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# taz.de -- Valie Export in der C/O Berlin: Machtverhältnisse umgedreht
> Die Retrospektive zur Performancekünstlerin Valie Export im C/O Berlin
> zeigt einen unorthodoxen Feminismus. Ihre Aktionen sind unvergessen.
Bild: Ein Eindruck von Bewegung: VALIE EXPORT, „Zug II“, 1972
Gute Kunst altert nicht, sie lädt sich nur immer wieder neu auf. Dass dies
auch für verhältnismäßig junge Gattungen wie Performancekunst und
Medienkunst gelten kann, demonstriert derzeit sehr eindrücklich die
Retrospektive der mittlerweile 83jährigen Waltraud Lehner aka Valie Export
bei C/O Berlin.
„Glasplatte mit Schuss“ etwa ist 1972 entstanden, als der Vietnamkrieg noch
tobte und kurz bevor [1][der Jom-Kippur-Krieg] in Nahost ausbrach, und
zeigt exemplarisch den Zusammenhang von Medien, Krieg und der Rolle der
Frau auf. Export lässt sich mit einer Glasplatte fotografieren, die mit
einem großen Einschussloch versehen ist. Sie hält die Platte vor ihrem
Körper und positioniert das Loch mal vor einem Auge, mal vor einer Brust,
mal auch direkt vor ihren Genitalien. In einigen Aufnahmen spiegelt sich
zusätzlich noch der Fotograf.
Die Fotoserie spielt mit der Doppeldeutigkeit des Schießens von Fotos wie
von Patronen. Sie präsentiert die Frau als Objekt der Medienmaschinerie,
aber auch als Angriffsziel im Krieg, sei es durch fliegendes Militärgerät,
sei es durch die brutale Praxis der Vergewaltigung. Darüber hinaus verweist
„Glasplatte mit Schuss“ auf mediale Darstellungsweisen von Frauen als
Opfer.
In ihrer wohl bekanntesten Performanceserie, „Aus der Mappe der
Hundigkeit“, drehte sie die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern,
und auch die zwischen Rezipienten und Rezipierten, sehr drastisch um. Sie
führte 1968 [2][den Medienkünstler Peter Weibel] – später Gründungsdirekt…
des Medienkunsttempels ZKM in Karlsruhe – am Halsband durch die Straßen
Wiens. Weibel kroch auf allen vieren über das Pflaster.
Schockierte Passanten
Auf den Fotos, die die Aktion dokumentieren, sind Verblüffung, Amüsement
und auch Spuren von Schock in den Gesichtern der Passanten zu erkennen.
Herrin des Geschehens ist hier die Frau mit der Leine in der Hand.
In ihren Aktionen bezieht Export häufig auch die räumlichen Verhältnisse
explizit ein. In der Serie „Körperkonfigurationen“ (1972–82) schmiegt sie
ihren Körper an architektonische Elemente wie Treppen oder Häuserecken an.
Der biegsame menschliche Körper versucht hier, die eckigen Formen
aufzunehmen, addiert gewissermaßen Fleisch zum Stein. Export suchte sich
dafür insbesondere Bauten der Macht aus.
Bleiben bei diesen Arbeiten die Betrachter noch auf Distanz, ging sie mit
diesen bei „Tapp und Tastkino“ (1968) auf Tuchfühlung. Die junge Valie
Export schnallte sich einen Kasten vor den Oberkörper, der als „Kinosaal“
beworben wurde. Passanten wurden aufgefordert, ihre Hände für eine genau
festgelegte Zeitdauer in diesen „Saal“ als Wahrnehmungsorgane zu legen und
Exports Brüste zu berühren. Frau als Sexobjekt im Kino mal ganz anders.
Auch mit Phänomenen wie Geschwindigkeit und Flüchtigkeit setzte sich Export
intensiv auseinander. In „Zug II“ (1972) legt sie Fotografien eines
Güterzugs so übereinander, dass der Eindruck von Bewegung entsteht. In
„Studie über bewegte Bilder“ (1970-72) komponierte sie Aufnahmen aus dem
Fenster eines fahrenden Autos miteinander.
Widerstand und radikale Geste
Immer wieder waren es aber Reflexionen über die Rolle von Frauen in der
Gesellschaft, die Zuschreibungen an sie und die Darstellungsformen, die
Export zu Protest, Widerstand und radikaler Geste führten. In „Aktionshose:
Genitalpanik“ (1969) besuchte Export mit einer Hose, bei der im Schritt der
Stoff entfernt worden war, ein Filmfestival in München. Voyeurismus, der
sonst auf die Leinwand gerichtet ist, wurde hier auf die Sitzreihen
gelenkt. Später erweiterte sie die Idee noch zu einer Fotoserie. Auch dort
sitzt sie mit im Genitalbereich ausgeschnittener Hose, hat aber noch als
männlich konnotiertes Attribut eine Maschinenpistole an ihrer Seite.
Exports Arbeiten haben sich inzwischen durchgesetzt. Dass dies aber bei
weitem keine Selbstverständlichkeit war, betont Kurator Walter Moser
gegenüber der taz. „Das war für sie ein sehr harter Kampf, sich den Weg zu
ebnen, auch als Frau in einer von Männern dominierten Kunstszene. Von ihrer
Kunst konnte sie erst seit Anfang der Zweitausenderjahre leben, obwohl sie
schon 1965 begonnen hat zu arbeiten. Das ist ein sehr langer Weg.“
Moser hat die Retrospektive ursprünglich für das Wiener Albertina Museum
kuratiert. Jetzt schmückt sie Berlin – und hält noch eine feine Volte in
Sachen Post-Industrialismus parat. Ihren Künstlernamen legte sich die als
Waltraut Lehner in Linz Geborene nach einer einst schwerbeliebten
Zigarettenmarke in Österreich zu. Inzwischen ist eine ehemalige Tabakfabrik
in Linz in eine Plattform für Medien- und Perfomancekunst umgewandelt. Sie
trägt, na klar, den Namen Valie Export Center. Da schlägt die Kunst den
kapitalistischen Suchtbetrieb. Das war 1965 natürlich noch nicht zu ahnen.
8 Feb 2024
## LINKS
[1] /Vor-50-Jahren-begann-Jom-Kippur-Krieg/!5963008
[2] /Nachruf-auf-Peter-Weibel/!5919647
## AUTOREN
Tom Mustroph
## TAGS
Kunst
Fotografie
Performance
Performance-KünstlerIn
Ausstellung
Kunstgeschichte
Körper in der Kunst
Medienkunst
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