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# taz.de -- Bewegungstermine in Berlin: Die Gewalt liegt im System
> Am 13. 12. gehen Menschen deutschlandweit gegen Polizeigewalt auf die
> Straße. Der Kampf gegen staatliche Gewalt bedeutet, Grundrechte zu
> verteidigen.
Bild: Die Proteste am 13. 12. spielen mit dem Kürzel ACAB, aber wofür steht d…
Laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind bis zum 6.
Dezember 2023 alleine seit 2014 schätzungsweise [1][28.256 Menschen] auf
der Flucht im Mittelmeer ertrunken. Das sind im Schnitt 2.826 Menschen pro
Jahr oder 8 Menschen pro Tag oder ein Mensch alle drei Stunden. Alle drei
Stunden hört irgendwo im Mittelmeer ein Mensch auf zu strampeln, lässt das
Wasser in die Lungen eindringen und reißt dann die Augen auf, wenn die
Erlösung von der panischen Angst und der Suche nach Luft endlich eintritt.
Für die Fische des Mittelmeers müssen die sinkenden Menschenkörper keine
Überraschung mehr sein. Vielleicht haben sie sich schon daran gewöhnt. Wir,
die auf dem Kontinent leben, der für so viele Menschen immer noch die
Hoffnung auf etwas Besseres bedeutet, haben das jedenfalls längst getan.
Die Schreie der Ertrinkenden sind zumindest in Mitteleuropa zum
[2][Grundrauschen im kapitalistischen Zentrum] geworden. Wir hören sie
nicht mehr, wie die Autos draußen auf der Straße oder die Flugzeuge im
Himmel. Fast könnte man meinen, das Sterben im Mittelmeer gehöre einfach
zum Leben dazu.
Doch das tut es nicht. Nichts daran ist natürlich oder normal. Es ist kein
Naturgesetz, dass die Menschen an den Grenzen krepieren. Sie sterben dort
wegen des politischen Willens, sie nicht auf den europäischen Kontinent zu
lassen. Sie sterben, wenn nicht als Bestrafung, dann als Abschreckung für
alle, die auch darüber nachdenken, in Europa ihr Grundrecht auf Asyl
wahrzunehmen, an dessen formaler Abschaffung im Zuge der Veränderung des
[3][Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS)] ohnehin gearbeitet wird.
## Frontex ist bei ACAB mitgemeint
Doch politischer Wille allein hält keine Menschen auf. Es darf nie
vergessen werden, dass es dafür Menschen benötigt, die willens sind, die
Drecksarbeit zu erledigen. An den Grenzen machen diese die Menschen von
Frontex, die etwa illegale Push- und Pullbacks durchführen und die zivile
Seenotrettung an ihrer Arbeit behindern. Erst am Montag hat unter anderem
der Spiegel [4][eine Recherche (Paywall)] veröffentlicht, die zeigt, wie
Europa dabei vermutlich auch etwa mit einer lybischen Foltermiliz mit
Verbindungen zur Wagner-Gruppe zusammenarbeitet.
Die [5][Feministische Antifaschistische Jugendorganisation Charlottenburg
(F_AJoC)] stellt deshalb die Gewalt von Frontex und des europäischen
Asylsystems in den Mittelpunkt ihrer Demonstration gegen Polizeigewalt am
Mittwoch (13. 12.). Deutschlandweit wird es an dem Tag mit dem
symbolträchtigen Datum (1312 steht für ACAB) Demos gegen Polizeigewalt
geben. Unter dem Motto [6][“Right to move – right to stay“] geht es um die
Überwindung staatlicher Gewaltstrukturen wie Frontex und das Konzept
nationalstaatlicher Grenzen. Startpunkt ist um 18 Uhr am Potsdamer Platz.
Anschließend geht es in der [7][Zwille] um das deutsche Polizeiproblem. Auf
einem Panel werden Menschen der Gruppen [8][Ihr Seid Keine Sicherheit] und
[9][Entnazifizierung Jetzt] diskutieren. Auch Musik wird es geben. Die
Einnahmen vom Abend gehen [10][an die Soliinitiative für den 19-jährigen
Jugendlichen Bilel], auf den die Polizei kürzlich 34 Schüsse abfeuerte und
ihn mit den Treffern querschnitzlähmte, nachdem er sich einer
Polizeikontrolle entzogen hatte. Auch die [11][Kampagne für Opfer
rassistischer Polizeigewalt (KOP Berlin)] wird mit den Einnahmen
unterstützt (Fasanenstraße 1a, 20 Uhr).
## Autoritarismus im Inneren
Als handle es sich um eine zynische Antwort auf die Proteste am Vorabend,
soll am Donnerstag (14. 12.) das neue Berliner Polizeigesetz verabschiedet
werden, das den erweiterten Einsatz von Bodycams, Tasern und
Videoüberwachung, die Ausweitung des Präventivgewahrsams und die
Festschreibung des sogenannten “finalen Rettungsschusses“ vorsieht. Gegen
den Ausbau des Überwachungs- und Polizeistaates hat das [12][Bündnis für
soziale Sicherheit] ab 8:30 Uhr vor dem Abgeordnetenhaus
(Niederkirchnerstraße 5) [13][eine Kundgebung] angemeldet.
Das Bündnis kritisiert, dass der Senat statt sozialen Lösungen nur mehr
Repression im Angebot hat. Von einer solchen Logik profitieren können
letztlich nur diejenigen, die schon immer das Prinzip der Grundrechte durch
das Credo Befehl und Gehorsam ersetzen wollten. Am Freitag (15. 12.)
beschäftigt sich [14][ein Vortrag] der Gruppen [15][Antifa in Praxis] und
[16][Perspektive Selbstverwaltung] mit dem Höhenflug der AfD – und was
Linke dem entgegensetzen können (Kiezladen MaHalle, Waldemarstraße 110, 19
Uhr).
Um wirkliche soziale Lösungen geht es dagegen auf der Demonstration gegen
Gentrifizierung am Samstag (16. 12.). Unter dem Motto [17][“Überall Büros,
nirgendswo sozialer Raum“] ruft die Initiative Laskerkiez United gegen die
Strategie von Investor:innen auf die Straße, alteingessene
Bewohner:innen im Kiez durch Büroräume zu verdrängen. Los geht es um 18
Uhr in der Persiusstraße 11. Anschließend findet in der [18][Neuen Zukunft
am Ostkreuz] (Alt Stralau 68) ein gemeinsames Winterfest statt.
## Für das Recht auf politischen Streik
Doch warum stehen Linke der zunehmenden Autoritarisierung der Gesellschaft
so machtlos gegenüber? Ein Grund könnte sein, dass der Bewegung schon in
den 1950er Jahren ein entscheidenes politisches Kampfmittel genommen wurde:
Das Recht auf politischen Streik und Generalstreik. In Frankreich und
Italien wäre es unvorstellbar, doch in Deutschland hat sich die Vorstellung
durchgesetzt, dass das demokratische Mitspracherecht mit dem Wahltag
beginnt und endet – eine autoritäre Demokratiedefinition, die von den
meisten Gewerkschaften auch noch mitgetragen wird.
Doch langsam regt sich Widerstand gegen dieses restriktive Streikrecht, bei
dessen Etablierung übrigens der alte Nazi [19][Hans Carl Nipperdey] eine
große Rolle spielte, der es in der BRD bis zum Präsidenten des
Bundesarbeitsgerichts brachte. In der [20][Kampagne für ein umfassendes
Streikrecht] arbeiten Kolleg:innen aus der Bildungsgewerkschaft GEW und
dem Solikreis für Beschäftigte bei Gorillas. Die GEW hat sich 2013 zum
politischen Streik und Generalstreik bekannt.
Am Donnerstag (14. 12.) veranstaltet die Kampagne im GEW-Haus (Ahornstraße
5, 18 Uhr) eine [21][Diskussionsveranstaltung mit Theresa Tschenker], die
ihre Dissertation zum Thema geschrieben hat. Unter anderem stellt sie darin
die Frage, wie etwa Pfleger:innen sich gegen ihre Arbeitsbedingungen
wenden sollen, wenn diese doch eindeutig von politischen Entscheidungen wie
der Finanzierung des Gesundheitswesens abhängen. Auch, wie eine
Neukonzeption des Streikrechts aussehen könnte, wird am Donnerstag Thema
sein.
12 Dec 2023
## LINKS
[1] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/892249/umfrage/im-mittelmeer…
[2] /Flucht-ueber-das-Mittelmeer-im-Jahr-2023
[3] /EU-Asylsystem-GEAS/!5978837
[4] https://www.spiegel.de/ausland/migrationspolitik-im-mittelmeer-wie-eine-bru…
[5] https://fantifacharlottenburg.blackblogs.org/
[6] https://fantifacharlottenburg.blackblogs.org/veranstaltungen/
[7] http://eb104.extern.tu-berlin.de/zwille.html?year=2021&month=5
[8] https://www.ihrseidkeinesicherheit.org/
[9] https://entnazifizierungjetzt.de/
[10] https://www.gofundme.com/f/querschnittlahmung-durch-polizeischusse
[11] https://kop-berlin.de/
[12] https://buendnis-soziale-sicherheit.de/
[13] https://asanb.noblogs.org/?event=gegen-das-neue-polizeigesetz-in-berlin
[14] https://stressfaktor.squat.net/node/302372
[15] https://www.instagram.com/antifainpraxis/
[16] https://twitter.com/perspektive_sv/
[17] https://laskerkiez.noblogs.org/post/2023/11/29/demonstration-ueberall-buer…
[18] https://www.zukunft-ostkreuz.de/
[19] /50-Jahre-Ford-Streik/!5952740
[20] https://rechtaufstreik.noblogs.org/ueber-uns/
[21] https://rechtaufstreik.noblogs.org/2023/10/aufruf-veranstaltung-recht-auf-…
## AUTOREN
Timm Kühn
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