# taz.de -- Vorwürfe gegen Polizei in Brandenburg: Wie starb Vitali N.? | |
> In Königs Wusterhausen kommt ein Mann nach einem Polizeieinsatz ums | |
> Leben. taz-Recherchen zeigen: An der Darstellung der Polizei gibt es | |
> Zweifel. | |
Bild: Ist die Polizei verantwortlich für den Tod von Vitali N.? | |
BERLIN/KÖNIGS WUSTERHAUSEN taz | Am vergangenen Dienstag, um 21.15 Uhr, | |
geht bei der Polizei im brandenburgischen Königs Wusterhausen ein Notruf | |
ein. In einem Wohngebiet im Ortsteil Niederlehme treffen die Beamten auf | |
einen Mann, der randaliert habe. So stellt es die Polizei später in ihrer | |
Pressemitteilung dar. Gut 20 Stunden später ist Vitali N. tot. | |
Die Berliner Polizei ermittelt nun, die Berliner Staatsanwaltschaft hat die | |
Leiche obduzieren lassen. Am Dienstagmittag lag ein erstes Ergebnis vor: Es | |
gebe vorerst keine Hinweise auf Fremdverschulden oder Gewalteinwirkung, | |
sagt eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Man untersuche aber weiter. | |
Nach taz-Recherchen gibt es allerdings erhebliche Zweifel an der | |
Schilderung der Polizei zum Ablauf der Festnahme. Der taz liegen interne | |
Unterlagen vor, Teile der Patientenakte, ein Durchsuchungsprotokoll der | |
Polizei sowie der Einsatzbericht des Notarztes, der Vitali N. in Königs | |
Wusterhausen erstversorgt hat. | |
Die Polizeidirektion Süd in Cottbus gibt am Tag nach der Festnahme eine | |
[1][knappe Mitteilung] heraus. Darin heißt es, der Festgenommene habe auf | |
Gegenstände und Autos eingeschlagen. Er sei aggressiv und [2][psychisch | |
auffällig] gewesen. Die Polizei habe Pfefferspray eingesetzt. Mit Hilfe von | |
Anwohnern sei er gefesselt worden, dann sei er ohnmächtig geworden, ein | |
Notarzt sei gerufen worden. Dass der Mann zu diesem Zeitpunkt offenbar | |
schon in Lebensgefahr schwebte, steht nicht in der Meldung. Auch den Tod | |
vermeldet die Polizei nicht. | |
## Notarztprotokoll widerspricht Polizei | |
Um 21.45 Uhr wird der Notarzt in Königs Wusterhausen alarmiert – wegen | |
„Atemstillstand in polizeilicher Fixierung“, steht in seinem | |
Einsatzprotokoll, das der taz vorliegt. Als er eintrifft, wird Vitali N. | |
bereits durch die Polizei reanimiert. „Handschellen liegen noch an“, heißt | |
es in dem Bericht. Das widerspricht der Darstellung der Polizei, die | |
behauptet hatte, die Handschellen des Mannes seien gelöst worden, nachdem | |
er in Ohnmacht gefallen sei. Ohnmächtige zu fixieren, gilt unter | |
Notärzt*innen als gefährlich. Die Reanimation wird erschwert, das | |
Erstickungsrisiko steigt. | |
Der Notarzt notiert außerdem, dass Vitali N. feuchte Erde in Mund und Nase | |
hatte. Über die Erde im Gesicht hatte [3][bereits der Tagesspiegel | |
berichtet]. Im Raum stand, ob Vitali N. Erde geschluckt haben und daran | |
erstickt sein könnte. Bei der Obduktion seien im Körper allerdings keine | |
Erdreste gefunden worden, so die Sprecherin der Berliner Staatsanwaltschaft | |
gegenüber der taz. An Rücken und Schulter habe der Tote Einblutungen | |
gehabt, diese seien aber nicht tödlich gewesen. | |
Die Polizeidirektion Süd will sich nicht zu dem Fall äußern. Sie verweist | |
an das Brandenburger Polizeipräsidium. Auch das äußert sich nicht. | |
Der Notarzt in Königs Wusterhausen reanimiert Vitali N. am Dienstagabend | |
zunächst weiter. Um 22.15 Uhr schlägt sein Herz wieder von allein. Warum er | |
dann aber in ins knapp 30 Kilometer entfernte Klinikum Neukölln gebracht | |
wird, ließ sich bis Redaktionsschluss nicht klären. | |
## Labortest zeigt: Der Mann ist nüchtern | |
In Berlin kommt er auf die Intensivstation, sein Blut wird untersucht. Der | |
Laborbericht zeigt: Der Mann ist nüchtern. Kein Alkohol im Blut, kein | |
Kokain, keine Amphetamine, Opiate oder andere Drogen, auf die die | |
Mediziner*innen testen. | |
In der Nacht schickt die Brandenburger Polizei ein Amtshilfegesuch an die | |
Berliner Polizei. Die Berliner Beamten sollen Kleidungsstücke mitnehmen und | |
eine Blutprobe „bitte dringend“ auf Alkohol, Betäubungsmittel und | |
Medikamente testen. So ordnet es die Staatsanwaltschaft Cottbus an. Die | |
Berliner Polizisten nehmen aus dem Klinikum Neukölln einen weißen, | |
zerschnittenen Pullover mit, eine Jeans, eine Unterhose und schwarze | |
Schuhe. Das geht aus dem Durchsuchungs-Protokoll der Polizei hervor. Auf | |
taz-Anfrage äußert sich die Berliner Polizei nicht. | |
Vitali N. stirbt am frühen Mittwochabend, um 17.57 Uhr. Der Totenschein, | |
den der behandelnde Arzt ausstellt, ist deutlich: Vitali N. ist erstickt. | |
„Schwerste anoxische Hirnschädigung“, steht darin. Sauerstoffmangel im | |
Gehirn, „durch gewaltsames zu Boden drücken von Gesicht und Thorax in | |
Bauchlage“. | |
Der Tod von Vitali N. wird in der kommenden Woche auch den Innenausschuss | |
des Brandenburger Landtags beschäftigen. Dessen Vorsitzende, die | |
Linkspartei-Abgeordnete Marlen Block, sagt gegenüber der taz, sie fände es | |
„mehr als bedenklich“, wenn die Darstellung der Polizei „deutlich von der | |
vom Notarzt vorgefundenen Lage abweicht“. Das Ermittlungsverfahren dazu | |
müsse bei der Berliner Polizei verbleiben. | |
Aus dem Klinikum Neukölln heißt es, Vitali N. sei allein gestorben. | |
Angehörige konnten nicht ermittelt werden. Vitali N. wurde in Moldawien | |
geboren und war bulgarischer Staatsbürger. Er wurde 45 Jahre alt. | |
Sie haben weitere Hinweise zu dem Fall? [4][Hier] erreichen sie uns. | |
18 Apr 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://polizei.brandenburg.de/pressemeldung/aggressiver-mann/3852479 | |
[2] /Kriminologe-ueber-verfehlte-Polizeigewalt/!5925970 | |
[3] https://www.tagesspiegel.de/berlin/tot-nach-polizeieinsatz-in-brandenburg-a… | |
[4] /Investigatives-Recherche-Team-der-taz/!5894003 | |
## AUTOREN | |
Anne Fromm | |
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