# taz.de -- Hitze in US-Gefängnissen: „Wie ein Pizzaofen“ | |
> In texanischen Gefängnissen herrschen teils über 40 Grad, für die | |
> Insassen ist das lebensbedrohlich. Angehörige und Aktivist:innen | |
> schlagen Alarm. | |
Bild: Protest für bessere Haftbedingungen in Texas | |
AUSTIN taz | In einem Konferenzraum in Austin, Texas, steht Kristie | |
Williams am Rednerpult und weint. Sie erzählt vom plötzlichen Tod ihres | |
Bruders Tommy McCullough. Er starb am 23. Juni in einem Gefängnis im Osten | |
des Staates. McCullough war gerade einmal 35 Jahre alt, ein Herzinfarkt | |
ist die offizielle Todesursache. Doch wie viele der Aktivist:innen, die | |
sich an diesem Dienstag im Capitol, dem Sitz der Bundesstaatsregierung von | |
Texas, eingefunden haben, glaubt Williams diesem Befund nicht. Nicht ein | |
schwaches Herz, sondern die Hitze in der Haftanstalt ist Williams zufolge | |
für den Tod ihres Bruders verantwortlich. | |
„Ich habe am Tag zuvor noch mit ihm telefoniert“, sagt sie. „Er hat gesag… | |
es ist so heiß, dass er Probleme beim Atmen hatte, und dass sie kaum Wasser | |
kriegen.“ Wie mehr als zwei Drittel der Haftanstalten in Texas gibt es auch | |
in der „Goree Unit“, in der McCullough inhaftiert war, keine Klimaanlagen. | |
„Sie hatten nur Ventilatoren, die nichts machen, außer die heiße Luft zu | |
zirkulieren“, sagt Williams. „Am nächsten Tag habe ich einen Anruf vom | |
Gefängnisdirektor bekommen, dass Tommy zusammengebrochen ist und nicht mehr | |
wiederbelebt werden konnte.“ | |
McCullough arbeitete zum Zeitpunkt seines Todes auf den Grünanlagen des | |
Gefängnisses. „Ich verstehe nicht, warum er überhaupt da draußen war und | |
mähen musste“, sagt Williams leise in die Mikrofone. „An einem Tag, an dem | |
eine Hitzewarnung ausgerufen wurde.“ | |
Für Menschen, die in Texas leben, sind Klimaanlagen in Gebäuden und | |
Fahrzeugen lebensnotwendig. Während Williams spricht, steigt die Temperatur | |
vor dem prachtvollen Gebäude über 40 Grad Celsius. Selbst Landwirte | |
klimatisieren ihre Ställe, um ihre Tiere vor den extremen | |
Sommertemperaturen zu schützen. Für den Großteil der rund 120.000 Menschen, | |
die in den Gefängnissen des Bundesstaates sitzen, gibt es allerdings kaum | |
Abkühlung. | |
## Kaum Schutz vor der Hitze | |
Auch in der kürzlich beendeten Legislaturperiode der texanischen Regierung | |
hat diese davon abgesehen, ihre Haftanstalten klimatisieren zu lassen – | |
trotz einem Überschuss von über 32 Milliarden Dollar in der Staatskasse. | |
Laut einer [1][2022 veröffentlichten Studie] könnten rund 13 Prozent der | |
Todesfälle in den Gefängnissen von Texas auf die Folgen der extremen Hitze | |
in den Sommermonaten zurückgehen. | |
Auch Marci Marie Simmons ist an diesem Dienstag ins Kapitol gekommen, um | |
sich für die Klimatisierung der texanischen Knäste einzusetzen. Simmons war | |
über zehn Jahre in einem Frauengefängnis in Gatesville inhaftiert, einer | |
Kleinstadt rund anderthalb Stunden nördlich von Austin. Seit knapp zwei | |
Jahren ist sie frei und betreibt einen beliebten Tiktok-Kanal, auf dem sie | |
aus ihrem Alltag im Gefängnis erzählt. | |
Im Gespräch mit der taz beschreibt die hochgewachsene Frau, wie sich die | |
anhaltende Hitzewelle in den USA auf das Leben der Inhaftierten auswirkt. | |
„Wir befinden uns gerade in der dritten Woche über 37 Grad, und ich kann | |
garantieren, dass es in den Zellen und Aufenthaltsräumen rund 10 Grad | |
wärmer ist.“ Simmons erzählt, wie die Gebäude aus Beton, Backstein und | |
Metall die Hitze speichern. „Es ist wie ein Pizzaofen.“ | |
Für Marci Simmons und ihre Mitinhaftierten gab es gegen die Hitze kaum | |
Linderung. Die großen Industrieventilatoren, die in manchen Trakten des | |
Gefängnisses aufgestellt wurden, taten wenig für die Frauen in ihren | |
geschlossenen Zellen. „Ich erinnere mich, wie ich meinem Körper befohlen | |
habe: ‚Gerate nicht in Panik, du kannst atmen, du kannst hier atmen.‘ Denn | |
jeder Instinkt sagt einem, dass man es nicht tun soll.“ | |
Simmons erzählt von einer Zellengenossin, die durch die Hitze einen Anfall | |
bekam und von der oberen Pritsche auf den Boden fiel und eine schwere | |
Kopfverletzung erlitt. „In den Sommermonaten war ich einfach in einer Art | |
Überlebensmodus“, sagt sie. „Ich habe wenig mit meiner Familie interagiert, | |
denn allein dafür die Energie zu finden fiel mir schwer.“ Sie erinnert | |
sich, wie sie versucht hat, Briefe an die Außenwelt zu schreiben, während | |
der Schweiß von ihrer Stirn aufs Papier tropfte. | |
Wie Tommy McCullough musste auch Marci Simmons Strafarbeit leisten. Die | |
Gefängnisbehörde von Texas rühmt sich damit, dass Inhaftierte bestimmte | |
Lebensmittel und Kleidung selbst produzieren. Simmons arbeitete auf den | |
gefängniseigenen Feldern und beschreibt eine Szenerie, die wie aus einem | |
anderen Jahrhundert klingt. „Die Justizbeamten saßen bewaffnet auf Pferden | |
und beaufsichtigten uns, während wir Unkraut aus dem Boden zogen.“ | |
Den Frauen wurde verboten, ihre Knie zu beugen oder sich aufzurichten. | |
Simmons erzählt, wie sie sich heimlich umschauen mussten, bevor sie sich | |
kurz ausstreckten. „Alle vier Stunden kam ein Traktor mit einem Wassertank, | |
wir hatten dann alle genau drei Sekunden, um unseren Durst zu stillen.“ | |
Die wenigen Mittel, die Inhaftierte in Texas haben, um sich gegen die | |
Folgen der Hitze zu wehren, stehen meist unter Strafe. Simmons beschreibt, | |
wie sie und ihre Zellengenossen Wasser auf den Boden kippten, um auf diesem | |
zu schlafen. „Die Pritschen sind aus Metall und werden dadurch sehr viel | |
heißer als der Betonboden.“ | |
Manche der Justizbeamtinnen ließen die Frauen gewähren, doch wenn die | |
falsche Person Aufsicht hatte, drohte ihnen für das Schlafen auf dem Boden | |
ein Disziplinarverfahren. Auch das Abdecken der Fenster mit Bettdecken, um | |
die sengende Hitze abzublocken, wurde ihnen verwehrt. „Im Namen der | |
Sicherheit oder weil es einfach eine Regel ist, wurde uns das auch | |
verboten“, sagt sie der taz. | |
Nach der Pressekonferenz im Kapitol versammeln sich die Aktivist:innen | |
und Angehörige auf dem Vorplatz des Gebäudes. Die Fläche vor dem Rednerpult | |
bleibt jedoch weitgehend leer, die meisten der Anwesenden halten sich im | |
Schatten der großen Eichenbäume auf, die hier stehen. In der prallen | |
Mittagshitze steht eine nachgebaute Gefängniszelle, in der sich Menschen | |
ein Bild von den Haftbedingungen in Texas machen können. | |
Einer der Redner vor dem Kapitol ist Robert Lilly, der seit rund drei | |
Monaten in Freiheit ist. Über 20 Jahre hat der muskulöse Mann im roten | |
T-Shirt in verschiedenen Anstalten verbracht, seit einigen Jahren engagiert | |
er sich in der Gruppe „Grassroots Leadership“, die sich für das Ende der | |
desaströsen Haftbedingungen in Texas einsetzt. | |
Lilly hält ein Foto in die Höhe, auf dem er mit seinem Bruder und seinem | |
Vater zu sehen ist. Er selbst war zu diesem Zeitpunkt schon in Freiheit; | |
sein Bruder, Conrad Lilly, ist nur schwer zu erkennen, denn er sitzt auf | |
der anderen Seite einer Panzerglasscheibe, die die Familie trennt. | |
Von den Treppen des Kapitols sagt Lilly, dass er auch für seinen Bruder | |
hier ist, der nicht die Möglichkeit hat, für sich selbst zu sprechen. | |
Conrad Lilly hat eine geistige Behinderung und ist bis heute hinter | |
Gittern. | |
Nach seiner Rede spricht Robert Lilly mit der taz über seine eigenen | |
Erfahrungen mit der Hitze in der „Middleton Unit“, einem Gefängnis im | |
Norden von Texas. „Es ist so heiß, dass man nicht schlafen kann. Die Dächer | |
sind aus Zinn, die die Hitze weiterleiten.“ Lilly beschreibt, wie er bis | |
spät in die Nächte geschwitzt hat, bis er schließlich aus Erschöpfung | |
zusammenbrach. „So gehst du da schlafen.“ | |
In der „Middleton Unit“ durften manche Inhaftierte einen kleinen, billigen | |
Ventilator haben. Für die Männer, die die notwendigen Mittel hatten, gab es | |
auch kleine Kühlventilatoren zu kaufen. Aber auch diese behelfsmäßigen | |
Mittel wurden nur unter strengen Auflagen verteilt. „Auf die Ventilatoren | |
wird deine Kennziffer geschrieben, wenn dir also jemand seinen schenkt, | |
wenn er seine Strafe abgesessen hat, kannst du ein Disziplinarverfahren | |
bekommen, wenn die Ziffer auf dem Ventilator nicht mit deiner | |
übereinstimmt.“ | |
Glaubt man den Angaben der Justizbehörde von Texas (TDCJ) ist seit 2012 | |
kein einziger Mensch an den Folgen der Hitze gestorben. Auf Anfrage der taz | |
schreibt die Pressestelle, dass im Jahr 2023 nur 8 Menschen wegen | |
Erkrankungen durch hohe Temperaturen behandelt werden mussten. | |
Aktivist:innen wie Marci Simmons hingegen führen 31 Todesfälle aus den | |
vergangenen zwei Monaten auf die Folgen von Hitze zurück. Laut TDCJ wurden | |
in den Jahren 2018 bis 2023 knapp 10.000 Betten in den Anstalten | |
klimatisiert. Damit bleiben dennoch weit über 60.000 Menschen der Hitze | |
ausgesetzt. | |
Robert Lilly fragt, was es einer Gesellschaft bringt, Menschen unter | |
solchen Bedingungen zu inhaftieren. „Wenn ich dich über Jahre behandle, als | |
wärst du nicht mal ein Mensch, was erwarte ich dann, wenn du wieder nach | |
Hause kommst? Wirst du gesund und geheilt sein, oder bist du bitter, | |
frustriert und voller Wut?“ | |
Auf dem Vorplatz des Kapitols herrschen mittlerweile 41 Grad. | |
23 Jul 2023 | |
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[1] https://jamanetwork.com/journals/jamanetworkopen/fullarticle/2798097 | |
## AUTOREN | |
Johannes Streeck | |
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