwillige Metapher einer Spinne ist ähnlich zwiespältig wie | |
der Titel einer Ausstellung im Haus am Lützowplatz. „The Bad Mother“, „D… | |
schlechte Mutter“ heißt sie. Sie zeigt, unter welch moralischer Bedrängnis | |
die Figur der Mutter heute stehen kann. Auch die 2010 im hohen Alter | |
verstorbene Bourgeois ist darin vertreten. Ihr Beitrag ist unspektakulär | |
und doch schonungslos wie so viele der hier versammelten Arbeiten von elf | |
Künstler:innen, unter anderem von Malerin Katarina Jeneckova Walshe oder | |
von Videokünstler Daniel Hopp. | |
Von Louise Bourgeois zu sehen ist eine mittelgroße Bleistiftzeichnung einer | |
weiblichen Figur. Abgebildet mit breiten Hüften und großen Brüsten, | |
schlingt sich ein propperes Baby um ihren Rücken, setzt zum Säugen an, | |
während Milchtropfen wie naivlich geformte Kugeln von der Brust zum Boden | |
fallen. Und der Kopf dieser belagerten Mutter, er ist gespalten in drei | |
Silhouetten eines Gesichts. Wofür könnten diese Umrisse eines mütterlichen | |
Gesichts stehen? Für die Liebende, die sich ihre Kinder wünschte? Für die | |
Fürsorgende, die schon wegen ihrer biologischen Gegebenheiten gar keine | |
andere Wahl hat, als Sorge zu tragen? Und was ist mit der Person, die diese | |
Mutter auch außerhalb ihrer Mutterschaft ist? | |
Körperliche Selbstbestimmung | |
Jene Gespaltenheit von Bourgeois’ weiblicher Figur zwischen | |
Selbstbestimmung und Pflicht zieht sich durch diese Ausstellung – und sie | |
wird auch zur moralischen Frage. Sarah Ancelle Schönfeld zeigt etwa die | |
fotografische Nahaufnahme einer chirurgischen Operation. Man kann darauf | |
nicht ganz erkennen, ob da gerade ein Krebsgeschwür freigelegt oder eine | |
Brustwarze von der Haut abgetrennt wurde und kurz vor der Entfernung steht, | |
jenes unabdingliche kleine Organ, mit dem eine Mutter ihr Neugeborenes | |
nährt. An dieser vermeintlichen Brustwarze aber kann sich eine | |
gesellschaftlich hoch moralisierte Debatte auftun, nämlich ob das Recht | |
einer Frau auf körperliche Selbstbestimmung oder auf die eigene Gesundheit | |
vor dem Wohl des Kindes steht. Ob das Kindeswohl wirklich von der | |
Brustwarze abhängt? | |
In dem Stop-Motion-Video des Duos Nathalie Djurberg & Hans Berg wird die | |
Mutter nur noch zum biologischen Wirt. Sie, als Knetfigur mit Kugelbrüsten | |
und wulstigen Lippen vom Duo typisch überzeichnet, liegt nackt auf dem | |
Bett, während sich ihre drei Kinder peu à peu und offenbar unter | |
geburtsartigen Schmerzen durch ihre Vagina in das Körperinnere | |
zurückarbeiten. Irgendwann steht die schmerzzerrissene Mutterfigur auf, | |
nunmehr als krakenhafter Zombie, aus dessen Bauch und Beinen die | |
Extremitäten des eigenen Nachwuchses wuchern. | |
Das Video von Djuberg und Berg ist karikaturenhaft und witzig. Doch in der | |
Ausstellung kommen vor allem die feinen, psychologischen Zweifel hervor, | |
mit der Künstlerinnen über das Mutterdasein nachdenken. „Wofür brauchen wir | |
verträumte Müttter“, fragt [2][Niina Lehtonen] dann auf einer | |
Tuschezeichnung zum Porträt einer Dame. Die könnte mit ihrer geschwungenen | |
Haarlocke und ihren langen Wimpern auch in einem Hausfrauen-Magazin der | |
US-amerikanischen 1950er abgebildet sein, eine Zeit und Gesellschaft, in | |
der feste Rollenzuschreibungen besser nicht hinterfragt werden sollten. | |
Candice Breitz hingegen hat für ihre Videoinstallation kurze Sequenzen von | |
berühmten Auftritten von Müttern aus US-amerikanischen | |
Spielfilmproduktionen vor einem schwarzen Hintergrund isoliert. Nun sieht | |
man die gequälte Mimik von Meryl Streep etwa aus dem Scheidungsdrama | |
„Kramer gegen Kramer“ von 1979. Der zweifelnde Blick, die | |
zusammengepressten Lippen, immer wieder im Loop. Streep spielt darin eine | |
Frau, die Mann und Sohn verlassen hatte, weil sie sich in der Ehe | |
vernachlässigt fühlte. Obwohl sie im Film den Prozess um das Sorgerecht | |
gewinnt, lässt sie das Kind doch beim Vater, aus Selbstlosigkeit. Ist sie | |
etwa die schlechte Mutter? | |
30 Nov 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Louise-Bourgeois-im-Gropius-Bau/!5876677 | |
[2] /Ausstellung-Family-Affairs-in-Berlin/!5816069 | |
## AUTOREN | |
Sophie Jung | |
## TAGS | |
Kunst | |
Kunst Berlin | |
Ausstellung | |
Berlin Ausstellung | |
Mutter | |
Mütter | |
Kunstgeschichte | |
Kunst | |
Schwerpunkt Stadtland | |
Berlin Ausstellung | |
Bildende Kunst | |
taz Plan | |
Ausstellung | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kuratorin über Brüste in der Kunst: „Verhüllen und Zeigen“ | |
Auch weil die Sexualisierung der Frauenbrust so bald nicht enden wird: Zum | |
Jahresende ein thematisch fokussierter Rundgang durch die Kunstgeschichte. | |
Installation im Kranzler-Eck: Wenn das Auto-Ich spricht | |
Seit 2020 steht das Bilka-Kaufhaus leer. Jetzt vermittelt der Künstler | |
Lawrence Lek in den Räumen das Gefühl einer autogerechten Stadt der | |
Zukunft. | |
Männliche Brustprivilegien: Zeit für Nippel-Gleichberechtigung | |
Das Land Berlin räumt ein, dass der Rauswurf einer Frau aus einem | |
Wasserspielplatz wegen ihres fehlenden Oberteils diskriminierend war. Geht | |
doch! | |
Kunst, Klasse, Geschlecht: Fast wie bei Michelangelo | |
Selma Selman bearbeitet im Berliner Gropius Bau zerlegten Schrott. So | |
stellt die Künstlerin aus Bosnien-Herzegowina Fragen nach Klasse und | |
Geschlecht. | |
Kunst zu „Kochen Putzen Sorgen“: Bis zum surrealen Familiengesicht | |
Die Ausstellung „Kochen Putzen Sorgen“ im Quadrat Bottrop zeigt | |
feministische Kunst von den 1960ern bis heute. Die ist ziemlich satirisch. | |
Die Kunst der Woche: Kunst vs. Gender-Gap | |
Die neue Goldrausch-Ausstellung und eine Schau zu Care Work geben | |
experimentell-politische Antworten auf sexistische Schieflagen in der | |
Kunstwelt. | |
Ausstellung Kunstverein Braunschweig: Was Mütter manchmal so kritzeln | |
In der Show „Das, was nicht geerbt werden kann“ fragen Daniel Lie und | |
Juliana dos Santos, wie Kunst ins Leben kommen kann – und machen eine | |
Liebeserklärung. |