# taz.de -- Urteil im VW-Dieselskandal: Gericht bremst Autohersteller aus | |
> Sieg für die Deutsche Umwelthilfe: Thermofenster sind unzulässig, urteilt | |
> das Verwaltungsgericht Schleswig. Diesel dürfen aber weiterfahren – | |
> vorerst. | |
Bild: Darf vorerst weiterdieseln: Auspuff von VW Golf IV | |
BERLIN taz | Für die [1][Deutsche Umwelthilfe (DUH)] ist das Urteil ein | |
Triumph. Das Verwaltungsgericht Schleswig hält bestimmte Software für | |
unzulässig, die die [2][Abgasreinigung bei Dieselautos] bei bestimmten | |
Außentemperaturen abschaltet. Das Kraftfahrtbundesamt hätte sie so nicht | |
genehmigen dürfen, entschieden die Richter:innen am Montagabend. | |
Autofahrer:innen könnte das verunsichern: Muss der Golf Diesel mit | |
Euro-5-Norm nun in der Garage bleiben? Und was ist mit Audi-, BMW-, | |
Mercedes-Fahrzeugen? | |
Dass Autos sofort stillgelegt werden, ist nicht zu erwarten. Üblicherweise | |
werden Mängel im Zuge eines Rückrufs oder bei einem Werkstattbesuch | |
behoben. Erst wenn das nicht möglich ist, würden Fahrzeuge möglicherweise | |
aus dem Verkehr gezogen, wie es die Umwelthilfe jetzt fordert. Dazu dürfte | |
es aber nicht kommen. | |
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Schleswig ist nicht rechtskräftig. | |
Berufung beim Oberverwaltungsgericht ist zugelassen, auch eine sogenannte | |
Sprungrevision bei der höchsten Instanz, dem Bundesverwaltungsgericht. | |
Letzterer Schritt ist üblich, wenn es um grundsätzliche strittige Fragen | |
geht. | |
In dem Verfahren ging es um einen Golf Plus TDI mit der 2,0-Liter-Version | |
des Motors EA189 und 103/110 kW. Das Fahrzeug gehörte zu denen, die im Zuge | |
des Dieselabgasskandals bei VW nachgerüstet werden mussten. Der Autobauer | |
hatte jahrelang eine Schummelsoftware in Dieselmotoren dieses Typs | |
eingebaut, die im Teststand saubere Abgaswerte lieferten, auf der Straße | |
aber ein Vielfaches der erlaubten Stickoxide in die Luft bliesen. Nachdem | |
der Skandal im September 2015 aufgeflogen war, musste VW die Software der | |
meisten Motoren aktualisieren und die Software beseitigen. | |
## Nicht nur VW nutzte Thermofenster | |
Die Umwelthilfe stellte jedoch fest, dass einige Fahrzeuge danach immer | |
noch mehr Stickoxide ausstießen, als erlaubt war. Grund waren sogenannte | |
Thermofenster, die die Abgasreinigung bei niedrigen Temperaturen praktisch | |
ausschalten. [3][Auch bei anderen Herstellern als VW fanden die | |
Umweltschützer:innen solche Thermofenster.] Autohersteller | |
argumentieren, sie seien für einen sicheren Betrieb nötig. | |
Weil das Kraftfahrtbundesamt die Thermofenster im Zuge der VW-Updates | |
genehmigt hatte, klagte die Umwelthilfe gegen die Behörde. VW war in diesem | |
Fall beigeladen. Beide können in die Berufung gehen. Das | |
Kraftfahrtbundesamt will nun die schriftliche Begründung des Urteils | |
abwarten, prüfen und über weitere Maßnahmen beraten. Der Autohersteller | |
formuliert, man werde die Urteilsgründe „sorgfältig prüfen und dann über | |
weitere Schritte entscheiden“. | |
Der Golf-Fall ist nicht der einzige: Insgesamt 119 ähnliche Klagen der | |
Umwelthilfe gegen das Kraftfahrtbundesamt sind anhängig. Dabei geht es um | |
Dieselfahrzeuge unterschiedlicher Hersteller, die mit dem VW-Dieselskandal | |
nichts zu tun haben, in Motorsoftware aber Thermofenster eingebaut haben. | |
Betroffen sind Dieselfahrzeuge der Abgasnormen Euro 5 und Euro 6a oder 6b. | |
Derzeit gilt Euro 6d, die ohne üppige Thermofenster auskommt. | |
Die Umwelthilfe sieht die jetzt gewonnene Klage als Musterentscheidung. Sie | |
forderte Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) umgehend auf, das ihm | |
unterstellte Kraftfahrtbundesamt anzuweisen, das Urteil zu akzeptieren und | |
betroffene Autos zurückzurufen. | |
## Mittelbar zehn Millionen Fahrzeuge betroffen | |
Insgesamt sehen die Umweltschützer direkt etwa fünf Millionen Pkw, | |
mittelbar sogar bis zu zehn Millionen Fahrzeuge betroffen. Von VW heißt es, | |
dass das Software-Update, in dem es im Verfahren ging, damals für eine | |
bestimmte Gruppe von ähnlichen Fahrzeugen genehmigt worden sei. „Betroffen | |
sind also circa 88.000 produzierte Fahrzeuge. Wie viele davon noch | |
tatsächlich im Verkehr sind, ist offen.“ | |
Aus Sicht von VW bietet das Urteil des Schleswiger Verwaltungsgerichts | |
keine Chancen, Schadenersatz vom Konzern zu fordern. „Ebenso bleiben | |
zivilrechtliche Klagen, die einen vermeintlichen Schadensersatzanspruch auf | |
das Vorhandensein eines Thermofensters stützen, wie bisher erfolglos“, | |
erklärt das Unternehmen. | |
21 Feb 2023 | |
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## AUTOREN | |
Björn Hartmann | |
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