| # taz.de -- Mangel an Lehrer*innen: Kein Bock auf Schule | |
| > An den Berliner Schulen werden nach den Sommerferien rund 1.500 | |
| > Lehrer*innen fehlen. Vor allem bestimmte Bezirke haben mit dem Mangel | |
| > zu kämpfen. | |
| Bild: SchülerInnen gibt's nach den Ferien wieder genug – aber LehrerInnen? | |
| Berlin taz | Heute ist der letzte Schultag – doch von unbeschwerter | |
| Sommerstimmung sind die Schulen weit entfernt. Für das kommende Schuljahr | |
| zeichnet sich bereits jetzt ab, dass rund 1.500 Lehrer*innen fehlen | |
| werden. Das sind im Schnitt knapp zwei volle Stellen pro Schule – damit | |
| fehlen noch mal weit mehr als im vergangenen Schuljahr, als der Mangel rund | |
| 1.000 volle Stellen betragen hatte. | |
| Entsprechend sorgenvoll blickt Karina Jehniche, Schulleiterin an der | |
| Christian-Morgenstern-Grundschule in Spandau, auf das kommende Jahr. | |
| Insgesamt 140 Lehrer*innenstunden pro Woche konnte sie für ihre Schule | |
| nicht besetzen. „Das sind knapp 6 Vollzeitstellen, die uns fehlen“, sagt | |
| Jehniche, die außerdem Vorsitzende der Interessenvertretung Berliner | |
| Schulleitungen ist. Ihre Schule ist damit ganz besonders vom Mangel | |
| betroffen. | |
| Die Christian-Morgenstern-Grundschule ist eine sogenannte Brennpunktschule. | |
| Laut Jehniche haben 90 Prozent der Schüler*innen eine | |
| Migrationsgeschichte, 80 Prozent der Familien erhalten Transferleistungen. | |
| Die Schule ist unter Typ 7 eingruppiert, was den höchsten Förderbedarf | |
| bedeutet. „Wir bekommen dadurch zusätzliche Stunden für Sprachförderung | |
| oder Sonderpädagogik“, sagt Jehniche. „Das ist auch notwendig, damit die | |
| Kinder gut lernen können, und es steht ihnen außerdem zu“, sagt sie. | |
| „Unsere Kinder sind nicht schlechter als andere, sie brauchen einfach etwas | |
| mehr individuelle Betreuung oder mehr Differenzierung im Unterricht.“ | |
| Doch einen Teil dieser Stunden wird die Schulleiterin nicht mit | |
| Lehrer*innen abdecken können. Sie habe die Möglichkeit, die Stellen auf | |
| andere Berufsfelder umzuwidmen, sagt sie. So wird sie statt Lehrer*innen | |
| fünf pädagogische Unterrichtshilfen, zwei Erzieher*innen und eine | |
| pädagogische Assistent*in an die Schule holen, die dann als | |
| Zweitbesetzung in den Klassen im Unterricht unterstützen oder den | |
| Lehrer*innen Tätigkeiten abnehmen. „Die finden sich auch“, sagt sie. | |
| Reguläre Lehrer*innen hätten sich für ihre Schule gar nicht beworben, | |
| sagt Jehniche. Und auch [1][Quer- und Seiteneinsteiger*innen wird sie | |
| wohl nicht bekommen] – obwohl sie zwei fast schon eingestellt hatte. „Die | |
| hatten beide alles ausgefüllt, wir hatten alles besprochen, die | |
| Quereinsteigerin war schon fest in den Klassen eingeplant“, sagt sie. Nur | |
| die Verträge waren noch nicht unterschrieben. Doch dann: Absagen. Beide | |
| hätten ihr mitgeteilt, dass sie nun doch an eine andere Schule gehen. Der | |
| Grund dafür liegt wohl in einer Entscheidung der Senatsbildungsverwaltung | |
| vom Mai. | |
| ## Zu wenig und ungleich verteilt | |
| Denn es ist nicht nur so, dass [2][an den Schulen Lehrer*innen fehlen]. | |
| Die unbesetzten Stellen sind auch noch ungleich verteilt. Astrid Busse | |
| (SPD), bis April Schulsenatorin, hatte festgelegt, dass Schulen ihren | |
| Bedarf an Lehrer*innen nur bis rund 96 Prozent ausschöpfen dürfen. Der | |
| Mangel sollte sich so etwas gerechter verteilen, und es sollte ausgleichen, | |
| dass Lehrer*innen sich kaum auf Schulen in Neukölln, Lichtenberg, | |
| Marzahn-Hellersdorf oder Spandau beworben haben. Doch die neue | |
| Schulsenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) hatte diese [3][Steuerung in | |
| ihrem allerersten Brief an die Schulen im Mai aufgehoben]. Damit waren auch | |
| Jehniches Bewerber*innen weg. „Sie haben mir mitgeteilt, dass sie nun | |
| doch an ihre Wunschschule gehen können“, sagt sie. Näher am Wohnort, | |
| weniger Brennpunkt. | |
| Die Bildungsgewerkschaft GEW hatte den Wegfall der Steuerung stark | |
| kritisiert: Die Schere zwischen sehr gut und sehr schlecht ausgestatteten | |
| Schulen gehe so weiter auseinander. „Dadurch wird die | |
| Bildungsbenachteiligung weiter verstärkt“, hieß es von der GEW. | |
| „Wir haben den Eindruck, der Senatsverwaltung ist der Ernst der Lage noch | |
| nicht bewusst“, sagt Hannes Bülow von der [4][Initiative „Schule muss | |
| anders“] bei einer Diskussionsrunde zu den bildungspolitischen Vorhaben des | |
| neuen Senats. Bei den bildungspolitischen Sofortmaßnahmen setze die | |
| Senatorin auf Entlastungen und Verbeamtung – das sei aber nur Kosmetik, es | |
| brauche tiefgreifende Veränderungen. „Die [5][Verbeamtung hat nicht den | |
| versprochenen Effekt], Lehrer*innen ziehen sie oft gar nicht erst in | |
| Erwägung, aus Befürchtung, dann an bestimmte Schulen abgeordnet oder zu | |
| Vollzeit verdonnert zu werden“, sagte er. | |
| Franziska Brychcy, Parteivorsitzende und bildungspolitische Sprecherin der | |
| Berliner Linken, fordert eine Diskussion um die „Stundentafel“, also die | |
| Frage, ob der Regelunterricht wirklich in komplettem Umfang stattfinden | |
| müsse. „Wenn wir immer nur bei Inklusion und Sprachförderung sparen, leiden | |
| wieder die Schwächsten“, sagt sie. Auch sie kritisiert den Wegfall der | |
| Steuerung als ungerecht. | |
| ## 3.000 Stellen jährlich zu besetzen | |
| Bereits jetzt ist absehbar, dass sich der Lehrer*innenmangel noch | |
| verschärfen wird. Beim Senat geht man davon aus, dass für die kommenden | |
| Jahre jeweils rund 3.000 Vollzeitstellen gebraucht werden, auch um | |
| diejenigen zu ersetzen, die den Beruf – oder Berlin – verlassen. Und das | |
| gilt beim jetzigen Stand. Für mehr Kinder oder andere pädagogische Vorgaben | |
| bräuchte es noch mehr. | |
| Auf lange Sicht helfe nur, mehr Menschen auszubilden und den Beruf | |
| attraktiver zu machen, meint Schulleiterin Jehniche. „Eine Maßnahme wäre | |
| auch, an Brennpunktschulen den Stundenumfang zu reduzieren“, sagt sie. Eine | |
| volle Stelle umfasste dann weniger als die jetzt gültigen 28 | |
| Unterrichtsstunden. „Bei uns arbeiten sowieso viele in Teilzeit, was ich | |
| gut verstehen kann“, sagt sie. „Weil die Unterrichtsvorbereitung | |
| anspruchsvoller ist und es schwierig ist, mit einer vollen Stelle Beruf und | |
| Familie gut zu schaffen.“ | |
| Auch Stipendien könne sie sich vorstellen, so Jehniche – nach dem Vorbild | |
| von Brandenburg, wo so versucht wird, Lehrer*innen Schulen in kleineren | |
| Ortschaften oder Dörfern schmackhaft zu machen. Schon jetzt gibt es | |
| [6][eine Zulage von 300 Euro für Lehrer*innen an Schulen] wie ihrer, | |
| aber die habe es nicht gebracht: „Allein am Geld liegt es nicht.“ | |
| 12 Jul 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Kommentar-LehrerInnenmangel/!5525896 | |
| [2] /Studie-zu-Lehrerinnenmangel/!5900697 | |
| [3] https://www.berlin.de/sen/bjf/service/presse/sl-brief-steuerung.pdf?ts=1684… | |
| [4] /Kritik-an-Berliner-Lehrkraeftebildung/!5827762 | |
| [5] /Lehrerinnenmangel-in-Berlin/!5883991 | |
| [6] /Brennpunktzulage-fuer-Erzieherinnen/!5862318 | |
| ## AUTOREN | |
| Uta Schleiermacher | |
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