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# taz.de -- Thüringens Innenminister über die AfD: „Wir sind Antifaschisten…
> Georg Maier, SPD-Chef und Innenminister in Thüringen, spricht über den
> AfD-Landrat in Sonneberg, Versäumnisse und die Bedeutung sozialer
> Politik.
Bild: „Das Rechtsrockland Thüringen existiert so nicht mehr“, sagt Thürin…
taz: Herr Maier, was bedeutet der [1][Wahlsieg der AfD] bei der
Landratswahl in Sonneberg für Thüringen?
Georg Maier: Das kann man jetzt noch nicht sagen. Wir müssen erst einmal
schauen, was da konkret im Kreistag von Sonneberg passiert, wie [2][Robert
Sesselmann] agieren wird, welche Beigeordnete berufen werden, wie sich die
demokratischen Parteien verhalten.
Das Landesverwaltungsamt in Thüringen prüft derzeit, ob [3][Robert
Sesselmann als Landrat] geeignet ist, weil die Thüringer AfD als
rechtsextremistisch eingestuft wurde. Was bedeutet das konkret?
Im Thüringer Kommunalwahlgesetz steht, dass der Bewerber jederzeit für die
freiheitlich-demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und der
Landesverfassung einzutreten hat. Jetzt wird von Amts wegen überprüft, ob
das bei Herr Sesselmann der Fall ist und war. Es ist eine
Einzelfallprüfung. Die Mitgliedschaft in der AfD ist als alleiniges
Kriterium nicht ausreichend.
Hätte das nicht im Vorfeld geschehen müssen?
Der Wahlausschuss des Landkreises kann in der knappen Frist im Vorfeld im
Wesentlichen nur formal prüfen. Da geht es darum, ob die eingereichten
Unterlagen vollständig sind und die Wahlvorschläge den gesetzlichen
Anforderungen grundsätzlich entsprechen und somit als gültig zuzulassen
sind.
Wie viel Schaden kann ein [4][AfD-Landrat] anrichten?
Die Demokratie von innen heraus auszuhöhlen, ist die Strategie der AfD. Da
haben sie über diesen Landrat jetzt eine neue Plattform. Bei Feldern wie
Migration und dem Ausbau erneuerbarer Energien ist ein Landrat ausführendes
Organ. Aber er kann Sand ins Getriebe streuen, Prozesse verlangsamen, auch
innerhalb der kommunalen Familie.
Wie groß ist der Anteil der SPD an diesem Ergebnis in Sonneberg? Welche
Fehler haben Sie gemacht?
Wir stehen alle in der Verantwortung, da will ich meine Partei nicht
ausnehmen. Wir haben in Thüringen diese komplizierten Verhältnisse,
Rot-Rot-Grün fehlen vier Stimmen für eine eigene Mehrheit. In dieser
Konstellation ist es uns nicht immer gelungen, zu zeigen, dass die
Demokratie auch in schwierigen Zeiten funktionieren kann, dass man
zusammenfindet und die schwierigen Prozesse angeht. Das macht es den
Feinden der Demokratie leichter. Nach dem [5][Kemmerich-Desaster] …
… also der Wahl des Kurzzeit-FDP-Ministerpräsidenten [6][Thomas Kemmerich]
mit den Stimmen der AfD …
… hat die versprochene Neuwahl nicht stattgefunden, weil erst einzelne
CDU-Abgeordnete und dann auch noch welche von der Linken abgesprungen sind
und es keine ausreichende Mehrheit mehr für die Auflösung des Landtags gab.
So kann man der Demokratie schaden. Die SPD hat immer und immer wieder
versucht, Brücken zu bauen, damit wir zeigen, dass nicht parteipolitische
Interessen im Vordergrund stehen, sondern die des Landes. Das hätte
gelingen müssen.
Und dass in Hildburghausen, ganz in der Nähe von Sonneberg, ein
Bürgermeister der Linken mit Stimmen von Sozialdemokraten und
Rechtsextremisten zu Fall gebracht worden ist, sehe ich natürlich auch sehr
kritisch. Wir haben das als Landesvorstand klar missbilligt, das hat am
Image der SPD auch Kratzer hinterlassen.
Die CDU meint, die Politik der Ampel ist schuld. Ist da was dran?
Natürlich spielt die Bundespolitik immer auch eine Rolle. Aber der
Gegenkandidat war doch von der CDU. Warum soll die Ampel dran schuld sein,
dass der nicht gewählt wird? Das leuchtet mir nicht ein. Und dieser neue
Move von Friedrich Merz, die [7][Grünen als Hauptgegner] auszurufen,
erscheint mir grotesk. Was ist denn, mit Blick auf Thüringen, das Ziel? Die
Thüringer Verhältnisse noch komplizierter zu machen?
Ist es nicht sinnvoller, sich noch einmal an einen Tisch zu setzen – und
ja, da sitzen dann auch Grüne und Linke dran – und zu schauen: Wie kriegen
wir zum Beispiel den nächsten Landeshaushalt jetzt aufgestellt? Mit einem
medialen Riesenstreit darüber wird die CDU die Leute doch nicht
zurückgewinnen. Sie könnte bei einer Einigung sogar für sie wichtige Punkte
durchsetzen.
Die SPD hat in der Stichwahl zur Wahl des CDU-Kandidaten aufgerufen, die
anderen Parteien mit Ausnahme der FDP auch. Das hat nicht funktioniert. Ist
die Strategie „Alle zusammen gegen die AfD“ gescheitert?
Ich habe es als meine Pflicht angesehen, zur Wahl des CDU-Kandidaten
aufzurufen, und das ist mir extrem schwergefallen. Das ist ja nicht
irgendeine CDU in Südthüringen, sondern die, die Hans-Georg Maaßen
aufgestellt hat und noch immer zu ihm hält. Die AfD hat das genutzt, um uns
alle als Blockparteien dazustellen. Deshalb habe ich mich am Ende eher
zurückgehalten. Aber die Wahlempfehlung war richtig und notwendig, auch
wenn es nicht erfolgreich war.
Sie haben als SPD-Chef gleich am Sonntagabend die anderen Vorsitzenden der
demokratischen Parteien zum Gespräch eingeladen. Was wollen Sie damit
erreichen?
Die SPD kann Brücken bauen zwischen Rot-Rot-Grün einerseits und CDU und FDP
andererseits, das hat sich in der Vergangenheit gezeigt. Ich habe mir am
Sonntag das Hirn zermartert, was jetzt zu tun ist. Und da kam mir die Idee,
mich außerhalb von Regierung und Landtag im kleinen Kreis mit den
Landesvorsitzenden der demokratischen Parteien zusammenzusetzen. Mein Ziel
ist, dass wir wieder zu einem verlässlichen Mechanismus kommen, mit dem wir
zeigen: Die demokratischen Kräfte arbeiten an der Lösung der Probleme der
Menschen in Thüringen.
Mit Blick auf die Landtagswahl im kommenden Jahr könnte es aber reizvoll
für die CDU sein, wenn Rot-Rot-Grün scheitert.
Wir haben doch gerade in Sonneberg gesehen, dass sich das für die CDU nicht
auszahlt, sondern gut für die AfD ist. Aber die CDU hat da natürlich den
weitesten Weg zu gehen, das sehe ich schon.
Und: Wer hat bisher zugesagt?
Die Grünen. Ich bin ja gespannt, wie sich CDU und auch die FDP verhalten,
da käme ja mit Thomas Kemmerich auch jemand mit einer schwierigen Historie.
Aber die FDP nicht einzuladen, wäre das falsche Signal gewesen.
Herr Maier, Sie sind ja auch Innenminister, Ihr Verfassungsschutz hat den
[8][AfD-Landesverband als erwiesen rechtsextrem] eingestuft. Wenn wir nach
Sonneberg schauen, zeigt sich: Das stört die Wähler*innen nicht.
Ja, das ist eine bittere Lehre. Dennoch ist es richtig, diese Instrumente
zu nutzen und herauszuarbeiten, was die antidemokratischen Ziele der AfD
sind. Aber es hat offensichtlich keine große Wirkung bei den Menschen hier
erzielt. Es gibt eine gewisse Gleichgültigkeit den Rechtsextremisten
gegenüber. Hinzu kommt, dass die Wählerinnen und Wähler mit der Wahl der
AfD eine gewisse Wirkmächtigkeit erleben, indem sie es denen da oben mal
zeigen können.
Heißt das, Sie sind der Ansicht, das sind Protestwähler?
Nicht alle natürlich. Es gibt die Überzeugten. Aber es gibt eben auch
Mitläufer, die unzufrieden sind, sich überfordert fühlen, Angst haben vor
dem Veränderungstempo und dann meinen, da bleibe nur, die AfD zu wählen.
Das habe ich im Wahlkampf häufiger gehört. Hinzu kommt dann diese
Distanzlosigkeit Rechtsextremisten gegenüber. Das wird ausgeblendet. Und es
gibt auch neue Netzwerke.
In Gera müssen wir feststellen, dass da auch Unternehmer daran beteiligt
sind. Das ist ein gesellschaftliches Thema, der Verfassungsschutz alleine
kann da wenig ausrichten. Mich wundern auch die Wirtschaftsverbände in
Thüringen. Warum sagen die nicht deutlicher, dass das, was die AfD
propagiert, [9][für die Wirtschaft Teufelszeug] ist. Wir haben hier
Fachkräftemangel, die großen Unternehmen hier brauchen den Euro, das
Internationale, die Weltoffenheit.
Welche Konsequenzen ziehen Sie?
In Thüringen ist das Stammland der Sozialdemokratie, hier kommen wir her.
In Gotha wurde 1875 die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands
gegründet, daraus wurde später die SPD. Wir sind Antifaschisten, und da
habe ich als Innenminister auch einiges vorzuweisen. Das Rechtsrockland
Thüringen existiert so nicht mehr, in meiner Amtszeit sind über 30
Rechtsextremisten hinter Schloss und Riegel gebracht worden. Aber wir
müssen auch die Themen in den Vordergrund bringen, die die Menschen mit
bewogen haben, AfD zu wählen. Und das sind vielfach soziale Themen. Das
Thema soziale Gerechtigkeit muss ganz oben auf die politische Tagesordnung,
sonst bekommen wir auch die notwendigen Veränderungsprozesse nicht hin.
Also doch Kritik an der Ampel – [10][Stichwort Heizungsgesetz].
Ja natürlich, das kann man nicht ausklammern. Und wir müssen auch den Blick
mehr auf den Osten richten, wo die Verhältnisse nun mal andere sind. Die
Menschen verdienen hier weniger, das Vermögen ist kleiner, das ist 33 Jahre
nach der deutschen Einheit eine schreiende Ungerechtigkeit.
Erwarten Sie da auch von der SPD im Bund mehr?
Ja, ganz klar. Und das sage ich auch im Bundesvorstand immer wieder. Ich
habe in den letzten Tagen ja oft gelesen, in Sonneberg stehe es
wirtschaftlich gar nicht schlecht, die Arbeitslosigkeit sei niedrig. Aber
44 Prozent der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen beziehen den Mindestlohn,
damit kann man sich eine niedrige Arbeitslosenquote auch erkaufen. Wir
wollen nicht das Niedriglohnland sein. Die Tarifbindung hier ist
unterirdisch schlecht. Das müssen wir stärker zum Thema machen.
28 Jun 2023
## LINKS
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[8] /AfD-in-Thueringen/!5936477
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[10] /Gebaeudeenergiegesetz-und-Handwerker/!5940260
## AUTOREN
Sabine am Orde
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