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# taz.de -- Fachkräftemangel an Schulen: Hausaufgaben für die Sommerferien
> Verzweifelte Lehrkräfte, überforderte Kinder: Für das Bildungsministerium
> gibt es in der schulfreien Zeit viel zu tun. Ein Blick auf die
> To-do-Liste.
Bild: Tafel bitte nicht putzen: Die Bildungsminster:innen haben Hausaufgaben f�…
Berlin taz | Vor den Sommerferien haben die Bildungsminister:innen
ordentlich Hausaufgaben an den Bund verteilt. In einem vertraulichen
Gespräch musste Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) dabei
einige Wünsche ihrer Kolleg:innen aus den Ländern in ihr Heft notieren.
Welche das waren, erklärten die [1][verantwortlichen Minister:innen] am
vergangenen Freitag einige Stunden vor [2][ihrem Gipfeltreffen]. Folgende
Schulthemen stehen bei den Minister:innen aktuell ganz oben auf dem
Zettel.
## Digitalisierung
Aus Sicht der Länder muss der Bund dringend den versprochenen „Digitalpakt
2.0“ auf den Weg bringen. „Der brennt uns am meisten auf den Nägeln“, sa…
Hessens Bildungsminister Alexander Lorz (CDU), der in der
Kultusministerkonferenz (KMK) die unionsgeführten Länder koordiniert.
Sollte die Ampel ihre Zusagen aus dem Koalitionsvertrag nicht einhalten,
wäre das „eine Katastrophe“.
Ähnlich äußerte sich auch Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD), der die
SPD-regierten Länder vertritt. Er verwies auf der gemeinsamen
Pressekonferenz am Freitag auf die „technische Verfallszeit“ von Tablets
und anderen Geräten, die Schulträger in den vergangenen Jahren angeschafft
hätten. Lorz und Rabe zeigten sich beide alarmiert von „Gerüchten“, wonach
sich der Bund aus der Finanzierung des Digitalpakts zurückziehen könnte.
Sie appellierten an Stark-Watzinger, hier für Klarheit zu sorgen.
Der bereits laufende Digitalpakt endet 2024. Über ihn stellte der Bund im
Jahr 2019 5 Milliarden Euro für den Ausbau der digitalen Infrastruktur an
Schulen zur Verfügung. 500 Millionen steuerten die Länder bei. Während der
Pandemie packte der Bund noch mal insgesamt 1,5 Milliarden für digitale
Endgeräte und Systemadministration drauf. Laut KMK waren im März mehr als
80 Prozent aller Mittel gebunden. Wann und in welchem Umfang der Bund einen
Digitalpakt 2.0 ausstatten würde, ist bislang nicht bekannt. Aus dem
Bundesbildungsministerium (BMBF) heißt es, zum jetzigen Zeitpunkt könnten
noch keine Zusagen gemacht werden.
## Chancengleichheit
Der zweite Länderwunsch an den Bund betrifft das sogenannte
Startchancenprogramm, das Prestigeprojekt von Stark-Watzinger gegen die
anhaltend hohe Chancenungleichheit. Ab dem Schuljahr 2024/25 sollen
bundesweit 4.000 Brennpunktschulen gefördert werden. Viele Fragen sind auch
nach monatelangen Verhandlungen trotz erster Annäherungen zwischen Bund und
Ländern weiter ungeklärt. Unter anderem die Finanzierung, die rechtliche
Umsetzung und die genaue Mittelverteilung. Auch hier erwarten die Länder
Bewegung beim Bund. Sie benötigten „endlich verbindliche Aussagen, um jetzt
weiterzukommen“, sagte Lorz.
Vor allem fürchten die Länder, dass wegen des Startchancenprogramms am Ende
nicht mehr genügend Geld für den Digitalpakt übrig sein könnte. Auch wenn
das so niemand offen sagt: Die Länder werden ungern dem einen Programm
zustimmen, solange das andere nicht unter Dach und Fach ist. Auch
KMK-Präsidentin Katharina Günther-Wünsch (CDU) machte deutlich, dass diese
Fragen im Gespräch mit Stark-Watzinger angesprochen würden.
Am Montag jedoch teilten mehrere Bildungsministerien auf taz-Anfrage mit,
dass das Treffen „ernüchternd“ verlaufen sei. Heißt: Eine klare Zusage des
Bundes zur Finanzierung der beiden Programme hat es nicht gegeben – was
Stark-Watzinger allerdings auch nicht versprochen hatte. Eine Einigung beim
Startchancenprogramm muss aber „bis Spätsommer“ her, damit das Programm
wirklich noch im kommenden Jahr starten kann. Der Digitalpakt, so hört man
bei den Ländern, werde nun „auf Ebene der MPs verhandelt“ – also der
Ministerpräsident:innen. Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU)
kündigte bereits an, in der Frage „Druck“ aufbauen zu wollen.
## Lehrkräftemangel
Was bei dem Hin und Her mit dem Bund beinahe untergeht: Die KMK nimmt sich
über den Sommer auch selbst in die Pflicht – zum Beispiel beim
Lehrkräftemangel. Viele Länder sind gerade erst dabei, die Bedarfe für das
kommende Schuljahr zu ermitteln. Sicher ist aber, dass vielerorts auch im
Herbst wieder nicht alle Stellen besetzen werden können. Laut einer
repräsentativen Umfrage des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) blieben zu
Beginn dieses Schuljahres bundesweit 50.000 Stellen unbesetzt.
Die Lage ist für die Ministerien äußerst ungünstig. Aus demografischen
Gründen werden in den kommenden Jahren weniger Menschen Lehramt studieren,
gleichzeitig gehen besonders viele Lehrkräfte in Pension. KMK-Präsidentin
Günther-Wünsch betonte, dass die Ministerien jetzt ganz „grundsätzlich üb…
das Lehramt nachdenken“ müssten. Im Fokus steht für die Länder dabei unter
anderem auch das Duale Studium.
Bisher ist das Lehramtsausbildung geteilt in eine erste und zweite Phase,
Studium und Referendariat. Dadurch ist sie vergleichsweise lang, durch die
weitgehende Trennung von Theorie und Praxis sind die Abbrecherquoten im
Studium hoch. Laut einer Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und
Wissenschaftsforschung (DZHW), ist die Abbrecherquote im Lehramtsmaster
zuletzt von 9 auf 16 Prozent gestiegen. Von einem dualen Studium
versprechen sich die Länder einen höheren Output in kürzerer Zeit. Bisher
haben Schleswig-Holstein, Thüringen und Sachsen-Anhalt duale Studiengänge
auf den Weg gebracht. Andere Länder haben dies angekündigt, zuletzt
Baden-Württemberg. Die Länder haben bei der KMK-Sitzung vergangene Woche
aber noch mal bekräftigt, dass auch die Hochschulen in der Pflicht sind,
dass genügend Lehrkräfte nachkommen.
## Ausländische Fachkräfte
Wie viel Potenzial in der Anerkennung von Lehrkräften aus dem Ausland
liegt, zeigt eine Studie der GEW aus dem Jahr 2021. Demnach werden im
Schnitt nur 20 Prozent der Anträge voll anerkannt. Rund 900 Lehrkräfte im
Jahr gingen den Schulen so verloren. Bildungsforscher:innen empfehlen
deshalb schon länger, die Sprachanforderungen erst einmal zurückzustellen
und auch Lehrkräfte mit nur einem Schulfach anzunehmen. Das machen bislang
nur einige Bundesländer.
KMK-Präsidentin Günther-Wünsch bekräftigte nun das Ziel, mehr Fachkräfte
aus dem Ausland voll anerkennen zu wollen. Um das zu gewährleisten, hat die
KMK auch eine personelle Aufstockung der Zentralstelle für ausländisches
Bildungswesen (ZAB) beschlossen. Künftig sollen dort 400 statt bisher rund
330 Mitarbeiter:innen arbeiten. Die Zahl der jährlich bearbeiteten
Anerkennungsverfahren soll dadurch um 55.000 auf 255.000 steigen.
Die volle Anerkennung der sogenannten Ein-Fach-Lehrkräfte ist übrigens auch
für das Lehramtsstudium in Deutschland im Gespräch. Der Bildungsforscher
Klaus Klemm allerdings warnt vor ungewollten Nebeneffekten – etwa eine
möglicherweise niedrigere Besoldung wegen der kürzeren Studienzeit oder die
Frage, ob Ein-Fach-Lehrer für Erdkunde oder Religion auch die
Klassenleitung übernehmen könne.
## Lesekompetenz
Spätestens seit Veröffentlichung der [3][Iglu-Studie im Mai] stehen die
Basiskompetenzen an Grundschulen auf der To-do-Liste der Ministerien.
Mehrere Länder haben mittlerweile konkrete Pläne vorgelegt, wie sie die
Lesezeit an Grundschulen erhöhen wollen. Die Bildungsministerin von
Mecklenburg-Vorpommern, Simone Oldenburg (Linkspartei), etwa hat
angekündigt, im übernächsten Schuljahr eine verpflichtende Lesezeit von 20
Minuten in allen Grundschulklassen einzuführen – auch in Mathe und
Sachkunde. Es gibt also viel zu tun. Schöne Ferien!
28 Jun 2023
## LINKS
[1] /Kultusministerkonferenz-in-Berlin/!5931060
[2] /Krise-in-der-Bildung/!5918824
[3] /Studie-zu-Lesekompetenz/!5931959
## AUTOREN
Ralf Pauli
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