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# taz.de -- Künstler über Schwarze Geschichte: „Widerstand schafft neuen St…
> Veränderung braucht Räume, meint der Künstler Theaster Gates. Ein
> Gespräch über Soundarchive in Chicago und die Schwarze Madonna von
> Altötting.
Bild: Theaster Gates ist Künstler, Stadtplaner und Musiker. Er lehrt in Chicago
taz: Herr Gates, Ihre aktuelle Ausstellung im Luma in Arles trägt den Titel
„Min / Mon“, zwei Begriffe aus dem Japanischen, die für „Mensch“ und �…
stehen. Weshalb dieser Titel?
Theaster Gates: In den letzten Jahren habe ich begonnen, Japan als eine Art
zweite Heimat zu betrachten. Es ist ein Ort, an dem meine künstlerische
Vorstellungskraft ganz anders ist als in den Vereinigten Staaten oder
Europa. Der Raum, den ich für diese Ausstellung gestaltet habe, ist sehr
stark von der japanischen Philosophie beeinflusst, mit bewusst einfachen,
recycelten Materialien. „Mon“ steht für meinen Nachnamen „Gates“ (Tore…
geht also darum, dass Menschen in einen auch metaphysischen Raum eintreten,
und was dabei passiert.
Eine Rauminstallation mit dem Titel „Temple“ ist das zentrale Werk in Ihrer
Ausstellung. Sie zeigen darin einen Teil Ihres persönlichen Vinyl-Archivs,
ein DJ-Pult und eine Bar mit Sake aus Tokoname in Japan, wo Sie Töpferkunst
studiert haben. Was bedeutet dieser Ort für Sie?
Ich wollte eine Umgebung schaffen für ruhige, spirituelle Begegnungen, mit
großartiger Musik. Diese Erfahrung in einer sehr strengen, tempelähnlichen
Umgebung soll dazu ermutigen, eigene Rituale zu entwickeln und mit der
Musik zu meditieren.
Was beinhaltet Ihr aus Chicago mitgebrachtes Plattenarchiv?
Japanische Musik, eine Sammlung von hawaiianischen Volksliedern, einige
Reden, auch einige Opern. Die Sammlung ist jedoch hauptsächlich Black
Music. Ich würde sagen, zwei Drittel der Sammlung sind früher R&B, Folk,
Gospel und Jazz.
Sie verbinden in Ihrer Kunst auch japanische Traditionen mit
afroamerikanischer Geschichte. Dafür verwenden Sie den Begriff
„Afro-Mingei“. Was bedeutet „Afro-Mingei“ genau?
In gewisser Weise ist „Afro-Mingei“ ein Versuch zu sagen, dass trotz
äußerer Einflüsse unsere Sprache, unsere Art, sich zu kleiden, unsere
Frisuren, unsere Traditionen, wichtig sind. In Japan wie in Afroamerika
gibt es denselben Versuch, sich einer global vereinheitlichenden Leitkultur
zu widersetzen. Und dieser Widerstand schafft einen eigenen neuen Stil.
„Afro-Mingei“ ist also das, was passiert, wenn man eine Person, die mit der
Schwarzen Kultur in Amerika aufgewachsen ist, neuen Philosophien, neuen
Fähigkeiten aussetzt.
Sie arbeiten mit Dingen, die Geschichte verkörpern. Wie 2012 in ihrer
Installation „12 Ballads for Huguenot House“ für die documenta 13. Damals
haben Sie in einem verlassenen Hotel in Kassel mit originalen Materialien
eines Abrisshauses von der South Side in Chicago eine Restaurierung des
Kasseler Hotels angedeutet. Es fanden darin auch Konzerte mit Ihnen und
Ihrer Band Black Monks statt, vom Band lief Musik etwa von der Chicagoer
Flötistin Nicole Mitchell.
So bin ich aufgewachsen. Wenn wir eine neue Badewanne für die Wohnung
brauchten, ist mein Vater zum Wiederverkaufsmarkt gegangen, hat eine alte
Badewanne geholt und sie wiederverwendet. Wenn man also Dinge rettet, weil
man sehr wenig Geld hat. Diese Art des Überlebens war für mich etwas, das
sehr viel mit der afroamerikanischen Lebensrealität zu tun hat. Aber auch
die Entscheidung, diese Dinge zu verwenden, indem man das gerettete
Material perfektioniert und versucht, es zu seinem höchsten Selbst zu
machen. Das ist wiederum eine sehr japanische Haltung und auch Teil der
Keramikkunst.
Woher kommt eigentlich Ihr Interesse für japanische Keramik?
Ich habe Stadtplanung studiert und musste dafür einen Kunstkurs belegen. So
kam ich [1][zum Töpfern]. Am Anfang war ich richtig schlecht darin, aber
nach dem dritten Kurs war klar, dass ich nicht mehr aufhören wollte. Ich
studierte dann zusätzlich Religionswissenschaften, Keramik und Bildhauerei,
bevor ich für ein Jahr in Tokoname zum Studium der Töpferkunst angenommen
wurde. Seitdem bin ich regelmäßig dort.
Eine andere Ihrer Werkserien trägt den Titel „Black Madonna“, die zuerst
2018 im Kunstmuseum Basel zu sehen war. Sie basiert unter anderem auf dem
Kult um die spätmittelalterliche Figur einer „Schwarzen Madonna“ im
oberbayerischen Altötting. Ihre, der Altöttinger Madonna nachempfundene
Skulptur in Basel war schwarz, jetzt zeigen sie eine weiße Madonna. Warum?
Die Madonna in Basel wurde aus Teer hergestellt, aus der hohlen Form dieser
hier ausgestellten weißen Madonna. Diese, einem Schlüsselanhänger der
Altöttinger Madonnenfigur nachempfundene Madonna ist also das ursprüngliche
Positiv. Ich stelle damit die Frage, ob die Madonna eine vermeintliche
Rasse hat, ob sie darüber steht oder ob sie nicht bereits existiert hat,
bevor es unser Konstrukt einer Rasse überhaupt gab.
Indem Sie Archive sammeln, wie das Schallplattenarchiv von Frankie
Knuckles, dem „Godfather of House“, bewahren Sie Schwarze Geschichte und
schaffen öffentliche Erinnerungsräume. Hat das für Sie auch etwas mit dem
Gedanken einer Heilung zu tun, wie er derzeit in der Architektur und Kunst
so viel diskutiert wird?
Ja, unbedingt. Wir waren zu Hause neun Kinder. Wenn meine Mutter also
hinter uns allen hätte aufräumen müssen, wäre sie die ganze Zeit müde
gewesen. Die Regel war also, dass man einen Ort besser verlassen sollte,
als man ihn vorgefunden hat. Ich denke, dass meine Stadtprojekte in Chicago
viel damit zu tun haben. Ich versuche, die Räume besser zu machen, als ich
sie vorgefunden habe. Und dann denke ich, tief in meinem Inneren bin ich
der Archetyp des Arbeiters. Ich mag meine Arbeit mehr als alles andere.
Wenn ich also einen Raum schaffe, dann geht es dabei absolut um Heilung.
In Chicago haben Sie die Rebuild Foundation gegründet. Diese gemeinnützige
Organisation saniert im Viertel Greater Grand Crossing in Chicagos South
Side heruntergekommene Häuser und schafft erschwinglichen Wohnraum. Sie
haben die „Stony Island Arts Bank“ mit einer Bibliothek und Räumen für
Konzerte initiiert, auch das „Black Cinema House“ und die „Dorchester
Projects“, zwei von Ihnen erworbene Häuser, die ihre Archivsammlungen
zugänglich machen, darunter die 8.000 Schallplatten, die Sie bei der
Schließung von Dr. Wax Records erworben haben. Wie finanzieren Sie Ihre
Projekte?
Ich nutze das, was ich in der Kunstwelt verdiene, um in meiner Gemeinde
etwas zu tun. Aber ich würde sagen, dass ich 80 Prozent der Dinge, die ich
tue, mit der Hilfe anderer tue, der Stadt Chicago, dem Staat sowie von
Privatpersonen und Stiftungen in unserem Land. Ich denke, das funktioniert
deshalb, weil ich bereit bin, mein ganzes Geld auszugeben und die Energie
und die Ressourcen zu investieren, die nötig sind.
Welches Publikum trifft man eigentlich bei Ihren Community-Projekten in
Chicago?
Die Projekte befinden sich in der South Side, die zu 99 Prozent von
Schwarzen bewohnt wird. Zu unseren Konzerten, Partys und Dinners kommen ca.
400 Leute, die sich für die Musik interessieren, aber es kommen auch
pensionierte Lehrer, die sich für unsere Bibliotheken interessieren, oder
Akademiker, die sich für die Wissenschaft über [2][das Bild der Schwarzen]
informieren möchten. Es kommen auch ganze Familien mit Kindern, die bei uns
erfahren, wie viel großartige Musik, Bücher und Kunst es von Schwarzen
gibt, was in den gängigen Schulbüchern und Medien nicht gezeigt wird.
Der ebenfalls aus Chicago stammende Musiker und Professor George Lewis
spricht von einer, wie er meint, notwendigen Dekolonisierung der
europäischen Institutionen. Was ist Ihre Perspektive auf Europa?
Ich denke, es wird deutlich, dass die Institutionen mehr tun müssen, um
mehr Menschen einzubeziehen. Und auch wenn Schwarzsein gerade sexy sein
mag, sollten Museen Orte sein, an denen sich alle Menschen vertreten
fühlen. Mir ist bewusst, dass sich Schwarze Künstler*innen gerade gut
[3][auf dem Kunstmarkt verkaufen]. Davon profitiere ich ja auch, doch am
Ende ist es einfach nur Kapitalismus, im Grunde eine weitere Form
kolonialen Denkens.
18 Jul 2023
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## AUTOREN
Maxi Broecking
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