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# taz.de -- Polizeiforscherin über Gewalt im Einsatz: „Gewalttätig sind imm…
> Die Kulturanthropologin Stephanie Schmidt hat Polizist*innen bei
> ihrer Arbeit begleitet. Ein Gespräch über Gewalt und gebügelte Uniformen.
Bild: Wir und die: Blick aus dem Einsatzwagen während einer Nachtschicht auf d…
wochentaz: Frau Schmidt, was für Musik hören [1][Polizist*innen] im
Auto auf dem Weg zum Einsatz?
Stephanie Schmidt: Meistens Radio, einen regionalen Musiksender. Es kam
aber auch mal vor, dass K.I.Z gehört wurde. Das war aber nicht auf dem Weg
zum Einsatz. Da wird das Radio meistens leiser oder ausgeschaltet, damit
die Polizist*innen sich konzentrieren können.
Sie haben mehrere Monate als Forscherin bei der Polizei in Frankfurt am
Main, Berlin und einem anderen Bundesland hospitiert. Wie wurden Sie
aufgenommen?
Die meisten Polizist*innen sind mir relativ offen begegnet. Auch wenn
es immer eine gewisse Skepsis gibt. Man weiß aber aus der ethnografischen
Forschung, dass junge weibliche Forscherinnen von Polizist*innen
gelegentlich besser toleriert werden.
Gehen Polizist*innen anders mit Emotionen um als andere Menschen in
ihrem Job?
Das kann man so nicht sagen. Aber es gibt natürlich Spezifika.
Polizist*innen sind berechtigt und verpflichtet, Gewalt auszuüben. Es
ist Teil ihrer Arbeit. Damit einher geht ein gesellschaftlicher Anspruch,
dass sie Gewalt professionell, also neutral, objektiv und maßvoll ausüben
müssen.
Wie schlägt man jemandem neutral ins Gesicht?
Das war auch die Ausgangsfrage meiner Forschung: Was heißt es, neutral und
objektiv Gewalt auszuüben? Und in welchem Verhältnis steht diese
Gewalt-Arbeit zum Affekt? Aus Sicht der Polizei ist es wichtig, dass die
Gewaltausübung als polizeiliche Maßnahme erkannt wird und nicht als „Der
Polizist ist wütend und schlägt zu“. Ob das immer klappt, steht absolut
infrage. Die Polizei versucht, durch Körpertechniken und Sprache,
Neutralität in ihren Handlungen herzustellen.
Indem sie den Faustschlag [2][„polizeiliche Maßnahme“] nennt?
Der Begriff „Gewalt“ spielt in polizeilichen Selbstbildern kaum eine Rolle.
Die Polizei präsentiert sich selbst über Begriffe wie „Ordnung“ oder
„Sicherheit“. Gewalttätig sind immer die anderen, während polizeiliche
Gewalt als „Maßnahme“ oder „Zwang“ bezeichnet wird. Das Gleiche gilt f…
Emotionen. In ihren Einsatzberichten beschreiben die Beamt*innen
ausschließlich ihr Gegenüber in seiner Emotionalität. Zum Beispiel: „Die
Person wurde aggressiv und daraufhin wurden Maßnahmen getroffen.“ Die
Emotionalität der Polizist*innen wird invisibilisiert.
[3][Ist das nicht normales Beamtendeutsch]?
Zum Teil. Die Polizei ist ja eine bürokratische Organisation. In
Polizeiberichten werden oft Passivformulierungen verwendet und
Polizist*innen als Handelnde nur angedeutet. Also nicht: „Der Polizist
X hat Y in die Beine getreten“, sondern „Y wurde zu Boden gebracht.“ So
stellt man dar: Hier handelt der Staat, nicht Einzelpersonen. Auch die
Uniform spielt dafür eine zentrale Rolle.
Inwiefern?
Sie ist extrem wichtig für das Herstellen der „neutralen Unpersönlichkeit�…
Die Beamt*innen, die ich begleitet habe, waren viel damit beschäftigt, ob
alles richtig geknöpft und gebügelt ist. Teilweise haben sie auch geprüft,
ob ich meine Kleidung ordentlich trage. Die korrekt sitzende Uniform dient
dem Selbstverständnis, der starke und objektive Staat zu sein. Und: Wenn
mich jemand beleidigt, meint er nicht mich persönlich, denn ich trage ja
die Uniform.
Warum reagieren Polizist*innen dann oft so empfindlich auf
Beleidigungen?
In meinen Forschungsinterviews haben sich viele Polizist*innen beim
Thema „Respekt und Autorität in der Gesellschaft“ sehr sensibel gezeigt.
Sie sehen sich verantwortlich dafür, dass die gesellschaftliche Ordnung
aufrecht erhalten wird. Sie sind diejenigen, die dafür sorgen, dass der
Alltag von Menschen so weitergehen kann, wie er ist. Wenn das infrage
gestellt wird, zeigen sie sich teils sehr sensibel.
Weil es ihre Identität hinterfragt.
Weil es die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit und ihrer Identität als
Polizist*in negiert oder abwertet. Wenn zum Beispiel „ACAB“, also die
Abkürzung für „All Cops are Bastards“, auf einem Pullover oder als Parole
an der Wand stand, haben sie das oft kommentiert und auch angezeigt, obwohl
sie sich nicht unbedingt persönlich davon angegriffen fühlten.
Ist Polizist*in ein Beruf, in dem Persönlichkeit nichts zu suchen hat?
Die Privatheit von Polizist*innen darf keine Rolle spielen. Sie sind ja
der personifizierte Staat. Sie unterliegen dem Legalitätsprinzip, das
heißt, sie haben eine Verfolgungspflicht bei Straftaten – egal ob sie im
Dienst sind oder nicht. Das bedeutet zugespitzt, dass Polizist*innen
eigentlich nie mehr rein private Subjekte sind.
Aber persönliche Empfindungen und Emotionen sind ja trotzdem da. Was
passiert mit denen?
Informell, auf den Dienststellen, sprechen Polizist*innen sehr viel
über Situationen, die belastend oder besonders anstrengend waren. Solche
Erzählungen und Deutungen von Geschehnissen, auch von politischen, sind ein
fundamentaler Bestandteil polizeilichen Alltags.
Was erzählt man sich da genau?
Das zentrale Narrativ ist: Es kann immer alles passieren, auch wenn
meistens nichts passiert. Der Arbeitsalltag ist oft langweilig, selbst in
Revieren, die als Kriminalitätsschwerpunkte gelten. Da werden viele
Verkehrsunfälle aufgenommen oder Falschparkertickets verteilt. Und
trotzdem müssen sie immer darauf gefasst sein, dass sich das plötzlich
ändert.
Wie gehen sie mit einer so spannungsgeladenen Langeweile um?
Sich darauf einzustellen, dass es jederzeit zur Eskalation kommen kann und
man dann vorbereitet sein muss, gibt Struktur. Woher soll man wissen, wann
etwas Unvorhergesehenes passiert? Dazu orientieren sich Polizist*innen
an stereotypisierten Figuren, denen sie mehr oder weniger Affektkontrolle
und damit ein unterschiedliches Eskalationspotenzial zuschreiben. Zum
Beispiel „der Randalierer“, „die linken Chaoten“, „die Araber“. Das…
natürlich dazu, dass sie mit unterschiedlichen Personen unterschiedlich
umgehen.
Und langweiliges Umherstreifen im Auto bekommt einen Sinn?
Genau. Auch Amoktaten oder Terroranschläge tauchen häufig in den
Erzählungen auf. Das verfestigt die Idee, dass Polizeiarbeit dem Erhalt von
Sicherheit und Ordnung dient. Aber davon abgesehen sind sie auch viel am
Handy und trinken Energydrinks.
Wann setzen Polizist*innen Aggressivität strategisch ein?
Ein Beispiel sind „Sprinträumungen“. Die dienen nicht dazu, Festnahmen zu
machen, sondern eine Gruppe zu zerstreuen. Die Polizist*innen laufen
schnell los und stoßen einen Schrei aus. Das dient dazu, Aggressivität zu
mobilisieren und die Entschlossenheit des Staats darzustellen.
Haben Sie eine Erklärung dafür, wie es zu Gewaltexzessen kommt?
Manchmal entwickeln sich Dynamiken, in denen Polizist*innen die
Anwendung von Gewalt als immer angemessener erscheint. Zum Beispiel beim
G20, als Polizist*innen im Objektschutz vor einem Hotel standen, weit
weg von gewalttätigen Konfrontationen. Sie bekamen aber ständig Nachrichten
über Funk, Facebook und den Whatsapp-Chat mit Kolleg*innen. Sie bekamen
mehr und mehr das Gefühl, dass der Einsatz übermäßiger Gewalt notwendig
wird, und waren emotional involviert, obwohl sie eigentlich nicht beteiligt
waren.
Wie spricht die Polizei hinterher intern über ihre Gewaltexzesse?
Gewalt muss sich für die Polizei als sinnhaft erweisen. Dabei orientiert
sie sich nicht unbedingt an rechtlichen Bestimmungen. Ein übermäßiger
Gewalteinsatz kann als maßvoll gelten, obwohl die Gewalt nach rechtlichen
Ansprüchen nicht verhältnismäßig ist. Die Erklärungsmuster lauten dann zum
Beispiel „Man kann sich das als Staat nicht gefallen lassen“, oder:„Die
verstehen es nicht anders.“
Und wenn es deutlich unangemessen war? Zum Beispiel, wie auf einem Video
aus Lützerath zu sehen ist, wie eine Polizistin eine Demonstrantin am Zopf
wegträgt.
Solche Gewalt wird auch intern kritisiert, aber oft als Ausnahme
bezeichnet. In Interviews haben mir Polizist*innen von Situationen
erzählt, wo ihnen selbst oder Kolleg*innen eine Maßnahme „entglitten“
sei. Dann hieß es: Normalerweise sind ihre Maßnahmen rechtmäßig. Aber in
der Situation haben sie sich selbst nicht wiedererkannt, oder ihnen ist die
Maßnahme „entglitten“.
Wenn man lernt, anderen routiniert Schmerzen zuzufügen – was macht das mit
einem?
Es normalisiert Gewalthandlungen. Gewalt ist für Polizist*innen Teil
ihrer Arbeit.
Sind Sie auch auf Gewaltlust gestoßen?
Das wurde nicht offen kommuniziert. In einem Interview hieß es: „Wenn man
Lust hat, sich zu prügeln, weiß man, wo man hingeht und wie man die Leute
provoziert, und dann hat man eine nette Schlägerei“. Sagbar war das nur,
weil der Interviewpartner die Polizei schon lange verlassen hatte.
1 May 2023
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## AUTOREN
Katharina Schipkowski
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