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# taz.de -- Arbeitsbedingungen bei der Ernte: So wird Saisonarbeit ausgebeutet
> Eine Studie berichtet von unwürdigen Arbeitsbedingungen in deutschen
> Erdbeer- und Spargelbetrieben. Auch die EU-Kommission erhebt Vorwürfe.
Bild: Bei der Erdbeerernte durch SaisonarbeiterInnen versuchen die Betriebe oft…
Die Spargelsaison ist in vollem Gang. Während sich viele Menschen in
Deutschland an mit Sauce Hollandaise getränkten Mahlzeiten und frischen
Beeren erfreuen, bedeutet die Jahreszeit für andere Knochenarbeit und kaum
verhohlene Ausbeutung. Wie die Entwicklungsorganisation Oxfam und die
Initiative Faire Landarbeit in einer neuen Studie berichten, leiden
ArbeiterInnen in Spargel-, Erdbeer- und Gemüsebetrieben unter Lohndumping,
unverhältnismäßig hohen Mieten und mangelndem Krankenversicherungsschutz.
Der Studie zufolge drücken die Betriebe die Löhne systematisch, indem sie
Saisonkräfte nach einem komplizierten System aus Stundenlöhnen und
Akkordvergütungen bezahlen, die sich nach der geernteten Stückzahl richten.
Bei Letzteren seien die Zielvorgaben oft nicht erreichbar. ArbeiterInnen
werfen den Arbeitgebern ferner vor, falsche Angaben in der
Arbeitszeiterfassung zu machen.
Um die eigenen Kosten weiter zu drücken, berechneten die Betriebe zudem
hohe Abzüge von den Löhnen. Laut Oxfam müssten die ArbeiterInnen für
spartanisch eingerichtete Gemeinschaftsunterkünfte oft mehr Miete zahlen
als für das Leben in deutschen Großstädten. Der Agrarreferent der
Organisation, Steffen Vogel, kritisiert: „Für eine Baracke ohne Küche
verlangt einer der Betriebe 40 Euro pro Quadratmeter. Die durchschnittliche
Kaltmiete in der Münchner Innenstadt liegt bei 23 Euro. Hier werden alle
Spielräume ausgenutzt, Menschen um ihren gerechten Lohn zu bringen.“
Auch den [1][Arbeitsschutz missachten] die Betriebe offenbar eklatant. So
seien Arbeitskräfte oft unzureichend oder überhaupt nicht
krankenversichert, schreibt Oxfam, das für die Studie mit ArbeiterInnen von
vier deutschen Spargel- und Erdbeerbetrieben gesprochen hat. Für einen
Großteil von ihnen würden die Betriebe private Gruppenversicherungen
abschließen, die schlechteren Schutz bieten als gesetzliche Versicherungen.
Auch können kranke ArbeiterInnen demnach einfach gefeuert werden. Einer der
Betriebe, die am stärksten in der Kritik stehen, ist Spreewaldbauer Ricken
aus Brandenburg. Auf Anfrage der taz bestreitet er die Vorwürfe.
## Der Einzelhandel macht Druck
Dass Saisonkräfte so behandelt werden, liegt Oxfam zufolge auch an dem
Preisdruck, den der Einzelhandel auf die Betriebe ausübe. Tim Zahn,
Referent für globale Lieferketten bei Oxfam, konstatiert: „Die Supermärkte
stehlen sich hier seit Jahren aus der Verantwortung, sie müssen endlich
dazu gebracht werden, [2][angemessene Preise] zu zahlen.“
Bisher hat Oxfam vorwiegend über Probleme auf anderen Kontinenten
aufgeklärt. Die aktuelle Studie zeigt aber, dass Bedingungen, die in der
Peripherie oft stillschweigend akzeptiert werden, teils auch vor der
eigenen Haustür herrschen. Ein Arbeiter resümiert: „Das hier ist nicht
Europa.“
Keine „europäischen“ [3][Arbeitsbedingungen]? Zu einer ähnlichen
Einschätzung kommt die EU-Kommission. Deutschland schütze
SaisonarbeiterInnen aus Drittstaaten nur unzureichend und verstoße damit
gegen eine Richtlinie. Die Behörde hatte im April deshalb ein
Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, das neben Deutschland auch neun
andere Staaten betrifft. Können sie die Vorwürfe nicht ausräumen, wird das
Verfahren womöglich vor dem Europäischen Gerichtshof landen.
22 May 2023
## LINKS
[1] /Wie-es-ist-Spargel-zu-ernten/!5678241
[2] /Ausbeutung-in-Corona-Krise/!5676706
[3] /Ausbeutung-von-Erntehelferinnen/!5787361
## AUTOREN
Leon Holly
## TAGS
Saisonarbeitskräfte
Spargel
Arbeitsschutz
Ausbeutung
soziale Ungleichheit
Prekäre Arbeit
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Schwerpunkt Coronavirus
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