| # taz.de -- Schulanfang in Berlin: Neues Jahr, alte Probleme | |
| > Die Krise an den Schulen setzt sich fort: Lehrkräfte fehlen, die Kinder | |
| > fallen bei Vergleichstests durch, die Toilettensituation ist bedenklich. | |
| Bild: Die Bildungsdefizite sind mittlerweile auch an den Toiletten-Schmierereie… | |
| Neues Schuljahr, [1][alte Probleme]: Für über 350.000 Berliner Kinder und | |
| Jugendliche geht ab diesem Montag die Schule wieder los. „Wir werden jungen | |
| Menschen die bestmöglichen Zukunftschancen eröffnen“, hatten CDU und SPD im | |
| April in ihrem Koalitionsvertrag vollmundig versprochen. Nun ja. | |
| Tatsächlich ist davon im hauptstädtischen Schuluniversum noch nichts | |
| angekommen. Die Mangelwirtschaft geht in die nächste Runde. | |
| ## Nach wie vor fehlen Lehrerinnen und Lehrer | |
| Eine Zahl hat Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) bisher nicht | |
| rausgerückt. Aber es ist absehbar, dass [2][der Lehrer*innenmangel | |
| weiterhin gravierend bleiben] und vermutlich noch stärker ausfallen wird | |
| als im vergangenen Schuljahr. | |
| Erstens lernen so viele Schüler*innen wie noch nie an den 706 | |
| öffentlichen allgemeinbildenden Schulen: Die Zahl steigt zum neuen | |
| Schuljahr noch einmal um rund 6.500 Kinder und Jugendliche auf nun rund | |
| 353.300 Schüler*innen. Dazu kommen gut 41.800 Schüler*innen an Schulen | |
| freier Trägerschaft. | |
| Zum Zweiten hatte sich bereits vor den Sommerferien eine Kluft von 1.460 | |
| fehlenden Vollzeitstellen aufgetan. Im Vorjahr waren rund 1.000 | |
| Lehrer*innenstellen unbesetzt geblieben. Die Senatorin verweist | |
| darauf, dass sich mehr Personen beworben hätten als erwartet. Dagegen | |
| rechnet die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) vor, dass | |
| rund 2.500 Lehrer*innen fehlen, da viele aufgrund der hohen Belastungen | |
| nur für Teilzeitstellen zu haben sind. Genaue Zahlen will Günther-Wünsch | |
| Ende September bekannt geben. | |
| Wie lange der Zustand noch andauern wird? Günther-Wünsch sagt: „Oje, da | |
| müsste ich in die Glaskugel schauen.“ Besagte Glaskugel hatte schon ihre | |
| Amtsvorgängerin Astrid-Sabine Busse (SPD) beständig herbeizitiert, wenn sie | |
| nicht weiterwusste. | |
| Doch Lehrer*innenmangel hin oder her, der Unterricht wird trotzdem | |
| abgedeckt, heißt es von der Bildungsverwaltung. Die Schulen können auch | |
| Sozialarbeiter*innen, pädagogische Unterrichtshilfen, Logopäd*innen, | |
| Sozialarbeiter*innen, Erzieher*innen oder Ergotherapeut*innen | |
| einstellen, die mit ihrer Arbeit die Lehrer*innen entlasten sollen – | |
| etwa für Sprachförderung oder Integrationsstunden. | |
| ## Berliner Kinder unter Dummheitsverdacht | |
| Pünktlich zum Schulstart gab es dann auch noch diese schlechte Nachricht: | |
| Berliner Schüler*innen schneiden in bundesweiten Vergleichstests richtig | |
| schlecht ab. Nach den Ergebnissen der Vera- 3-Tests kann jede*r | |
| Drittklässler*in kaum lesen und rechnen. Unter den | |
| Achtklässler*innen zeigte sich bei den Vera-8-Tests, dass rund 60 | |
| Prozent leichteste Deutsch-Lese-Aufgaben nicht lösen konnten. In Mathematik | |
| kamen 77 Prozent beim Thema Messen und 65 Prozent beim Thema funktionaler | |
| Zusammenhang nicht auf Mindeststandards. „Diese Ergebnisse sind, in einem | |
| Wort: katastrophal“, sagt der Vorsitzendes Landeselternausschusses, Norman | |
| Heise. | |
| An den Schulen finden in der Regel jedes Jahr verpflichtende | |
| Vergleichsarbeiten in den Klassenstufen 3 und 8 statt. Es waren die ersten | |
| Vergleichstests nach der Corona-Pandemie mit teils langen Phasen ohne | |
| regulären Präsenzunterricht. | |
| Auch die Bildungssenatorin nennt die Ergebnisse „nicht hinnehmbar“. Sie hat | |
| angekündigt, dass die Ergebnisse der Vergleichstests in Zukunft für jede | |
| Schule gesondert ausgewertet werden sollen. Zudem sollen auch an | |
| Grundschulen Fachbereichsleiter für Deutsch und Mathe benannt werden, die | |
| dann auf Basis der Daten aus den Vergleichsarbeiten die „qualitative | |
| Unterrichtsentwicklung“ vorantreiben. Fachbereichsleiter gibt es bislang | |
| nur an weiterführenden Schulen. Landeselternsprecher Heise begrüßt den | |
| Plan. | |
| ## Voller Lernspaß in vollen Klassen | |
| Auch wenn genaue Zahlen zum aktuellen [3][stadtweiten Defizit an | |
| Schulplätzen] erst im Herbst vorliegen werden, ist bereits jetzt klar, dass | |
| vielerorts die öffentlichen Schulen weiterhin aus allen Nähten platzen | |
| werden. | |
| Zu Beginn des vergangenen Schuljahrs belief sich die Differenz zwischen den | |
| Kapazitäten und dem eigentlichen Bedarf auf rund 20.000 Plätze. Seither | |
| sind, wie Bildungssenatorin Günther-Wünsch nun stolz verlauten ließ, zwar | |
| rund 8.000 zusätzliche Plätze in neu errichteten Schulen und Modularen | |
| Ergänzungsbauten geschaffen worden. | |
| Dass die 2016 von Rot-Rot-Grün beschlossene Schulbauoffensive mittlerweile | |
| aus den Puschen gekommen zu sein scheint, ändert dennoch herzlich wenig an | |
| den beengten Verhältnissen. Denn auf der anderen Seite ist im Vergleich zum | |
| Vorjahr eben auch die Schüler*innenzahl erneut massiv angestiegen. | |
| Man muss kein Mathegenie sein, um zu erkennen, dass die Schaffung der | |
| zusätzlichen Plätze die Situation nur geringfügig entschärft, wenn | |
| überhaupt. Im Endeffekt wird man sich daher auch in diesem Schuljahr mit | |
| den berüchtigten „schulorganisatorischen“ Maßnahmen abgeben müssen: zu | |
| Klassenzimmern umfunktionierte Fach- und Horträume hier, überbelegte | |
| Schulklassen dort. | |
| Oder wie es Ex-Senatorin Busse einmal kindgerecht formuliert hat: „Ja, | |
| jedes Kind braucht einen Stuhl. Irgendwo muss es ja drauf sitzen. Und den | |
| pack ich dann natürlich mit in die Klasse.“ | |
| ## Geflüchtete bleiben draußen vor der Tür | |
| Oder auch nicht. Rund 1.100 geflüchtete Kinder und Jugendliche haben zum | |
| Schulstart jedenfalls trotz der gesetzlich verankerten Schulpflicht und dem | |
| Recht auf Schule ab dem ersten Tag nach der Ankunft keinen Schulplatz | |
| bekommen. Da half auch keine Schulbauoffensive. Die Plätze reichen | |
| schlichtweg nicht für alle. | |
| Die Folge für die jungen Geflüchteten, die auf langen Wartelisten stehen: | |
| andauernde Nichtbeschulung. Um diese Probleme zu umgehen, setzt die | |
| Bildungsverwaltung auf tagesstrukturierende und schulvorbereitende | |
| Maßnahmen. Hierzu gehören etwa die Schulersatzprogramme in der | |
| Flüchtlingsunterkunft Tegel, das Projekt „Fit für die Schule“ oder die | |
| „Karussell-Lernwerkstätten“ in Kreuzberg. Dass diese Angebote den | |
| klassischen Schulbesuch nicht ersetzen können, liegt auf der Hand. | |
| ## Eine Studie bestätigt: Die Klos sind dreckig | |
| Berliner Schulklos sind kaputt, dreckig und stinken. Zu diesem | |
| zugegebenermaßen wenig überraschenden Fazit kommt eine jetzt vorgestellte | |
| Studie der German Toilet Organization und des Instituts für Öffentliche | |
| Gesundheit und Hygiene der Uni Bonn. | |
| Insgesamt wurden hierfür die Sanitäranlagen von 17 Schulen untersucht und | |
| fast 950 Neuntklässler*innen befragt. Die Mehrheit der befragten | |
| Schüler*innen nimmt demnach die Schulklos als negativ wahr, nur 13 | |
| Prozent haben das Gefühl, dass sich um ihre Toiletten gekümmert wird. | |
| Neben dem Zustand, dem Schmutz und dem Geruch bemängelten Schüler*innen | |
| auch den Vandalismus auf den Schultoiletten. Die Ergebnisse der Studie | |
| zeigen, dass weniger Vandalismus maßgeblich vom Verhalten der | |
| Nutzer*innen abhängig ist. Eine offene Kommunikation und Einbeziehung | |
| der Schüler*innen in Entscheidungs- und Gestaltungsprozesse könne | |
| Vandalismus entgegenwirken, bestätigt Studienleiterin Svenja Ksoll. | |
| Knapp die Hälfte der befragten Schüler*innen gab an, den Gang zur | |
| Schultoilette aufgrund des desolaten Zustands der Anlagen und wegen | |
| fehlender Privatsphäre zu vermeiden. Auf die Frage, ob Schüler*innen in | |
| der Schule weniger essen oder trinken, um die Toiletten nicht nutzen zu | |
| müssen, antwortete über ein Viertel der Befragten, immer oder häufiger | |
| weniger zu sich zu nehmen. | |
| Der Senat will übrigens Ende des Jahres eine eigene Umfrage zur | |
| Zufriedenheit mit den sanitären Verhältnissen an den Schulen starten – | |
| große Erkenntnisgewinne sicherlich garantiert. | |
| ## Fromm zu sein bedarf es wenig | |
| Zu den schulpolitischen Prioritäten von Schwarz-Rot gehört dafür ein | |
| Projekt für die schwindende Gruppe der Berliner Gläubigen: die Einführung | |
| des Wahlpflichtfachs Weltanschauungen/Religion. In Berlin wird bislang ab | |
| Jahrgangsstufe 7 das Fach Ethik als Pflichtfach gebüffelt. Es ist die | |
| Gegenkomponente zum Religionsunterricht, der – im Gegensatz zu den meisten | |
| anderen Bundesländern – bislang ein freiwilliges Zusatzfach ist. | |
| Damit soll nach dem Willen von CDU und SPD nun Schluss sein. | |
| Schüler*innen sollen sich zwischen Ethik und Religion entscheiden | |
| müssen. Und ältere Generationen erinnern sich: 2009 hatte es einen | |
| entsprechenden Volksentscheid der Initiative „Pro Reli“ gegeben, mit dem | |
| ebendies durchgesetzt werden sollte. Die Wahlbeteiligung war kläglich, der | |
| Entscheid scheiterte krachend. Nun soll das Vorhaben von oben durchgesetzt | |
| werden. | |
| Wann genau es losgeht mit dem neuen Wahlpflichtfach Religion, ist indes | |
| ungeklärt. In diesem Schuljahr auf jeden Fall nicht, so viel steht fest. | |
| Und auch ein Start im Sommer 2024 ist aktuell wohl nicht geplant. Die | |
| Bildungsverwaltung teilt auf Anfrage mit, dass die Gespräche laufen. | |
| Wer sich neben CDU und SPD überhaupt für den Religionsunterricht | |
| interessiert? Eine Statistik der Senatsverwaltung zeigt, dass immer weniger | |
| Schüler*innen den freiwilligen katholischen oder evangelischen | |
| Religionsunterricht wählen. Das ebenfalls freiwillige Fach Humanistische | |
| Lebenskunde verzeichnete hingegen einen deutlichen Anstieg der | |
| Teilnehmer*innenzahl. Amen. | |
| 27 Aug 2023 | |
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