| # taz.de -- Özil, Merz und andere Missgeschicke: Schade, schade, schade! | |
| > Welchen Ton soll man anschlagen? Die Frage stellt sich nicht nur beim | |
| > Ex-Nationalspieler Özil, auch beim Umgang mit der AfD. | |
| Bild: Meine Güte, der Mann war ein Star! Fußballer Mesut Özil | |
| Als meine Hündin Frau Dr. Bohne vor bald einem Jahr zu mir zog, dachte ich: | |
| endlich ein Lebensbereich, der frei von Streit und Ideologie ist! Keine | |
| Diskussionen, keine Glaubenskriege, nur flauschige Harmonie! Nach diesem | |
| Jahr muss ich einsehen: Selten habe ich mich so geirrt. Auch dieses Feld | |
| ist durchzogen von ideologischen Gräben. Debatten werden fast noch | |
| erbitterter geführt als anderswo, jedes „Ich sehe das anders“ gilt als | |
| übelste Blasphemie. | |
| Trockenfutter oder Nassfutter? Soll man „barfen“, also den Hund als | |
| Wolfsnachfahren behandeln und mit rohem Fleisch verköstigen? Oder das | |
| Viecherl (und vorher das Menscherl) zur Veganerin erziehen? Bin ich ein | |
| schlechter Mensch, wenn ich das Hundefutter nicht selbst koche? Und dann: | |
| kastrieren oder nicht? Streng erziehen (Kommandos! Befehle!) oder eher | |
| milde (Handlungsempfehlungen, sanfte Hinweise „auf Augenhöhe“)? Eine | |
| Hundetrainerin sagte mir, man solle nie schimpfen, sondern lieber traurig, | |
| aber bestimmt „Schade!“ sagen, wenn mal etwas nicht gut laufe. | |
| Frau Dr. Bohne und ich wollen das beherzigen und öfter „Schade!“ sagen. | |
| Vielleicht hilft’s ja. Sehr schade finden wir zum Beispiel die Entwicklung | |
| des Fußballers Mesut Özil. Von dem ging diese Woche ein Foto durchs Netz, | |
| das ihn mit einem Tattoo zeigt: drei Halbmonde und ein heulender Wolf, das | |
| Symbol der türkischen rechtsextremistischen „Grauen Wölfe“. Meine Güte, … | |
| Mann war ein Star, deutscher Nationalspieler, Weltmeister! Wir teilen seine | |
| Wut über rassistische Anfeindungen. Seine Aussage, er sei Deutscher, wenn | |
| er gewinne, und Immigrant, wenn er verliere, können wir nachvollziehen. | |
| Aber deswegen unterstützt man doch keinen Autokraten, wird seinerseits | |
| Anhänger von Rechtsextremisten und knattert sich deren Symbol auf die | |
| Brust! Frau Dr. Bohne und ich sagen: Schade! | |
| Welchen Ton man anschlagen soll, ist derzeit ja auch wieder die Frage im | |
| Umgang mit der sogenannten Alternative für Deutschland. | |
| Die liegt in Umfragen bundesweit auf Platz zwei, hinter der Union und vor | |
| der SPD! In manchen Teilen Ostdeutschlands ist sie sogar Nummer eins! Wer | |
| hätte gedacht, dass wir in Deutschland so bald wieder die Demokratie | |
| verteidigen müssen gegen eine rechtsextremistische Partei? Schade! Niemand | |
| will mit denen kooperieren, natürlich. Die CDU will so etwas wie eine | |
| Brandmauer errichtet haben, na prima. Hoffentlich hält die. | |
| ## Beißhemmungen? Findet Merz nicht | |
| Prompt kommt Parteichef Friedrich Merz steil aus der Kurve und erzählt, | |
| dass man das im kommunalen Bereich anders handhaben müsse. Dass nach „Wegen | |
| gesucht werden“ müsse, „wie man gemeinsam die Stadt, das Land, den | |
| Landkreis gestaltet“. „Beißhemmungen!“, diagnostiziert Frau Dr. Bohne. | |
| „Schade, schade, schade!“ Offenbar finden das auch viele seiner | |
| Parteifreunde schade, jedenfalls gab es diese Woche eine Menge Gegenwind. | |
| Einen Tag später behauptete Merz das Gegenteil: Es werde auch auf | |
| kommunaler Ebene keine Zusammenarbeit geben. | |
| „Wer’s glaubt, wird selig!“, sagt Frau Dr. Bohne. Tatsächlich wird, gera… | |
| im Osten, schon in vielen Kommunen mit der AfD zusammengearbeitet. „Das ist | |
| nicht nur schade, das ist schlimm!“, schimpft Frau Dr. Bohne. | |
| Frau Dr. Bohne und ich finden: Manchmal nützt es nichts, nur „Schade!“ zu | |
| sagen: zur düsteren Aussicht für die ukrainischen Streitkräfte, die | |
| russischen Soldaten in blutigen Gefechten zurückdrängen zu müssen; zum | |
| „Justizreform“ genannten Demokratieabbau in Israel; zum eskalierenden | |
| Bürgerkrieg im Sudan und zum Putsch in Niger; zur Tatsache, dass schon | |
| diese Woche feststeht, dass der Juli 2023 der wohl heißeste je gemessene | |
| Monat ist; zum brennenden Autofrachter vor der niederländischen Küste, der | |
| samt 3.800 Autos unterzugehen droht. | |
| Wir beide finden: Reden beziehungsweise Bellen ist gut, aber manchmal ist | |
| Handeln geboten. Anreize schaffen mit Leckerlis. Und sanktionieren mit | |
| Leckerlientzug. Möglichst ideologiefrei. Wir wissen, wovon wir reden. | |
| 30 Jul 2023 | |
| ## AUTOREN | |
| Hasnain Kazim | |
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