# taz.de -- Bewegungstermine in Berlin: Arbeitskampf mit engem Korsett | |
> Angesichts Inflation und Klimakrise braucht es in Deutschland ein | |
> liberales Streikrecht. Das zeigt auch der jüngste Streik der | |
> Lehrer:innen. | |
Bild: Streikende Lehrer:innen bei einem Warnstreik im März | |
[1][Gründe zu streiken] gibt es derzeit viele. Steigende Mieten, hohe | |
Energiepreise und Inflation lassen das verfügbare Einkommen dahinschmelzen. | |
Dazu kommt, dass sich die Arbeitsbedingungen in etlichen Branchen als Folge | |
des jahrelangen neoliberalen Sparkurses immer weiter verschlechtern. | |
So klagen Lehrer:innen seit Jahren über Überlastung durch zu große | |
Klassen. Das macht den Beruf wenig attraktiv, immer weniger finden in den | |
Beruf. Der Fachkräftemangel erhöht wiederum die Belastung auf die | |
Verbleibenden, die wiederum selbst mit dem Gedanken spielen, den Beruf an | |
den Nagel zu hängen – ein Teufelskreis. | |
Die Kultusministerkonferenz plant indes, [2][den Fachkräftemangel] mit | |
Einschränkung der Teilzeit und noch größeren Klassen zu begegnen. Wenig | |
überraschend also, dass die Bildungsgewerkschaft GEW diese Woche wiedermal | |
zu einem dreitägigen Warnstreik aufruft. Die Kernforderung: Ein | |
Tarifvertrag, der die Klassengrößen beschränkt. | |
Am Dienstag startet die Arbeitsniederlegung, am Mittwoch gibt es eine | |
gemeinsame Demo zum roten Rathaus und Donnerstag ruft die Gewerkschaft zu | |
einer Streikversammlung im Freiluft-Amphitheater im Mauerpark auf (Demo: | |
Mittwoch, 7. Juni, 10 Uhr, Startpunkt Bernhard-Weiß-Straße / Ecke | |
Theanolte-Bähnisch-Straße; Versammlung: Donnerstag, 8. Juni, 10.30 Uhr, | |
Freiluft-Amphitheater im Mauerpark). | |
## Eingeschränktes Streikrecht | |
Ob die Lehrer:innen mit ihrem mittlerweile [3][14. Ausstand seit 2021] | |
Erfolg haben werden ist nicht sehr wahrscheinlich. Grund dafür ist nicht | |
nur der akute Fachkräftemangel, der die Umsetzung der Forderungen | |
erschwert, sondern auch das restriktive Streikrecht in Deutschland, dass | |
dem Arbeitskampf enge Grenzen setzt. | |
Arbeitskampf ist in Deutschland nur Gewerkschaften erlaubt und diese dürfen | |
Forderungen wiederum nur im Rahmen von Tarifverträgen durchsetzen. Damit | |
die kleineren Klassengrößen in Berlin durchgesetzt werden, fordert die GEW | |
deshalb den „Tarifvertrag Gesundheitsschutz“. | |
Ein eigener Tarifvertrag für Lehrer:innen in Berlin hätte wiederum zur | |
Folge, dass Berlin aus der Tarifgemeinschaft der Länder herausfällt, was | |
wiederum negative Folgen für die Lohnentwicklung hätte. Dabei könnte der | |
Senat auch per Beschluss die Klassengröße reduzieren – politische | |
Forderungen dürfen Gewerkschaften nicht stellen, da es sich ansonsten um | |
einen politischen Streik handeln würde. | |
Dazu kommt, dass Beamte grundsätzlich nicht streiken dürfen und damit alle | |
Lehrer:innen, die seit 2019 wieder in Berlin verbeamtet sind. | |
## Recht auf Streik | |
Auch in anderen Branchen ist das Streikrecht massiv eingeschränkt. So | |
beharren kirchlicher Träger wie der Caritas oder der Diakonie immer wieder | |
darauf, dass in ihren Betrieben nicht gestreikt werden darf. | |
Sogenannte [4][„wilde Streiks“], die von selbstorganisierten | |
Arbeiter:innen, wie den Lieferdienstfahrer:innen von Gorillas und | |
Flink häufiger durchgeführt wurden, sind ebenfalls verboten und ziehen | |
häufig sofortige Entlassungen mit sich. | |
[5][Die Kampagne „Recht auf Streik“] setzt sich daher seit Ende letzten | |
Jahres für eine umfassende Reform des deutschen Streikrechts ein. „Das | |
deutsche Streikrecht ist im internationalen Vergleich rückständig“ heißt es | |
auf der Website der Kampagne. Am Samstag stellen die | |
Organisator:innen ihre Kampagne [6][im Cafe Größenwahn in der Linie | |
206] vor und laden Interessierte ein, sich zu informieren und mitzumachen | |
(Samstag, 10. Juni, 15.45 Uhr, Linienstraße 206). | |
Besonders politische Streiks stellen einen unverzichtbaren Hebel für | |
gesellschaftlichen Wandel dar. Man stelle sich einmal vor – ein wenig | |
Träumerei sei an dieser Stelle erlaubt – wenn RWE Mitarbeiter:innen | |
dagegen streiken würden, dass in ihren Kraftwerken Kohle [7][aus | |
kolumbianischen Tagebauen verfeuert] wird. | |
## Bedrohte Aktivist:innen | |
Dort zerstören Bergbaukonzerne das Land indigener Gemeinschaften; | |
Widerstand gegen diesen Raubbau wird durch paramilitärische Milizen, die | |
von den Konzernen finanziert werden, brutal niedergeschlagen. | |
Am Montag trifft [8][eine Delegation der Yukpa], einer indigene | |
Gemeinschaft, die sich gegen den Kohlebergbau in ihrer Heimat wehrt, in | |
Berlin ein. [9][Die Aktivist:innen informieren über den Kampf gegen die | |
Kohlekonzerne] und bieten Möglichkeiten, sich zu vernetzen (Montag, 12. | |
Juni, 19 Uhr, Lausitzer Straße 10). | |
6 Jun 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Gewerkschaften-zum-1-Mai/!5928962 | |
[2] /Schwarz-roter-Senat-in-Berlin/!5933349 | |
[3] /Zwei-Tage-Schulstreik-in-Berlin/!5914484 | |
[4] /Protest-gegen-polnischen-Spediteur/!5925903 | |
[5] https://rechtaufstreik.noblogs.org/ueber-uns/ | |
[6] https://stressfaktor.squat.net/node/288390 | |
[7] /Umstrittene-Kohle-aus-Kolumbien/!5851664 | |
[8] /Aktivismus-in-Kolumbien/!5923314 | |
[9] https://twitter.com/EG_Berlin/status/1664936269833461763 | |
## AUTOREN | |
Jonas Wahmkow | |
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