# taz.de -- Urteil zum Dieselskandal: Geld zurück für Schummelsoftware | |
> Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs: Wer einen Diesel-PKW mit | |
> Thermofenster kaufte, hat Anspruch auf Schadensersatz. Aber es gibt | |
> Tücken. | |
Bild: Bei niedrigen Temperaturen wurde die Abgasreinigung gedrosselt: winterlic… | |
KARLSRUHE taz | Bisher hat der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe nur | |
Diesel-Käufern mit dem VW-Motor EA 189 Schadensersatz zugebilligt. Bei | |
diesen Motoren hatte VW eine Betrugssoftware eingesetzt, die dafür sorgte, | |
dass die Abgasreinigung nur auf dem Prüfstand richtig funktionierte, im | |
normalen Straßenverkehr aber nicht. Darin sah der BGH im Mai 2020 eine | |
[1][„vorsätzliche sittenwidrige“ Schädigung der Kunden]. | |
Dagegen hat der BGH für den Einsatz sogenannter Thermofenster bisher | |
Schadensersatz verweigert. Als Thermofenster bezeichnet man eine Software, | |
die dafür sorgt, dass die Abgasreinigung bei tiefen und hohen Temperaturen | |
nicht (vollständig) funktioniert. Da die Thermofenster dem | |
Kraftfahrbundesamt auch schon vor Auffliegen des Dieselskandals im | |
September 2015 bekannt waren, liege hier keine Sittenwidrigkeit vor, so der | |
BGH noch im Januar 2021. | |
Im März 2023 eröffnete der [2][EuGH jedoch einen neuen Weg zu | |
Schadensersatz]. Er gewährt auch bei vorsätzlichem oder fahrlässigem | |
Verstoß gegen die EG-Fahrzeuggenehmigungs-Verordnung (FGV) Schadensersatz, | |
weil diese Verordnung auch dem Schutz der Bürger diene. Der BGH hatte das | |
anders gesehen. | |
Nun folgte der BGH jedoch dem EU-Gerichtshof. Möglich sei Schadensersatz | |
wegen Verletzung eines Schutzgesetzs gemäß Paragraf 823 Absatz 2 BGB | |
(Bürgerliches Gesetzbuch). Dabei soll es aber keinen „großen | |
Schadensersatz“ geben, sagte die BGH-Senatsvorsitzende Eva Menges. Das | |
heißt, der Käufer kann nicht verlangen, dass der Kaufvertrag | |
rückabgewickelt wird, indem er das Fahrzeug zurückgibt und dafür den | |
Kaufpreis zurückerhält. | |
## Bis zu 15 Prozent des Kaufpreises als Schadensersatz | |
Stattdessen sollen die Käufer die Fahrzeuge mit den illegalen | |
Thermofenstern behalten, haben aber im Prinzip Anspruch auf | |
Geldentschädigung für den Minderwert, da möglicherweise eine Stilllegung | |
der betroffenen PKW durch das Kraftfahrbundesamt droht. | |
Weil es hier um Millionen Fahrzeuge gehen könnte, soll allerdings nicht in | |
jedem Einzelfall ein Gutachten eingeholt werden. Die Richter können | |
vielmehr eine Summe zwischen 5 und 15 Prozent des Kaufpreises als | |
Schadensersatz festlegen. | |
Doch bevor die Hersteller bezahlen müssen, sind noch drei Hürden zu nehmen. | |
Erste Hürde: Es muss tatsächlich eine illegale Einrichtung zur Abschaltung | |
der Abgasreinigung vorliegen. Wie der EuGH in einem anderen Urteil im Juli | |
2022 entschied, dürften zwar die meisten [3][Thermofenster] illegal sein. | |
Es kann aber Ausnahmen geben, wenn das Thermofenster erforderlich ist, um | |
Unfälle durch plötzlichen Motorausfall zu verhindern und die Abgasreinigung | |
nur selten, also bei besonders hohen und besonders niedrigen Temperaturen, | |
abgeschaltet wird. | |
Laut Richterin Menges müssen die Dieselkäufer beweisen, dass in ihrem | |
Fahrzeug eine Abschalteinrichtung eingebaut ist. Und die Hersteller haben | |
die Beweislast dafür, dass das Thermofenster ausnahmsweise legal ist. Eine | |
VW-Sprecherin sagte nach dem Urteil, man sei felsenfest davon überzeugt, | |
dass der seit 2012 gängige VW-Motor EA 288 legal sei. Er ist in vielen | |
Modellen des Konzerns von VW Beetle bis Skoda Octavia zu finden. | |
Das [4][Verwaltungsgericht Schleswig] hat im Februar in einem noch nicht | |
rechtskräftigen Urteil festgestellt, dass die Abschalteinrichtung im | |
Vorgänger-Motor EA 189 illegal war. Die Deutsche Umwelthilfe hat die | |
Typengenehmigungen aller Diesel-PKW angegriffen. Es kann also lange dauern, | |
bis für alle Motoren Legalität oder Illegalität geklärt ist. | |
## Schadensersatzanspruch im ungünstigsten Fall Null | |
Zweite Hürde ist das Verschulden. Die Hersteller müssen beim Einbau der | |
Abschalteinrichtung mindestens fahrlässig gehandelt haben. Die Hersteller | |
berufen sich jedoch darauf, dass sie – selbst wenn ihr Thermofenster | |
illegal ist – davon nichts ahnen konnten, weil das Kraftfahrbundesamt in | |
Flensburg damit immer einverstanden war. Schon einige Oberlandesgerichte | |
(in Stuttgart, Hamm und Schleswig) folgten dieser Argumentation und nahmen | |
einen „unvermeidbaren Verbotsirrtum“ an. | |
Wenn der BGH dem folgt, gibt es keinen Schadensersatz. Richterin Menges | |
kündigte an, dass in der schriftlichen Urteilsbegründung genaue Vorgaben | |
zum Verbotsirrtum stehen sollen. Die Begründung soll deshalb schon im Lauf | |
der Woche veröffentlicht werden. | |
Dritte Hürde ist der Ersatz von Nutzungen. Die Dieselkäufer sollen am Ende | |
nicht besser gestellt sein, als sie es ohne Schaden wären. In speziellen | |
Konstellationen soll vom Schadensersatz deshalb noch eine gewisse Summe für | |
die Nutzung des Fahrzeugs abgezogen werden. Dies kann den | |
Schadensersatzanspruch im ungünstigsten Fall auf Null reduzieren. | |
Über die drei Musterfälle müssen jetzt wieder die Oberlandesgerichte | |
entscheiden. | |
(Az.: VIa ZR 33r/22 u.a.) | |
26 Jun 2023 | |
## LINKS | |
[1] /BGH-bestaetigt-Schadenersatzanspruch/!5688372 | |
[2] /Urteil-des-Europaeischen-Gerichtshofs/!5920175 | |
[3] /Neue-Vorwuerfe-im-Abgasskandal/!5940651 | |
[4] /Urteil-im-VW-Dieselskandal/!5914220 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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