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# taz.de -- Reaktionen auf Nachrichten: Der unheimliche Sommer
> Vor der Sommerpause erzielt die AfD Umfrage-Rekorde. Daran haben wir uns
> so gewöhnt wie an Staunachrichten, ertrinkende Flüchtlinge und
> Overtourism.
Bild: Diesen Sommer will man sich auch einfach nur einbuddeln – wie dieser en…
Der hochseriöse Nachrichtensprecher im seriösesten Radiosender (DLF) sagt
am Freitagvormittag: „Keller liefen voll, Bäume stürzten um, Dächer wurden
abgedeckt, parkende Autos weggespült.“
Ich muss lachen. Die unaufgeregte Monotonie des Sprechers klingt in meinen
Ohren wie die farblose Aufzählung in Verkehrsmeldungen: „Dreieck Spreeau
Verengung auf eine Fahrbahn, Kreuz Dortmund/Unna stockender Verkehr, A8
München Richtung Salzburg zwischen Raststätte Holzkirchen Süd und Weyarn
Gefahr wegen Gegenständen auf der Fahrbahn“.
Und etwas daran gefällt mir. Warum sollte er das im Brustton der Empörung
aufzählen? Es würde an den Umständen nichts ändern.
Das [1][Unwetter ist Wetter geworden. Waldbrände], Wassernotstand,
Tropenhitze und Starkregen gehören zu den Sommerferien wie der Stau auf
der Autobahn und der [2][Overtourism]. In Europas Hotspots der
touristischen Schwerindustrie wie Dubrovnik, Lissabon oder Venedig werden
apokalyptische Wetter- und Staunachrichten noch von Armageddonnews aus der
Hochsaison begleitet: Dezibelregulierungen nach 22 Uhr, Alkohol-, Pinkel-
und Schlafverbote in Altstädten, Beschränkung von Zugängen.
Der Sommer ist unheimlich geworden.
Auch politisch. Letzte Woche begann mit dem letzten „[3][Tatort]“ (18.
Juni), dem kalendarischen Sommeranfang (21. Juni), dem Beginn der ersten
Sommerferien (NRW), der letzten „Hart-aber-fair“-Sendung (19. Juni) die
große Auszeit, die am Ende dieser Woche (1. Juli) mit der parlamentarischen
Sommerpause abgerundet wird.
Doch in diesem Sommer gehen die Deutschen neben Rekordhitzeprognosen auch
noch mit einer anderen Rekordprognose (23. 6.) in die Ferien: [4][Laut
ARD-Umfrage] würden 19 Prozent am Sonntag (25. 6.) AfD wählen, 2 Prozent
mehr als die SPD. [5][Damit ist die AfD zur Zeit zweitstärkste Partei] in
Umfragen (CDU: 29 Prozent, Grüne: 15, FDP: 6, Linke: 4).
## Vorhersehbar und monoton
Solche Umfragen wollen zwar vordergründig Stimmungen abbilden. Ihr Effekt
ist aber auch, dass sie Stimmung machen.
Die Antwort von Medien und Politik auf Umfragehochs der AfD ist
mittlerweile ähnlich vorhersehbar und monoton wie die sommerlichen Stau-,
Unwetter- und Overtourismnachrichten: Die Opposition macht die Regierung
verantwortlich („Kontakt zur Bevölkerung verloren“, „Wir können so nicht
weitermachen“, „Deutschland im Regen stehen lassen“), die Medien berichten
alarmierend über Schlägereien (gern in Neukölln, weil bundesweit bekannt
für fette Ausländerprobleme, gern von „Clans“, weil das krass nach
undeutscher Unordnung klingt, gern mit Zwiebeln und schön scharf
formuliert: „Massenschlägerei“, „Streit eskaliert“, „Großaufgebot d…
Polizei“).
Auf der anderen Seite empört sich vom Sydney Morning Herald [6][bis zur
taz] die ganze Welt darüber, dass die ganze Welt wegen [7][fünf in einem
U-Boot gestorbenen Reichen] den Atem anhielt. Die Empörung glaubt, es sage
„sehr viel aus“, dass nicht in gleichem Maße über [8][sterbende Geflücht…
im Mittelmeer] berichtet wird. Die Unterstellung: Geflüchteten werde
weniger Empathie zuteil als Reichen.
Ich halte das zumindest größtenteils für Bullhsit. Zum einen spielte bei
der Anteilnahme an diesem U-Boot-Desaster weniger Empathie als Voyeurismus
eine Rolle. Zum anderen war es nun mal das erste private U-Boot, das auf
dem Weg zur untergegangenen Titanic implodierte.
Auch jeder Flugzeugabsturz kriegt eine große Aufmerksamkeit und auch die
Kinder, die 2018 wegen starken Regens in einer Unterwasserhöhle
eingeschlossen waren, bekamen sie. Nicht, weil wir so irre empathisch sind,
sondern weil es seltene Vorfälle sind und natürlich auch, weil uns Unfälle
und Katastrophen faszinieren.
Natürlich ist die Gewöhnung an das Massensterben von [9][Geflüchteten im
Mittelmeer] so schleichend eingetreten wie die Gewöhnung an das
Massensterben der Fische in demselben Gewässer, auf dessen Oberfläche wir
so gerne rumliegen, während sich unter uns die Leichenberge türmen.
## Empathie, keine verlässliche Kategorie
Sicher, die Schiffsunglücke im Mittelmeer samt der Todeszahlen kommen
mittlerweile im gleichen Sound des Nachrichtensprechers daher, mit dem er
Stau- und Unwetternachrichten verliest.
Sicher, es wäre vielleicht besser, würde bei den [10][Nachrichten über
ertrunkene Flüchtlinge ebenfalls] immer Alter, Herkunft, Beruf und Grund
für die Schiffsreise angegeben. Das Ausmaß der Katastrophe würde dadurch
vielleicht nachdenklicher machen und die Politik beeinflussen. Vielleicht.
Würde der Nachrichtensprecher statt weggespülter Autos und unterspülter
Keller auch den Ausfall der Kirsch-, Kartoffel-, Apfel-, Oliven- und
Weinernte in Spanien, Italien, Frankreich, Kroatien, Slowenien und
Deutschland vermelden, würde es ebenfalls deutlicher machen, dass die
Katastrophe nicht zu Ende ist, nur weil der Regen aufgehört hat.
Allein, ob das mehr Empathie erzeugen würde oder nicht, weiß ich nicht. Die
entscheidendere Frage ist nur, ob sich die Politik davon beeindrucken
lassen und ihre Klima-, Einwanderungs- und Verkehrspolitik ändern würde.
Empathie ist sowieso keine verlässliche Kategorie. Erinnern wir uns an
frühere Jahre, in denen nordeuropäische Touristen in der Mittagshitze an
südeuropäischen Stränden brieten. Sie fanden die Einheimischen wunderlich,
weil die sich tagsüber in ihren streng abgedunkelten Wohnungen aufhielten
und ihre Naturschönheiten mieden.
Viele auch meiner linken Bekannten fanden das damals null nachvollziehbar.
Empathie hatten diese Linken offenkundig nicht. Jedenfalls nicht mit jenen
Einheimischen, die keinen Schnee kannten, aber die Körnung des Saharastaubs
schon seit Kindesbeinen in der Luft erkennen konnten.
Heute gehören Warnungen, in der Mittagshitze das Haus zu verlassen, zur
Sommerpause wie die Interviews mit Bademeistern, die von Überforderung
sprechen, wie sinkende Schiffe im Mittelmeer, wie Umfragehochs rechter
Parteien.
So gruselig die Vorstellung ist, mit diesem AfD-Hoch in die Sommerpause zu
gehen, es bringt wenig, mangelnde Empathie zu beklagen und genauso wenig,
darauf mit Berichten zu reagieren, die potentielle AfD-Wähler befriedigen
sollen.
26 Jun 2023
## LINKS
[1] /Waldbraende-in-Berlin-Brandenburg/!5931031
[2] /Debatte-zur-ITB/!5487882
[3] /Der-Tatort-aus-Stuttgart/!5938583
[4] https://www.tagesschau.de/inland/deutschlandtrend/deutschlandtrend-3370.html
[5] /Rechtsruck-in-Deutschland/!5936157
[6] /Tauchboot-vor-Kanadas-Kueste-vermisst/!5942351
[7] /Titan-Insassen-fuer-tot-erklaert/!5942676
[8] /Bootsunglueck-im-Mittelmeer/!5939907
[9] /Bootsunglueck-im-Mittelmeer/!5938998
[10] /Tote-durch-Bootsunglueck-vor-Griechenland/!5938633
## AUTOREN
Doris Akrap
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