| # taz.de -- Menschenrechtsverletzungen der EU: Längst in der Dystopie | |
| > In der Asylpolitik wird der Anstand leise abgebaut. Grundrechtsverletzung | |
| > darf niemals überhaupt zur Abstimmung vorliegen. | |
| Bild: Idomeni, Griechenland: Ein Geflüchteter versucht den Zaun an einem Notla… | |
| Ich, politisch informiert, oft interessiert, zunehmend resigniert, klappe | |
| meinen Laptop auf und suche im Internet nach der Definition von | |
| Menschenrechten. Peinlich, denke ich, als die Suchmaschine 28,6 Millionen | |
| Ergebnisse ausspuckt, dass ich das überhaupt nachgucken muss. Ständig sagt | |
| man das so, Grund- und Menschenrechte, gerade sage auch ich das wieder sehr | |
| oft, zu meinem Freund, zu meinen Freund*innen, zu mir selbst. „Grund- und | |
| Menschenrechte sind nicht verhandelbar“, sage ich wie ein Automat, als | |
| würde dieser Satz durch das Aussprechen unverletzlich, als würde ethische | |
| Politik so verbindlich. Dabei weiß ich doch, dass nichts folgen muss, wenn | |
| es nicht gewollt ist. Oder weniger gewollt als „der Kompromiss“. | |
| [1][Kompromiss ist ja das europäische Ziel der Gegenwart], nicht die | |
| Behandlung tödlicher Haltungsschäden. | |
| Politik ist nicht einfach und sie wird sicher nicht immer leichtfertig | |
| gemacht. Manchen Politiker*innen glaube ich sogar, [2][wenn sie sagen, | |
| dass es sie schmerzt], wie sie Europas Grenzregime mit verhandelt haben. | |
| Ich verstehe nur nicht, warum sie es dann tun. Kompromisse sind | |
| demokratisch notwendig. Wenn der eine was will und die andere nicht, trifft | |
| man sich irgendwo dazwischen und behauptet einen Erfolg. Aber manchmal gibt | |
| es kein Dazwischen. Manches ist kein Spektrum, es kann nur sein oder eben | |
| nicht. Daran müssten Demokrat*innen ihr Handeln ausrichten, unabhängig | |
| von der Parteizugehörigkeit. | |
| Ich soll keine Dystopie herbeischreiben. Als wären wir nicht mittendrin. | |
| Ich und du und wir [3][in unserer ganz realen Festung], zwar teurer, enger, | |
| heißer als früher, aber immerhin lebt es sich doch insgesamt noch ganz | |
| nett. Längst nicht mehr nach uns, sondern um uns die Sintflut. Und wenn wir | |
| ehrlich sind: In uns auch. | |
| ## Anstand wird abgebaut | |
| Sicher Geglaubtes kann abhandenkommen. Socken in der Waschmaschine, | |
| verliehene Romane, Reiselust, Liebe. Auch Anstand ist davon nicht | |
| ausgenommen, Anstand wird abgebaut wie eine endliche Ressource, leise, | |
| kollektiv legitimiert. Deswegen gibt es doch Gesetze. Deswegen steht es | |
| doch da, eins von 28,6 Millionen Ergebnissen: Menschenrechte sind | |
| unveräußerlich, unteilbar und unverzichtbar. Sie stehen allen Menschen zu, | |
| unabhängig davon, wo sie leben und unabhängig davon, wie sie leben. Und | |
| doch wird in dieser Dystopie veräußert bis über die Ränder, geteilt, bis | |
| Familien zerfallen, verzichtet, [4][bis Schiffe sinken]. Sehr abhängig | |
| davon, wo ein Mensch lebt und wie, wie viele Ressourcen er hat, woher er | |
| gekommen ist, wohin er will. In der Dystopie steht der Kompromiss über den | |
| Menschenrechten, verhandeln wir das Unverhandelbare. | |
| Wo ist die Instanz, die zu solchem humanitären Versagen verbindlich Veto | |
| sagt? Die den Kompromissfetisch zurückweist, bis ein Vorschlag vorliegt, | |
| der die Würde jedes Menschen achtet? Denn was Grundrechte verletzt, sollte | |
| niemals zur Abstimmung vorliegen. | |
| 20 Jun 2023 | |
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| Lin Hierse | |
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