# taz.de -- Hitze, Hochwasser und Waldbrände: Mein Sommer der Unausweichlichke… | |
> Der sommerliche Eskapismus gelingt immer seltener. Wir sollten ohnehin | |
> gerade jetzt das Ausweichen vor Problemen verlernen, findet unsere | |
> Kolumnistin. | |
Bild: Der Sommer ist heute leider mehr Bedrohung als Belohnung | |
Die Inseln werden kleiner. Das ist keine Nachricht über den steigenden | |
Meeresspiegel – wobei, eigentlich ist es das auch. Obwohl hier meine | |
[1][Sommerinseln] der Sorglosigkeit gemeint sind, mit denen ich aufwachsen | |
durfte. Normalerweise verabschiedet man sich in Mitteleuropa eher Ende | |
September vom Sommer. Da werden die Gliedmaßen schwerer und man sagt: „Ich | |
will nicht, dass es schon wieder vorbei ist“, während man sich abends | |
wieder einen Pulli überzieht. Aber dieses Jahr habe ich schon im Juli bei | |
33 Grad das Gefühl, mich vom Sommer verabschieden zu müssen. Nicht, weil | |
morgen Herbst wird, [2][sondern weil es nie mehr wird, wie es mal war.] | |
Es war mal: Die Erlaubnis, die Welt durch den schmalen Spalt | |
zusammengekniffener Lider zu sehen, oder durch den warmen Filter der | |
Sonnenbrille. Das Überwassergeschrei vom Unterwasserrauschen übertönen zu | |
lassen. Ausschließlich „leichte“ Bücher zu lesen, und bei der „Tagessch… | |
wegzudösen. Meine Sommer waren mehr Belohnung als Bedrohung. Und das Beste | |
am Sommer war die eingeschränkte Sicht. | |
## Sommerlicher Eskapismus | |
Man darf betrauern, dass der sommerliche Eskapismus zwischen extremer | |
Hitze, Hochwasser und Waldbränden seltener gelingt. Aber er ist auch ein | |
Luxus, den ich nicht mehr verteidigen will. Deshalb muss man nicht gleich | |
in pausenlose Klimapanik verfallen. Aber ich finde, dass wir [3][dringend | |
das Ausweichen verlernen müssen]. Es hat uns kaum mehr gebracht als | |
moralische Verwahrlosung und Selflove-Influencer*innen, die uns | |
einreden, selbst politische Untätigkeit sei irgendwie „valide“, solange wir | |
genug Wasser aus ästhetischen Gefäßen trinken (#werbung). | |
Wir sind alle Ausweicher. Wir weichen der Frage aus, was wir tun können | |
außer reden, Plastik vermeiden und weitermachen mit dem Projekt „ich will | |
nicht reich sein, aber mir um Geld keine Sorgen machen müssen“. Wir fahren | |
nach Irland oder Schweden, wenn Italien abbrennt und man nicht mehr aufs | |
Mittelmeer gucken kann, ohne an Tausende Tote zu denken. Nichts gegen | |
Urlaub in Skandinavien, aber man ist doch kein Mensch, um die | |
Entsetzlichkeit dieser Dinge zu umgehen und einfach mit den Schultern zu | |
zucken. | |
Ich bin spät dran mit meinem ersten Sommer der Unausweichlichkeit. Große | |
Teile der Weltbevölkerung kennen längst eine lebensbedrohliche Realität, | |
die für ihre größten Verursacher bloß die Dystopie der anderen war. In | |
einer aktuellen [4][Doku des ZDF-Formats „STRG_F]“ sagt ein 18-jähriger | |
Superreicher, dass ihm sein Komfort wichtiger sei als das Klima. „Ich lebe | |
mein Leben, bin glücklich, und alles andere ist mir scheißegal.“ Unbedingt | |
sollte man die [5][zerstörerische Lebensweise dieser Parallelgesellschaft] | |
beschneiden. Aber das „Ich zuerst“-Verhalten lebt im Kapitalismus in allen | |
Milieus, auch in meinem. Ich weiß schon, dass es nicht verschwindet, sobald | |
wir die Sommerinseln gehen lassen. Aber Abschiede sind meistens ein Anfang. | |
19 Jul 2023 | |
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## AUTOREN | |
Lin Hierse | |
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