# taz.de -- Forscher über AfD-Kommunalpolitik: „Ein fataler Vorschlag“ | |
> Kooperationen mit der AfD scheut die CDU auf lokaler Ebene nicht mehr. | |
> Der Politikwissenschaftler Steven Hummel hat 20 solcher Fälle untersucht. | |
Bild: „Wenn es auf der kommunalen Ebene eine Zusammenarbeit gibt, wird sich d… | |
wochentaz: Herr Hummel, [1][CDU-Chef Friedrich Merz hat] gerade nach zwei | |
scharfen Kehrtwendungen behauptet, dass die Brandmauer zur AfD auch im | |
Kommunalen weiter stehe. Kann man überhaupt von einer Brandmauer sprechen? | |
Steven Hummel: Das Bild von der Brandmauer besagt, dass es nirgendwo und zu | |
keinem Thema eine Zusammenarbeit mit der AfD gibt, es ist ein sehr starkes | |
Bild. Ich bezweifle, dass es eine solche Brandmauer auf der kommunalen | |
Ebene gab oder gibt. | |
Sie haben die Zusammenarbeit mit der AfD in sächsischen Kommunen | |
untersucht. Ab wann sprechen Sie von Zusammenarbeit? | |
Wenn es auf Initiative der AfD einen Antrag oder einen Personalvorschlag | |
gibt und demokratische Parteien stimmen zu. Wenn demokratische Parteien | |
etwas initiieren und wissen, dass eine Mehrheit nur mit der AfD zu | |
erreichen ist. Wenn man sich bei der Vergabe von Posten, etwa wenn Leute in | |
Aufsichtsräte oder städtische Gremien entsendet werden, mit der AfD | |
verständigt. Das würde ich alles als Zusammenarbeit bezeichnen. | |
Was genau haben Sie untersucht? | |
Ich habe seit der Kommunalwahl 2019 bis Ende 2022 insgesamt 20 Fälle | |
recherchiert, seitdem sind weitere dazugekommen. Ein breites Spektrum ohne | |
regionalen Schwerpunkt, zwei bis drei Themen aber kamen häufiger vor: der | |
Bereich Flucht/Migration/Asyl, ein Herzensthema der AfD. Der Fall aus | |
Bautzen ist ja breiter durch die Medien gegangen. [[2][Der dortige Landrat | |
stimmte mit anderen CDUlern einem Antrag der AfD zur Kürzung von | |
Integrationsleistungen für Geflüchtete zu;] Anm. d. Red.] | |
Das zweite Themenfeld kann man als kritische Zivilgesellschaft beschreiben, | |
also Kunst, Kultur, soziokulturelle Zentren. Hier setzen sich CDU und AfD | |
zusammen dafür ein, Institutionen, die ihnen möglicherweise kritisch | |
gegenüberstehen oder die sie als zu links einordnen, zurechtzustutzen – | |
finanziell, aber auch auf anderen Ebenen. So haben CDU und AfD jüngst dafür | |
gestimmt, dem städtischen Theater in Zwickau das Gendern zu verbieten – und | |
den Antrag zuletzt sogar noch auf alle städtischen Eigenbetriebe erweitert. | |
Welche Fälle haben Sie näher recherchiert? | |
In Limbach-Oberfrohna zum Beispiel werden auf Initiative eines grünen | |
Stadtrats schon seit Längerem Stolpersteine verlegt. Die Stolpersteine | |
wurden aber immer einzeln im Stadtrat abgestimmt, und dabei kam es im | |
vergangenen Jahr zu einem Eklat. Es sollten insgesamt fünf Steine verlegt | |
werden. | |
Aber es gab zwei Personen, die in der Weimarer Republik in der KPD, also | |
Kommunisten, waren. CDU, AfD und Freie Wähler haben gegen die Verlegung von | |
diesen beiden Stolpersteinen gestimmt und sie verhindert. Ihre Begründung: | |
die beiden waren „der Demokratie nicht gut gesonnen“. Damit haben sie eine | |
Wertigkeit der Opfer aufgemacht, das läuft der Idee der Stolpersteine total | |
zuwider. Alle haben sich öffentlich positioniert – die CDU wusste also, wie | |
die AfD votieren wird. | |
In Chemnitz gab es nach Ihren Recherchen eine Zusammenarbeit bei der | |
Besetzung des Jugendhilfeausschusses. Was ist passiert? | |
Der Jugendhilfeausschuss soll in den Kommunen den Stadtrat bei fachlichen | |
Fragen unterstützen. Deshalb soll da Fachpersonal drin sitzen. In Chemnitz | |
wurde der Ausschuss, wie das immer passiert, nach der Kommunalwahl 2019 neu | |
besetzt. Es gab einen Vorschlag, der sich an der alten Besetzung orientiert | |
und auch die Freien Träger der Jugendhilfe angemessen berücksichtigt hat. | |
Nach der Frist gab es aber neue Vorschläge. Und diese neuen Vorschläge sind | |
dann mit einer Mehrheit von AfD, FDP, CDU und Pro Chemnitz, einer weiteren | |
rechten Wählervereinigung, durchgekommen. | |
Der Fraktionsvorsitzende von Pro Chemnitz im Stadtrat, Michael Kohlmann, | |
ist auch Vorsitzender der Freien Sachsen, die laut Verfassungsschutz | |
gesichert rechtsextrem sind. Es lässt sich zwar nicht sagen, ob die | |
Abstimmung abgesprochen war, aber es ist auf jeden Fall sehenden Auges | |
geschehen. | |
Wenn es auch sein könnte, dass die CDU nicht wusste, wie die anderen | |
stimmen – kann man dann von Zusammenarbeit sprechen? | |
Das ist eine Frage, die sich immer wieder stellt. Weil in der Regel auf der | |
kommunalen Ebene nur die Abstimmungsergebnisse dokumentiert werden, aber | |
nicht das einzelne Abstimmungsverhalten, ist man häufig auf die | |
Selbstzeugnisse der Parteien angewiesen. Man muss also auch mit | |
Plausibilität arbeiten. Und es ist absolut plausibel, dass die | |
gegenseitigen Positionen bekannt waren. | |
Interessant ist aber auch das Ergebnis dieser Abstimmung. Im Ausschuss wird | |
jetzt die Vielfalt der Jugendhilfe nicht mehr abgebildet, die fachliche | |
Beratung bekommt eine Schieflage. Das wird über kurz oder lang wohl dazu | |
führen, dass unliebsame Träger weniger Geld bekommen. | |
Dann gibt es unter anderem auch noch Döbeln. Was ist dort passiert? | |
Da geht es um einen soziokulturellen Verein, Treibhaus e. V., der unter | |
permanentem finanziellen Druck gehalten wird. Das hat mehrere Stufen, weil | |
sowohl Kommune als auch Landkreis an der Finanzierung des Vereins beteiligt | |
sind. | |
Im Stadtrat ist die finanzielle Förderung mehrmals zurückgestellt worden, | |
erst nicht, dann doch gezahlt worden, immer mit dem Blick: Ist das | |
Treibhaus nicht zu links, müsste man da nicht eigentlich eingreifen. | |
[3][Hier haben CDU und AfD ähnliche] Positionen vertreten. Die AfD fertigte | |
sogar ein Dossier an, in dem unter anderem Sticker und Plakate dokumentiert | |
wurden, die das Treibhaus verwendet hat und die der Partei nicht genehm | |
waren. | |
Und an welcher Stelle fand konkret die Zusammenarbeit mit der CDU statt? | |
Ein Plakat, das für „radikalen Humanismus“ warb, sorgte 2020 für eine | |
Zurückstellung der Gelder der Stadt. Dabei stimmten AfD und CDU gemeinsam | |
ab. Die Stadtratsdebatte wurde von der AfD zur Diskreditierung der Arbeit | |
des Treibhauses genutzt. So wunderte sich ein Abgeordneter, warum sich die | |
Geschichts-AG im Treibhaus mit dem Nationalsozialismus beschäftige, nicht | |
aber mit dem Dreißigjährigen Krieg. Dabei macht die Geschichts-AG vor Ort | |
wichtige Recherchearbeit: Was ist lokal während des NS passiert, welche | |
Opfer gab es, und was passierte in der „Heilanstalt“ in der Nähe. | |
Gibt es auch Fälle der Zusammenarbeit von anderen Parteien mit der AfD? | |
Ja, es gibt Fälle von eigentlich allen anderen Parteien, das ist aber eine | |
Minderheit. Die meisten Kooperationen, die ich in Sachsen gefunden habe, | |
sind [4][zwischen AfD und CDU]. | |
Wie erklären Sie sich das? | |
Vor allem daran, dass es bei manchen Themen zwischen den konservativen | |
Positionen einer Merz-CDU eine inhaltliche Nähe zu AfD-Positionen gibt. | |
Beim Thema Flucht/Migration zum Beispiel oder dem Kampf gegen „Wokeness“. | |
Die CDU ist in einem Dilemma. Sie versucht, ihr konservatives Profil zu | |
schärfen, um unterscheidbarer von den anderen demokratischen Parteien zu | |
sein, und vertritt dann immer wieder Positionen, die sich zwar noch im | |
demokratischen Spektrum bewegen, aber inhaltliche Überschneidungen zur AfD | |
haben. Lässt sich das auflösen? | |
Die CDU braucht in zentralen Fragen eine klare Positionsbestimmung, aber | |
danach sucht sie noch. Die Neubestimmung in der Nach-Merkel-Ära ist ja noch | |
nicht abgeschlossen. Sie muss sich zudem klar machen, dass die AfD eine | |
Partei der extremen Rechten ist, die sich immer weiter radikalisiert. Und | |
sich ganz klar distanzieren. | |
In der Debatte infolge der Merz-Äußerungen fordern CDU-Politiker wie der | |
sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer, dass man auf der | |
kommunalen Ebene pragmatisch vorgehen müsse. Das gängige Beispiel: Man | |
könne doch nicht gegen eine Kita oder einen Zebrastreifen stimmen, weil | |
die AfD dafür sei. Was meinen Sie dazu? | |
Natürlich ist es sinnvoll, wenn es genügend Kitaplätze und Zebrastreifen | |
gibt. Ich frage mich aber, warum die demokratischen Parteien dazu nicht | |
eigene Anträge stellen können. Wenn es sinnvolle Vorschläge sind, muss es | |
doch eine Mehrheit jenseits der AfD geben. | |
Sollte mit „pragmatischem Umgang“ gemeint sein, auch auf Mehrheiten mit der | |
AfD zu setzen, ist das ein fataler Vorschlag. Wenn Pragmatismus aber heißt, | |
nicht paralysiert auf die AfD zu starren, sondern eigene Vorschläge zu | |
entwickeln, kann ich mitgehen. Ich befürchte bloß, Michael Kretschmer hat | |
Ersteres gemeint. | |
Warum ist Abgrenzung auf der kommunalen Ebene so wichtig? | |
Nach den Äußerungen von Friedrich Merz scheint die kommunale Ebene weniger | |
relevant. Das ist aber falsch. Zum einen werden hier viele Dinge | |
entschieden, die das Leben der Menschen direkt betreffen. Und dabei geht es | |
nicht nur um Kitaplätze, Brücken oder Zebrastreifen, sondern auch darum, | |
wie Geflüchtete untergebracht, wie Wohnungen gebaut und welche Kultur | |
gefördert wird. | |
Wenn es auf der kommunalen Ebene eine Zusammenarbeit gibt, wird sich das | |
von unten nach oben fortsetzen. Denn damit geht eine Normalisierung einher. | |
Wenn das in den Kommunen klappt, wenn man sich kennt und ein | |
vertrauensvolles Verhältnis entsteht, dann ist es nur eine Frage der Zeit, | |
bis versucht wird, das auch auf der Landesebene durchzusetzen. | |
29 Jul 2023 | |
## LINKS | |
[1] /CDU-Brandmauer-zur-AfD/!5948981 | |
[2] /Gefluechtete-im-Landkreis-Bautzen/!5919311 | |
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## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
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