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# taz.de -- Expertin über Muslimfeindlichkeit: „Nicht leicht, Muslim*in zu s…
> Über Muslim*innen wird oft im Kontext von Problemen berichtet. Das
> führt zu Diskriminierung, sagt Saba-Nur Cheema vom Expertenkreis
> Muslimfeindlichkeit.
Bild: Saba-Nur Cheema
taz: Frau Cheema, Sie sind Mitglied des Unabhängigen Expertenkreises
Muslimfeindlichkeit (UEM), der jetzt seinen Bericht vorgelegt hat. Was
steht drin?
Saba-Nur Cheema: Muslim*innen erfahren in Deutschland in nahezu allen
Lebensbereichen Benachteiligung und Diskriminierung. Wir sprechen hier
nicht nur von einzelnen Anfeindungen oder Beschimpfungen, sondern von
alltäglicher, struktureller Ausgrenzung und von [1][verbalen Angriffen bis
hin zur Gewalt.] Es ist nicht leicht, in Deutschland Muslim*in zu sein.
Wie äußert sich das konkret?
Nehmen wir als Beispiel den Bereich Bildung. Muslimische Schülerinnen und
Schüler sind häufig mit negativen Fremdzuschreibungen konfrontiert.
Muslimische Jungs werden etwa oft als gewaltbereit und aggressiv angesehen.
Ein sexistischer Kommentar von ihnen wird durch Lehrkräfte schnell
kulturalisiert, also durch ihre Kultur erklärt. Bei nicht-muslimischen
Jungs wird das in der Regel als individuelle Äußerung interpretiert, die
nicht auf Herkunft oder Religion zurückzuführen sei. Muslimischen Mädchen
wird dagegen oft zugeschrieben, unterdrückt, naiv und machtlos zu sein.
Woher kommen solche Zerrbilder?
Eine der Studien, die wir in Auftrag gegeben haben, hat über 700
Schulbücher untersucht. Muslime und der Islam kommen nur vor, wenn es um
die Kreuzzüge, Sexismus oder um Terrorismus geht. Muslimfeindlichkeit
hingegen wird in den wenigsten problematisiert. Das betrifft nicht nur das
Schulmaterial, sondern auch öffentliche Diskurse in Zeitungen und im
Fernsehen.
Die Medien sind schuld?
Sie spielen zumindest eine Rolle. Es geht um sogenanntes Framing: Wie
werden Muslim*innen dargestellt? In welchen Kontexten kommen sie zu
Wort? Unser Bericht zeigt, dass über Muslim*innen vor allem im
Zusammenhang mit Problemen berichtet wird, dann etwa, wenn es um mangelnde
Integration, Terror oder Frauenverachtung geht. Das betrifft nicht nur
konservative und rechte, sondern auch linksliberale Medien.
Wo und wann führt antimuslimischer Rassismus zu Gewalt?
Ereignisse [2][wie die Hetzjagd in Chemnitz] 2019, der Anschlag in
[3][Hanau 2020], aber auch häufige Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte und
Moscheen geschehen nicht im luftleeren Raum. Wenn eine Partei wie die AfD,
die offen gegen Muslim*innen hetzt, nunmehr von einem Fünftel der
Bevölkerung unterstützt wird, gibt es mehrere Gründe zur Sorge. Diese
antimuslimische Stimmung gibt [4][potenziellen Tätern Rückenwind], da sie
das Gefühl bekommen, von einem großen Teil der Gesellschaft unterstützt zu
werden.
Bisher haben wir über einzelne Aspekte von antimuslimischem Rassismus
gesprochen. Ihr Bericht versteht sich aber als eine Art Gesamtbilanz zum
Thema. Wie sind Sie vorgegangen?
Unser Bericht basiert auf empirischen Daten und fasst den
wissenschaftlichen Kenntnisstand zusammen. Wir haben uns sowohl auf
Untersuchungen gestützt, die es schon gab, als auch weitere Studien in
Auftrag gegeben. Gleichzeitig ist eines unserer Ergebnisse, dass wir mehr
Forschung benötigen, um das Ausmaß von Muslimfeindlichkeit besser zu
erfassen.
Wie unterscheidet sich antimuslimischer Rassismus von anderen Spielarten
des Menschenhasses?
Muslimfeindlichkeit ist als eine Spielart von Rassismus zu verstehen, die
auf ähnlichen Strukturen und Mustern basiert wie Hass gegen andere Gruppen,
etwa gegen Schwarze Menschen oder Sinti und Roma. Jedoch wird in dieser
spezifischen Form eine Religion rassifiziert und kulturalisiert: Menschen
werden aufgrund äußerer Merkmale als Muslime markiert, auch wenn sie nicht
religiös sind, und mit Attributen wie gefährlich, rückständig und
integrationsunwillig beschrieben.
In Ihrem Bericht gibt es ein eigenes Kapitel zum Verhältnis von
antimuslimischem Rassismus und Antisemitismus. Was hat es damit auf sich?
Darin beschäftigen wir uns mit der Debatte um Parallelen zwischen beiden
Phänomenen. Immer wieder wird die These geäußert, es erginge den
Muslim*innen heute so wie den Jüd*innen in Deutschland vor 1933.
Dieser Vergleich verkennt grundlegende Unterschiede. Die Ideologien
funktionieren anders. Antisemitismus ist vor allem der Hass auf „die da
oben“, Rassismus hat dagegen eher ein herablassendes Element, es geht um
eine vermeintliche Überlegenheit gegenüber „denen da unten“. Und die
Situation heute ist eine ganz andere als Anfang des 20. Jahrhunderts, als
es ja gesellschaftlich anerkannt und normal war, sich selbst als
antisemitisch zu bezeichnen.
Gleichzeitig nutzen etwa AfD-Politiker*innen gern den Vorwurf,
Muslim*innen seien besonders antisemitisch …
Natürlich gibt es auch Antisemitismus unter Muslim*innen. Dennoch ist
dieser Vorwurf der AfD nicht aus Sorge für Jüd*innen zu erklären, sondern
durch den Wunsch, Muslim*innen pauschal zu diffamieren und auszugrenzen.
Kurz gesagt: Die AfD instrumentalisiert Jüd*innen, um eine antimuslimische
Agenda zu legitimieren. Studien zeigen deutlich, dass gerade
AfD-Politiker*innen antisemitische Codes häufiger benutzen und unter ihrer
Wähler*innenschaft antijüdische Positionen überproportional verankert
sind.
Gibt es antimuslimischen Rassismus von links?
In vielen linken Kreisen gilt Religion als etwas, was die Gesellschaft
überwinden muss. Das ist eine legitime Weltanschauung, doch gibt es auch
jene Linke, die ihre religionskritische Haltung nur am Islam abarbeiten.
Der Islam wird dabei als besonders große Bedrohung dargestellt, als
rückständig und demokratiefeindlich. Diejenigen, die eine solche Haltung
vertreten, haben große Schnittmengen mit antimuslimischen Parolen von
rechts.
Es war ausgerechnet der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer, der
[5][2020 den Expert*innenkreis ins Leben rief], dem Sie angehören.
Seehofer ist nicht gerade für Sensibilität beim Thema Rassismus bekannt.
Hatte das Auswirkungen auf Ihre Arbeit?
Wir sind ein unabhängiges Gremium und haben entsprechend gearbeitet. Es gab
auch keine Versuche von der Seite der Politik, unsere Arbeit zu
beeinflussen.
Seehofer hat insbesondere Polizist*innen immer wieder vor dem Vorwurf
in Schutz genommen, dass sie rassistisch gegenüber Muslim*innen seien.
Welche Erkenntnisse zu Rassismus bei der Polizei stecken in Ihrem Bericht?
Antimuslimische Feindbilder sind in der Polizei weit verbreitet. So sind
beispielsweise fast 30 Prozent der befragten Polizist*innen in Hessen
besorgt, dass Deutschland ein islamisches Land werden könne. Als jemand,
die in Hessen lebt, frage ich mich schon, wie sich diese Haltung im
polizeilichen Alltag äußert – und auch intern. Erst vergangene Woche wurde
der Fall eines Polizisten in Frankfurt bekannt, der aufgrund seines
arabischen Vornamens [6][von seinen Kollegen rassistisch] gemobbt und
ausgegrenzt wurde.
Wie hat sich die Lage verändert, seit Seehofer und die Große Koalition
abgetreten sind?
Als positiv kann man bewerten, dass diese Regierung [7][mit Reem
Alabali-Radovan eine Antirassismusbeauftragte] hat. Dennoch bleibt zu
sehen, wie ernst das Anliegen des Berichts genommen wird. Dass die
Bundesinnenministerin Nancy Faeser doch keine Zeit in ihrem Kalender für
die Vorstellung des Berichts gefunden hat, wirft für mich Fragen auf.
Was müsste denn passieren, damit es besser wird?
Wir haben klare Handlungsempfehlungen an die Bundesregierung formuliert.
Zuerst braucht es mehr Bewusstsein in Politik und staatlichen Behörden
dafür, dass antimuslimischer Rassismus [8][ein reales Problem ist] –
beispielsweise mithilfe von Sensibilisierungsmaßnahmen für angehende
Beamt*innen. Zudem empfehlen wir die Gründung eines
Sachverständigenrates und einer*eines Bundesbeauftragten, um das Problem
nachhaltig zu bekämpfen.
Außerdem sollten Beschwerde- und Monitoring-Stellen ausgebaut werden. Der
Kultusministerkonferenz empfehlen wir, die Lehrpläne und Schulbücher zu
überarbeiten: stereotypische Darstellungen von Muslim*innen zu
korrigieren und Muslimfeindlichkeit als Problem zu adressieren. Wir
empfehlen, dass Muslimfeindlichkeit in den Kodex des Deutschen Presserats
aufgenommen wird. Und es ist wünschenswert, dass Muslim*innen öffentlich
sichtbarer werden und beispielsweise stärker in Schlüsselpositionen
vertreten sind.
Ist Letzteres nicht oft nur eine kosmetische Verbesserung?
Klar: Nur weil mehr muslimische Journalist*innen berichten, ändert sich
nicht automatisch etwas an muslimfeindlichen Diskursen in den Medien. Aber
es bringt Potenzial für Veränderungen mit sich. All unsere
Handlungsempfehlungen funktionieren im Zusammenspiel. Mehr
Monitoringstellen ändern ja auch nichts, wenn nicht gleichzeitig
Fortbildungen zur Sensibilisierung des Phänomens angeboten werden. Bessere
Schulbücher bleiben wirkungslos, wenn das Lehrpersonal nicht sensibler mit
dem Thema umgeht als bisher. Es braucht ein Gesamtkonzept.
29 Jun 2023
## LINKS
[1] /Antimuslimischer-Rassismus/!5942941
[2] /Ein-Jahr-Chemnitzer-Ausschreitungen/!5619087
[3] /Hanau-Betroffene-ueber-Vernetzung/!5923450
[4] /Debatte-um-Gewalt-in-Chemnitz/!5621376
[5] /Kampf-gegen-Muslimfeindlichkeit/!5711988
[6] /Rassismus-in-Deutschland/!5905180
[7] /Reem-Alabali-Radovan-ueber-Asylreform/!5941239
[8] /Lagebericht-Rassismus-in-Deutschland/!5905123
## AUTOREN
Frederik Eikmanns
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