| # taz.de -- Rechtsruck in Deutschland: AfD-Wählende sind keine Schafherde | |
| > Mit 18 Prozent erreichte die AfD ein Rekord-Umfragehoch in Deutschland. | |
| > Doch statt sich zu distanzieren, nähern sich die anderen Parteien | |
| > thematisch an. | |
| Bild: Schafe einer Schafherde und ihre Lämmer am Stadtrand von Köln | |
| Es geht wieder los. Deshalb schreibe ich jetzt etwas [1][Ähnliches wie vor | |
| vier Wochen]. Es ist wieder zu lesen, dass man schockiert ist von 18 | |
| Prozent. Dass Populist*innen eben von Krisen profitieren, weil sie | |
| falsche Versprechungen machen, weil sie Sündenböcke finden, ohne Rücksicht | |
| auf lebensbedrohliche Verluste, weil sie vermeintlich einfache Antworten | |
| hinhalten in ihren ausgestreckten Händen auf irgendwelchen | |
| Kleinstadtmarktplätzen, um die sich seit Jahren niemand schert. | |
| Es sind jetzt wieder die anderen Schuld, die [2][„schwache und beständig | |
| streitende Regierung“], so Friedrich Merz. Seine Partei hingegen habe mit | |
| der AfD „nichts zu tun“. Als hätte er nie von „kleinen Paschas“ gespro… | |
| als hätte die [3][CDU keine Vornamen] abfragen wollen, als hätte der | |
| Bautzener Landrat keinem AfD-Antrag zugestimmt, als setze man | |
| Rechtsextremismus nicht regelmäßig mit Linksextremismus gleich, als | |
| forderte man nicht mehr Flaggen und Nationalhymnen, als hätte man nichts am | |
| Hut mit einem Altkanzler, der weder nach Mölln noch nach Solingen fuhr. | |
| „Wir haben mit diesen Leuten nichts zu tun“, ist leicht behauptet. Aber | |
| dieses Land hat mit diesen Leuten alles zu tun. Das deutsche Naziproblem, | |
| die anhaltende Rechtsweitoffenheit, wird hier hausgemacht, nicht nur von | |
| Konservativen. Die Große Koalition hat ein Heimatministerium gegründet, die | |
| Grünen haben die Offenlegung der NSU-Akten blockiert, ein FDPler hat sich | |
| in Thüringen mit AfD-Stimmen zum Ministerpräsidenten wählen lassen. Und für | |
| die wachsende soziale Ungleichheit sind alle Parteien verantwortlich. | |
| Es macht die Sache nicht besser, dass rund zwei Drittel der 18 Prozent | |
| sagen, sie würden nicht aus Überzeugung AfD wählen, sondern aus | |
| Enttäuschung über die anderen Parteien. Ich bin auch oft enttäuscht. | |
| ## Zärtliche Zugewandtheit für die 18 Prozent | |
| Aber Rechtsradikale wählt nur, wer ihre Agenda unterstützt, wer sie | |
| gefährlich unterschätzt oder glaubt, sich gar nicht erst informieren zu | |
| müssen. Das könnten Politiker*innen häufiger in Kameras sagen, auch | |
| wenn es nur verbale Grenzen zieht. | |
| Stattdessen kehrt die fast zärtliche Zugewandtheit für die 18 Prozent | |
| zurück, über die man spricht wie über eine Schafherde: Was treibt sie in | |
| die Arme der Rechten? Wie erreichen wir sie nur, die besorgten | |
| Bürger*innen? | |
| Ich frage mich jedes Mal, was mit den anderen Besorgten ist. Die Angst | |
| haben, weil sie wissen, wie sich kleine Dammbrüche zu einem großen | |
| verbinden. Die sich nicht trauen, an einen See in Brandenburg zu fahren. | |
| Die Hakenkreuze in ihren Hausfluren finden. Die keine Rente bekommen, | |
| obwohl dieses Land ihnen Wohlstand verdankt. Die verhaftet werden, weil sie | |
| auf die Klimakrise aufmerksam machen. | |
| Wer Schuld trägt an deren Enttäuschungen und wie wir ihren Einsatz endlich | |
| anerkennen, darum geht es viel zu selten. Dabei wäre das demokratiestärkend | |
| – und das kann dieses Land dringend brauchen. | |
| 7 Jun 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Lin Hierse | |
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